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Kiara
14:06 Uhr

"Alles gut?", frage ich nervös, als wir im Auto sitzen.

"Ja.", erwidert er kurz ab.

"Wenn du über etwas reden willst, dann-"

"Ich brauche kurz Ruhe. Nicht von dir, aber ich möchte gerade nicht reden.", erklärt er mir und legt währenddessen seine rechte Hand auf meinen Oberschenkel.

"Zumindest nicht darüber.", fügt er hinzu.

Ich nicke.
"Okay. Was machen wir jetzt?", versuche ich ein anderes Thema anzuschneiden.

"Wir fahren zu meinen Eltern, es gibt Kaffee und Kuchen. Danach fahren wir ins Hotel, damit du dich umziehen kannst.", erklärt er mir den weiteren Verlauf dieses Nachmittags.

"Ich liebe Kuchen."

Ein raues Lachen hallt durch den Wagen.
"Dann bist du bei uns genau richtig."

"Was ist dein Lieblingskuchen?", versuche ich ihn aufzumuntern.

"Ich denke Zitrone.", zuckt er nachdenklich mit den Schultern.

"Ihhh. Zitrone? Fällt dir nichts besseres ein?", verziehe ich das Gesicht, weshalb er mir kurz in den Oberschenkel zwickt.
Kichernd versuche ich seine Finger zu lösen, doch er ist viel stärker als ich.

"Was magst du denn lieber?"

"Kirschkuchen. Mit Streuseln.", schwärme ich.

"Kirschkuchen mit Streuseln.", wiederholt er meine Worte murmelnd.

Zufrieden lehne ich meinen Kopf gegen die Autoscheibe und schaue auf die Straße vor uns. Über dem dunklen Asphalt flackert die Hitze und vermutlich ist es auf der Straße kaum auszuhalten. Im Augenwinkel bekomme ich mit, wie er etwas in sein Handy tippt.

"Wo waren deine Cousins?", flüstere ich müde und merke so langsam, wie ein Teil meiner Anspannung abfällt.

"Sie saßen hinter uns. Ich stelle sie dir gleich vor.", verspricht er mir und malt kleine Kreise auf meinen nackten Oberschenkel.
Das schwarze Kleid, dass mir eigentlich bis über die Knie geht, hat er hochgeschoben.

"Und sie gehören zu der Familie deines Vaters?", frage ich verständnishalber nach.

Er nickt.
"Ja. Mein Vater hat zwei Schwestern. Eine hat Zwillinge bekommen und die andere zwei Jungs, die drei Jahre auseinander sind."

"Wie alt sind sie denn?"

"Die Zwillinge sind etwas jünger als ich, 22. Und die anderen zwei 24 und 21.", erklärt er mir.

"Ich bin also die jüngste.", stelle ich fest.

"Mit Celeste, ja. Aber du wirst klar kommen. Lass dir nichts gefallen.", erinnert er mich aufmunternd.

"Mal sehen.", murmel ich und warte ab, bis wir wieder am Haus ankommen. Die Kirche war voll - sehr voll.
Aber Amara hat mir gesagt, dass nur die engste Familie kommt und ich hoffe wirklich sehr, dass es nur eine handvoll Leute sind.

"Wir sind da."
Manuel parkt den Wagen direkt vor der Haustür und fährt sich mit der Hand noch einmal angestrengt über das Gesicht, bevor er aussteigt und mir zuvorkommend die Autotür aufhält.

"Habe ich dir heute schon gesagt, dass du wunderschön aussiehst?", flüstert er mir ins Ohr, nachdem er mir die Hand gereicht hat und mir aus dem Jaguar hilft.

"Danke.", flüstere ich.

"Meine Mama würde dich lieben. Und mein Vater wäre stolz, wenn ich dich vorgestellt hätte."
Er zwingt sich ein Lächeln auf und versucht seine feuchten Augen zu verstecken.

"Manuel.", flüstere ich und lege meine Hand kurz auf seine Wange.
"Ich hätte sie gerne kennengelernt."

Vorsichtig küsst er meine Wange, bevor er die Autotür schließt und mich ins Haus führt. Auch wenn ich mich an seiner Seite sicher fühle, gefällt es mir nicht, dass schon fast alle vor uns angekommen sind.
Ich spüre die Blicke, die unauffällig aber trotzdem intensiv auf uns liegen, doch Manuel lässt sich nichts anmerken und führt mich elegant zu einem älteren Herr, der auf dem Sofa am Ende des Wohnzimmers sitzt.

"Opa? Ich möchte dir Kiara vorstellen. Wir haben uns in Sao Paulo kennengelernt.", spricht er den Mann an und stellt mich vor.

"Kiara, das ist mein Opa. Raul. Er ist der Vater meiner Mutter.", erklärt Manuel, während der ältere Mann vom Sofa aufsteht.

"Kleines. Schön, dass du hier bist. Ich hatte mich schon gewundert, warum Manuel so strahlt. Jetzt weiß ich warum.", lächelt er zufrieden und zwinkert seinem Enkel kurz zu.

"Danke, ich freue mich, Sie kennenzulernen.", nicke ich und umschließe seine zittrige Hand.

"Miguel, mein Sohn, hat mir schon viel von dir erzählt. Du machst unseren Jungen glücklich und ich bin froh, dass er dich gefunden hat. Wir haben alle so viel mitgemacht, es ist Zeit, dass frischer Wind in die Familie kommt."
Seine Worte berühren mich mehr, als sie sollten.

Mir wird bewusst, wie schrecklich sich das Leben für diese Familie gewandelt hat - urplötzlich und ohne Vorwarnung.

Wer hätte gedacht, dass Manuels Großvater einmal seine Tochter und ihren Ehemann beerdigen muss?

"Du hast große Ähnlichkeit mit Sofia. Sie hatte auch so dunkle Haare wie du, Liebes.", lächelt er mich warm an.
"Und jetzt holt euch Kuchen und trinkt Kaffee. Kümmert euch nicht weiter um mich. Lern die Familie kennen, na los.", scheucht er uns lachend weg und legt mir zum Abschied seine Hand auf die Schulter.

"Wir müssen gleich noch etwas besprechen, Opa.", mischt sich Manuel noch einmal abschließend ein.

"Nein. Oh nein, Manuel. Nicht heute. Heute wird nichts geschäftliches besprochen. Das hätte deine Mutter nicht gewollt.", schüttelt er gekränkt den Kopf und klopft Manuel zwei mal auf die Wange.

"Los, haut schon ab.", fügt er hinzu und setzt sich wieder hin.

"Woher wusste er jetzt schon wieder, dass es ums Geschäft ging?", murmelt Manuel ratlos und zieht mich hinter sich her.

"Vermutlich kennt er dich einfach zu gut.", versuche ich eine einfache Erklärung zu finden.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now