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Kiara

"Bitte, kann ich nicht einfach nur hinter der Theke stehen? Oder putzen? Ich putze den Club, wirklich. Wäre das keine Alternative?", flehe ich ihn erneut an mich nicht rauszuschmeißen.

"Kiara, spreche ich undeutlich oder sprichst du eine andere Sprache als ich?"

Er schaut mich warnend an, bis ich mich in Bewegung setze und ihm hinterher laufe.
Achtlos wirft er meine Reisetasche auf den nassen Bordstein und zündet sich eine Zigarette an.

"Zieh Leine.", nuschelt er mit der glühenden Zigarette zwischen den rosigen Lippen und nickt die Straße hinauf.

"Manuel-", versuche ich es erneut.

"Kiara. Ab-marsch.", betont er jede Silbe einzeln und beugt sich noch einmal zu mir vor, damit wir auf Augenhöhe sind.
Provokant pustet er mir den Rauch ins Gesicht, sodass ich mich wegdrehen muss. Sein Blick brennt sich in meine Wirbelsäule, während ich meine Tasche vom dreckigen Boden aufhebe und mich noch ein letztes Mal zu ihm umdrehe.

Irgendwie gekränkt stelle ich fest, dass er mir keine Beachtung mehr schenkt. Er steht dort und raucht, während er auf seinem Handy herumtippt. Mit Tränen in den Augen laufe ich die Straße entlang, die direkt in die Favelas von Sao Paulo führt.

In die Regionen von Sao Paulo, wo Hoffnung nicht mehr existent ist. Die meisten kennen Hoffnung nur noch als ein Wort im Wörterbuch, doch keiner weiß mehr wie es sich anfühlt, Hoffnung zu haben. Unzählige Morde, Vergewaltigungen und andere Straftaten. Fast jeder ist Arbeitslos oder Kriminell.

Und niemand schafft es dort raus.

Ich weiß nicht einmal, ob meine Familie noch lebt, wenn ich jetzt zurückkehre. Ich kann nicht einmal sagen, ob unsere Hütte noch steht oder ob der letzte Regen alles weggewaschen hat. Meine Familie ist nicht ganz so arm, wie der Rest dort. Aber trotzdem reicht es nicht für eine kleine Wohnung in einem besseren Viertel.

Der Wohnraum ist teuer und mein Vater Alkoholiker. Ich bin die einzige, die Geld verdient, seitdem meine Mutter vor zwei Jahren bei einem Schusswechsel in unserer Straße ums Leben gekommen ist.

Die Polizei hatte nicht einmal richtig ermittelt.
Die Polizei traut sich nicht einmal in unsere Straßen. Die Leute hier leben ohne Gesetze, ohne Regeln.

Der Staat und die Politik haben hier schon lange ihre Autorität verloren.

Zum Leid von hunderttausenden jungen Kindern, die eine Zukunft verdient haben.

Doch ohne Geld keine Bildung und ohne Bildung kein Aufstieg. Ich kann froh sein, dass ich die 10. Klasse beendet habe, anders als meine Freunde dort oben. Doch seitdem ich arbeiten muss, habe ich keine Zeit mehr für die Schule. Bildung ist zeitintensiv; Zeit, die ich brauche um mich und meinen Vater zu ernähren.

Je näher ich komme und trotzdem ich noch einige Kilometer entfernt bin, desto schlechter wird die Straße. Am Straßenrand liegen bereits große Müllsäcke, die in der Feuchtigkeit unausstehlich stinken.
Immer wieder überlege ich, wo ich arbeiten kann. Ich brauche einen Job, sonst brauche ich gar nicht erst zurück kommen.
Zum ersten Mal hoffe ich, dass mein Vater so richtig betrunken ist. So stark, dass er nicht mitbekommt, wenn ich nach Hause komme. So stark, dass er sich nicht auf den Beinen halten kann.
Vor zwei Wochen habe ich alles Hals über Kopf gepackt und bin im Morgengrauen abgehauen. Durch Zufall habe ich mitbekommen, dass Stripperinnen oder Nutten gesucht werden.

Was hatte ich zu verlieren?

Ich war bereit meine Jungfräulichkeit dafür aufzugeben, wenn es mir ein besseres Leben ermöglichen würde. Das es letztendlich und glücklicherweise nicht so weit gekommen ist, tröstet mein Gewissen wenigstens etwas.

In Gedanken vertieft laufe ich die Straße hinab und bekomme kaum mit, dass sich eine große Hand um meinen Oberarm schließt und mich zurück zieht.
Nur kurz kann ich in die Augen eines großen, dicken Typen sehen, bevor ein Schuss ertönt und den Mann ganz offensichtlich in die Knie zwingt.

Hechelnd kniet er vor mir, die Augen weit aufgerissen, als würde er dem Teufel persönlich begegnen.
Nur, dass der Teufel mit ausgestrecktem Arm und Finger am Abzug hunderte Meter hinter ihm steht und abwartend an seiner Zigarette zieht.

Schweratmend blicke ich zwischen Manuel und dem Mann hin und her und erschrecke kurz, als der tote Typ mir auf die Füße fällt. Perplex verfolge ich das dunkle Blut, dass aus seinem Rücken tritt und sich mit dem Abwasser auf der Straße vermischt.

Das Blut, das aus seinem Mund kommt, tropft auf meine weißen Schuhe und lässt mich urplötzlich realisieren, was hier gerade passiert ist.

Hektisch schaue ich umher, um festzustellen, dass wir ganz alleine auf dieser großen Straße sind und mir niemand helfen kann.

"Mach jetzt keinen Scheiß.", ruft Manuel mir zu, während er die Zigarette zwischen seine Finger nimmt und auf mich zu kommt.
Uns trennen 300 Meter, doch irgendwoher weiß ich, dass ich nicht wegrennen brauche. Auch wenn ich einen Vorsprung habe, wird er ihn schnell aufholen. Er ist größer und sportlicher, als ich.

"Du- Oh Gott, du hast ihn-", stammel ich und halte mir eine Hand vor den Mund, um meine zitternde Unterlippe zu verbergen.

"Du hast ihn umgebracht.", schreie ich plötzlich und knie mich auf den Boden, um dem Opfer zu helfen.
Meine Hose saugt sein Blut auf, dass sich in einer großen Lache um ihn versammelt hat, während ich versuche ihm zu helfen.

"Umgebracht hast du ihn!", wiederhole ich mich hysterisch, als Manuel neben mir stehen bleibt. Abwertend schaut er den leblosen Körper an und wirft dann seine Zigarette in die Pfütze aus Blut.

"Jetzt tu doch was!", flehe ich ihn an, weil er einfach nur dort steht und den Kerl betrachtet. Langsam steckt er seine Waffe zurück unter den Mantel und schaut mir emotionslos ins Gesicht.

"Wenn ich ihn nicht umgebracht hätte, dann hätte er dich umgebracht."

Seine Worte machen mich wütend. Was ist das denn für eine armselige Ausrede? Der Typ wollte bestimmt nach dem Weg fragen oder hatte andere Probleme.

"Schämst du dich denn gar nicht?", brülle ich Manuel an und schubse ihn heftig. So heftig, dass ein ziehender Schmerz durch meine Schulter geht, doch das blende ich aus.

"Schämst du dich nicht, dass du auf offener Straße Menschen ermordest?!", wiederhole ich mich und schubse ihn erneut.
Er sagt nichts, er verteidigt sich nicht einmal. Er lässt zu, dass ich ihn schubse und tut so, als würde ihm das überhaupt nichts ausmachen.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now