𝐓𝐡𝐫𝐞𝐞

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Es war seine Stimme.
Seine Stimme, die schrie. Sie schrie nicht nach irgendwas oder nach irgendwem, sie war ein einziger Ausklang von Schmerzen. Wie konnte ich überhaupt seine Stimme nach so kurzer Zeit wiederkennen? War es, weil ich wusste, was mit ihm geschah?

Je länger er verschwunden war, desto mehr verlor ich die Zeit aus den Augen. Nachdem die Sonne aufging, brachte man mir Essen, doch das fasste ich nicht an. Auch als mein Bruder mit seinem Gefolge von Kindern wieder vorbeikam, interessierte es mich nicht. Den ganzen Tag erlebte ich wie in einem stummen Theater. Die Wände waren grauer als sonst und die Welt um mich herum gedämpft. Einzig unterbrochen wurde dieser Zustand durch wehmütige Schreie von Zeit zu Zeit.

Es war furchtbar, das Leiden mit an zu hören, aber was wesentlich mehr in meinem Kopf nachhalte, war die Stille. Die Schreie sagten mir, dass er lebte, die Stille sagte mir gar nichts.
Ich war mit keiner Faser meines Körpers traurig, nur wütend. Wütend, wie nie zuvor. Und ich hatte Angst, um jemanden, den ich seit zwei Stunden kannte. (Wenn man die Zeit wegließ, in der er mir beim Schlafen zugesehen hatte.)

Ich sollte mich nicht so um ihn scheren. In wenigen Tagen, vielleicht auch nur in wenigen Stunden, würde ich ihn eh wieder allein sein. Bisher war ich manchmal sogar recht froh, in dieser Zelle zu sein. Hier war ich zwar nicht von der Bildfläche verschwunden, aber abgeschirmt vom restlichen Treiben im Schloss. So konnte mich niemand bei meinen Tagträumen von einem besseren Leben stören. Hätte man mir die Tür sperrangelweit aufgehalten, bin ich mir nicht sicher, ob ich sie nicht selber wieder verriegeln hätte. Doch zum ersten Mal in meiner eingesperrten Zeit überlegte ich, wie ich die Gitterstäbe verbiegen könnte, um wie ein eiserner Ritter JK zu retten. Wahrscheinlich würde ich mir nur selbst den Tod einfangen, doch der Gedanke zählte, nicht? Zumindest hoffte ich das.
Ich wollte ihm helfen.
Sogar so unbedingt, dass ich dafür mein ruhiges Leben wegschmeißen würde. Ich träumte von einer Zukunft mit diesem Zellengenossen und der lang erlöschende Hoffnungsschimmer in mir fing neues Feuer. Natürlich war das völliger Quatsch. JK würde ermordet werden und ich werde von meinem Zellenfenster aus zusehen. Und mit ihm würde auch jegliche Hoffnung von einem Leben auf der anderen Seite des Fensters im Nichts verschwinden. Dennoch, wie sehr ich es auch versuchte, die Idee blieb und mit ihr der beschissene Funke.

Stöhnend schüttelte ich meinen Kopf, als könnten so die ganzen Gedanken einfach raus purzeln. Es fühlte sich an, als stände ich inmitten der Hauptverkehrszeit auf den Marktplatz von Nanadin. Als würde ich nur dastehen und mich anrempeln lassen. So stelle ich mir den Marktplatz unsere Hauptstadt zumindest vor. Jedoch war ich nie selbst da, um mir ein eigenes Bild davon zu machen. Ja, wäre ich der Held in meinen Vorstellungen und würde Kil retten, dann würde ich mit ihm definitiv in Nanadin vorbeischauen. Auf wie vielen Marktplätzen der Unbekannte wohl bisher war? Wie viele könnte er noch besuchen, wenn er nicht hier wäre?

Schon viel zu viel Zeit war vergangen, seitdem ich das letzte Mal etwas von ihm gehörte hatte. Das Warten machte mich irre. Ich lief in Kreisen in meiner Zelle umher, als ich ein Geräusch vernahm. Stockend blieb ich mitten ihm Raum stehen. Männer Schritte halten von den Wänden wieder und noch etwas anderes - etwas Schleifendes. Immer wieder musste ich mir selbst erklären, dass er noch nicht Tod sein konnte. Wahrscheinlich nur übel zugerichtet. Sehr übel, aber Hauptsache nicht tot. Näherkommen Schritte, lauteres schleifen.

Mein Herz raste, obwohl ich versuchte ruhig zu bleiben. Endlich traten sie um die Ecke. Schmerzhaft verzog ich mein Gesicht bei JKs Anblick. Es gab eindeutig schlimmere Monster als mich, wenn sie jemanden so verunstaltet konnten. Die Gittertür wurde aufgeschlossen und der bewusstlose Mann einfach auf den kalten Boden abgelegt. Der Soldat, der ihn vorhin abgeholt hatte, grinste in meine Richtung, bevor er die Tür hinter sich und seinem Kollegen verschloss. Wieder hallten die Schritte der Männer von den Wänden, doch diesmal interessierten sie mich nicht.

𝐅𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐲𝐥𝐥𝐚𝐛𝐥𝐞𝐬 (𝖳𝖺𝖾𝗄𝗈𝗈𝗄)Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum