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Einen Moment lang betrachtete er mich nachdenklich, anschließend hob er mich ohne Probleme vom Boden auf. Gerade noch erkannte ich das Grinsen auf seinem Gesicht, während er mich im Brautstyle in seinen Armen hielt. Dann, einfach so, ging er los. Verdutzt starrte ich einen Moment auf seine Brust, bevor ich ihm einen leichten Schlag versetzte. „Ich bin in der Lage zu laufen." Nur kurz blickte er auf mich herab, bevor er antwortete: „Mhm und ich bin in der Lage dich zu tragen."

Für kurz sah ich ihn nur verständnislos an. Mein Gehirn kreiste um seine Antwort. Er hatte ja nicht direkt unrecht. „Ich wollte dich nur daran erinnern, falls du irgendwann müde wirst." Ich erkannte den Schalk in seinen Augen. Vermutlich sah er das als Herausforderung. Toll.

„Könnte ich dann wenigstens auf deinen Rücken?" Missmutig blieb er einen Moment lang stehen. Jungkook betrachtete mich, als wäre ich etwas wertvolles, das nicht beschädigt werden durfte.

Beleidigt verzog er seinen Mund. „Dann kann ich dich aber nicht mehr ansehen." Ich boxte ihn erneut, weswegen er mich seufzend absetzte. Gerade macht ich Anstalt einfach loszulaufen, da packte er mich am Handgelenk. Als ich zurückschaute, kniete er vor mir. Erschrocken blickte ich auf den dunkelhaarigen Mann hinab. Dieser deutete mit seiner Hand auf seinen Rücken.

„Wie willst du aufstehen, wenn ich auf dir sitze?", fragte ich ihn, wofür ich einen belustigten Blick erntete. „Finde es heraus." Eine leichte Forderung lag in seiner Stimme. Schließlich gab ich nach und setzte mich auf seinen Rücken. Sofort umschloss er die Arme um meine Bein. Es schaukelte ein wenig, als er aufstand, weswegen ich mich an seinem Hemd festkrallte. Jungkook schien jedoch kein bisschen von meinem zusätzlichen Gewicht angestrengt zu sein. Ein wenig bewunderte ich ihn dafür. Ich sollte lieber hoffen, dass er niemals von mir verlangen würde, ihn zu tragen. Ich konnte mir bildlich ausmalen, wie das ausgehen würde.

Mittlerweile war er wieder losgegangen. Irgendwie schien er sich zurecht zu finden, während ich keine Ahnung hatte, wo wir uns befanden.

Leicht lockert ich meinen Griff um seine Klamotten. Nur ums zu überprüfen kniff ich ihm in den Arm. Ich spürte seine angespannten Muskeln darunter zusammenzucken. „Mhm" „Mhm in Form von Zufriedenheit oder Mhm als eine Art Missbilligung?", fragte mich der Zweiundzwanzigjährige plötzlich. Ich hatte gar nicht bemerkt, irgendwas gesagt zu haben.

„Ersteres.", meinte ich mit leicht geröteten Wangen. „Da bin ich aber froh." Er lachte leicht.

Kurz wurde es still zwischen uns und da erreichte mich dieser Mistrauen wieder. So sehr ich seine Nähe genoss, desto bewusster wurde mir, wie vergänglich sie war. Wie vergänglich wir waren. Ich konnte mir erhoffen, wünschen, danach flehen, aber diese Schlucht zwischen uns hielt uns gefangen. Es war nicht nur unsere Abstammung, da war noch etwas anderes. Ich wusste jedoch nicht ganz, was es war.

„Wo sind Evin und-", kurz stockte ich, aber Jungkook las genug aus meinem Versuch. „Ich habe mit ihnen ausgemacht, sich bei deinem Bruder zu treffen." Ich nickte, mehr für mich selbst als für ihn. „Und du weißt, wie wir dahin kommen?", fragte ich nur sicherheitshalber. Seine selbstbewussten Schritte sagte mir eigentlich schon alles. „Natürlich. Ich war schon einmal hier." Ich stutzte. Wie häufig war Jungkook den schon in Teranida gewesen? „Wirklich? Wieso?", wollte ich wissen. „Es gibt ein paar wertvolle Bezugspersonen hier. Dieser Ort hier ist wie ein Wespennest für Spione." Ich schaute mich um, entdeckte aber nur ausgeblichene Wände und hin und wieder kleine Fenster. Die Straßen aus Flüssen, waren offenbar wie ein Ring um das Zentrum gelegt. Die Stadt hätte hübsch sein können, aber etwas an ihr machte sie beängstigend fast schon gruselig.

„Was ist das nur für ein Ort?", flüsterte ich zu mir selbst. „Ich bin auch ungerne hier.", hauchte Jungkook genauso leise, als hätte er Angst gehört zu werden. „Warum wirkt die ganze Stadt wie ausgestorben?", fragte ich mit einem weiteren Blick auf die Umgebung. Seit der Sache von vorhin war ich keiner Menschenseele mehr begegnet. Jungkook zuckte mit den Schultern. „Sicher kann ich es dir nicht sagen, aber mir ist schon zuvor aufgefallen, wie ängstlich das Volk ist. Die Menschen hier sind ziemlich zweigespalten, was deine Familie angeht, aber Angst scheinen sie alle zu haben." Ich nickte stumm und überlegend. Kurz meinte ich Augen auf mir zu spüren, doch sobald ich mich dem Fenster zuwandte, verdeckten mir Gardinen die Sicht.

𝐅𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐲𝐥𝐥𝐚𝐛𝐥𝐞𝐬 (𝖳𝖺𝖾𝗄𝗈𝗈𝗄)Where stories live. Discover now