𝐒𝐢𝐱𝐭𝐞𝐞𝐧

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Immer weiter trugen mich meine Füße. Immer weiter in den undurchsichtigen Wald hinein.
Meine Beine ließen mich über den staubigen Boden hinweg fliegen. Doch die Fülle an Gedanken griff immer wieder nach mir. Kein Blick nach hinten half, um mich vor dem Sturz zu bewahren, der daraufhin folgte.

Mit rudernden Armen kam mir die Erde immer näher, bis ich schlussendlich auf ihr liegen blieb. Eine heiße Träne verschwand in einem Loch im Boden. Wie sehr ich wünschte, dass es auch mich verschlingen könnte, dass kalte Finger mich ergreifen würden und mich ins Innere der Unendlichkeit zerrten.

Zittrig richtete ich mich auf, versuchte meine Beine zum Gehorchen zu zwingen, doch sie knickten unter mir weg. Auf Knien sah ich einer Ameise zu, wie sie über Blätter kletterte, um ein kleines Stück Essbares transportierte. Unbeachtet meiner Tränen, beobachtete ich das winzige Lebewesen. Sie lief an mir vorbei. Meine Augen folgten, bis sie verschwand.

Was war geschehe? Pure Angst durchforstete meine Glieder. Angst, vor niemanden geringeres als mir. Ich hatte gerade fast einen Menschen getötet. Und alles, was mir im Gedächtnis blieb, war das Gefühl, welches mich begleitet hatte. Diese Empfindung, die in meinem Magen anfing und sich schlussendlich auf all meine Organe übertrug.

Es war die Gier. Die Gier nach dem Tod dieses Mannes.

Von meinen Gedanken angestachelt verschnellerte sich mein Atmen. Ich wollte diesen Mann tot sehen. Ich wollte es in dieser Sekunde so sehr, dass meine Prinzipen und Einstellungen einfach verschollen waren. Es gab nur noch dieses Verlangen in mir. Dieses unbändige Gefühl tauchte einfach auf, ohne Vorwarnung, ohne anklopfen. Es war, als hätte irgendjemand einen Schalter in mir umgelegt, von dessen Existenz nicht einmal ich wusste. Doch er war da, unter der Oberfläche und es machte mir fürchterliche Angst. Wie ein stummer Beobachter.

Meine Hände vergriffen sich ein weiteres Mal in meinem Gesicht, in der Hoffnung meinen Inneren damit Einhalt zu bieten. Sündige Finger verdeckten meinen unscharfen Blick. Träne für Träne verließ mich und stärkte die Leere in mir. Diese unerklärliche Dunkelheit umrundete mich. Immerzu konnte ich sie spüren, wie sie sich an den Rand meines Verstandes schmiegte und auf einen Moment des Nachlasses wartete. Was war das in mir?

Eine Hand legte sich auf meinen Rücken. Mit verschwommenen Blick sah ich zurück, um in das Gesicht eines besorgten JKs zu sehen. Scham quoll in meinem Magen auf und verfärbte meine Wangen. Ich schlug seine Hand von mir und stand auf. Leicht schwankend hielten mich meine Beine gerade so aufrecht.

„Taehyung." Er flüsterte meinen Namen. Schenkte mir einen Hauch seiner Luft. Mit dem Rücken zu ihm, blieb ich stehen. Lauernd. Wartend. Meine Hände ballten sich zusammen, als mir ihr Gezittere zu viel wurde.
„Taehyung", wiederholte er. Es kam nicht mehr. Er verschwendete lediglich seinen Sauerstoff, um mich meinen Namen hören zu lassen.

„Taehy.."
„Was." Mit aussagevollen Augen drehte ich mich verärgert zu ihm um. In der Erwartung auf eine Regung seinerseits, blickte ich in sein Gesicht. Doch er schien ausdruckslos, wäre da nicht dieser Hauch von Ungewissheit, der verborgen in seinen Edelsteinen lag. Meine Wut legte sich allmählich und wurde mehr und mehr von Schuld ersetzt.
„Du kannst es mir erzählen."
Seine Augen versprühten Ehrlichkeit. Sie flehten darum, dass ich ihm die Wahrheit sagte. Abermals wendete ich mich von ihm ab und lief einfach weiter durch den Wald.
„Du warst dabei."

Seine Schritte folgten mir, ließen mich schneller werden. Fast rannte ich durchs Gebüsch, um meinen Verfolger und meinen eigenen Sturm aus Gedanken los zu werden. Mein Gehirn schien mir auf einmal noch ein wenig lauter und drängender zu sein als gewöhnlich.
„Ja, aber ich weiß nicht alles. Du musst es mir erklären, damit ich es verstehe."

Ihn einfach ignorierend, wie ich es längst vor hatte zu tun, lief ich weiter. Immer wieder blieben Äste an meinen Hosenbein hängen, kratzten an dessen Oberfläche, wie die Verachtung gegenüber mir selbst an meiner.
„Taehyung, bleib stehen!"
Ich ließ die Worte an mir abprallen. Versuchte seine Augen aus meinem Kopf zu löschen, versucht ihn aus meinem Kopf zu löschen.

𝐅𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐲𝐥𝐥𝐚𝐛𝐥𝐞𝐬 (𝖳𝖺𝖾𝗄𝗈𝗈𝗄)Where stories live. Discover now