𝐒𝐢𝐱

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Anders als erwartet, brachte mich mein Bruder nicht auf den für alle zugänglichen Hoff, sondern zu den privaten Garten. Zwei Männer hielten mich jeweils an einem Arm, dafür wurden keine Fesseln mehr benötigt. Mein Bruder lief an der Spitze, wie der König, zu dem er sich selbst ernannt hatte.
An die Gänge, die wir passierten, erinnerte ich mich, aber sie sahen heute ganz anders aus. Immerzu war ihr Ziel mich ins Freie zu leiten, doch heute führten sie mich in die Irre. Stolz schritt unser Anführer durch die Tür, welche uns den wundervollen Garten offenbarte.

Sofort wurde Damian bejubelt.
Der sonst quasi ungenutzte Innenhof war brechend voll mit Menschen. Sie lächelten wie süchtige, die das Ende nicht nahen sahen.
Komischerweise schenkte man auch mir ein freundliches Gesicht, sobald mich die Wachen ins Freie schubsten.

Der Garten war immer mein liebster Fleck gewesen, aber er sah nicht so aus, wie ich ihn verlassen hatte. Sie hatten nur die Blumen an den Rändern am Leben gelassen, der Rest wurde von der Menge an Füßen platt getreten. In der Mitte stand eine Bühne und ringsherum waren Sitze aufgestellt, auf denen Adelige thronten. Die Angestellten sahen von den Fenstern gespannt auf uns herab.
Normalerweise hätte der jetzige Befehlshaber dieses Verhalten nicht erlaubt und das Personal gefeuert. Doch ohne es zu wissen, würden sie einem wichtigen Zweck dienen. Der Königshof wusste, wie man Informationen vor den Bürgern geheimhielt, jedoch genauso gut, wie man sie verbreitete. Wahrscheinlich hielt man dieses Event nicht im Hof ab, um JKs Leute davon abzuhalten, hier aufzutauchen, also musste auf einem anderen Weg für Klatsch und Tratsch gesorgt werden.

Die Soldaten drängten mich durch die Menge, zu der aufgestellten Bühne. Zittrig bestieg ich die Treppen. Ich suchte den Platz nach meinem Zellengenossen ab, doch er war nicht vorzufinden. Lange würde es sicher nicht dauern, bis sie ihn ablieferte und sie von mir verlangen werden, ihn zu töten. JK töten? Könne ich das überhaupt? Jemanden willentlich umbringen? Nicht bei der Geburt sterben, sondern dazu beitragen, dass dieser Mensch nie wieder die Sonne erblicken würde? Könnte ich das?

Ich zuckte zusammen, als jemand in ein Horn blies, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Die Männer waren mit mir am Rand der Bühne stehen geblieben, während Damian sich in der Mitte breit machte. „Vielen Dank, dass ihr Euch so vielzählig heute hier versammelt habt, um Teil dieser Festlichkeit zu sein."

Jeder dieser Menschen wusste, was für eine Abscheulichkeit heute passieren sollte. Sie wussten, worin meine Aufgabe bestand, aber trotzdem waren sie hier zum Feiern. Nein, nicht trotzdem. Gerade deshalb.
Mir viel es immer schwerer, ihnen nicht vor die Füße zu kotzen.

„Vor ein paar Tagen, versuchten doch tatsächlich sich ein paar unsere Feinde unbemerkt in die Waffenkammer zu schleichen, um uns mit Hilfe UNSERER Waffen niederzustrecken!" Ein Rauen ging durch die Menge, obwohl jeder den Verlauf der Geschichte kennen musste, jeder abgesehen von mir. Interessiert hörte ich meinem Bruder zu. Viel zu sehr hatte ich mich mit JKs Ableben beschäftigt und dabei vergessen, sein Auftauchen zu hinterfragen. Ich hatte nie gefragt, aus welchem Grund er eingesperrt wurde... Aber wieso sollten sie zuvor die Waffenkammer in der Nähe des Schlosses aufsuchen? Selbst ich wusste, dass man dich Waffen auch auf andere illegale Wege beschaffen konnte und ich zweifelte die Symbolik an, die Damian erwähnte. JK war eindeutig zu pragmatisch vor sowas. Es ergab für mich keinen Sinn.

„Natürlich ist ihnen das nicht gelungen! Wir haben sie überlistet und es geschafft, einen gefangen zu nehmen!" Überlistet?! So konnte man das nicht nennen, wenn man nur einen erwischen konnte. Auch wenn JK mit 50 Mann angegriffen hätten, leben in der Nähe des Schlosses fünf Mal so viele Soldaten. Wenn man also einen schnappte, war das wahrlich keine gute Quote. Aber das konnte ich keinem dieser selbstverliebten Aasgeiern auftischen.

„Heute entledigen wir uns endlich diesem Eindringling und zeigen so unseren Feinden, wozu wir fähig sind! Und diese Aufgabe könnte ich niemanden besseres erteilen als meinem Bruder!" Aufgeregt klatschten die Adligen mir zu. Es waren die selben Gesichter, die mir mit Freude zuwinkten, die nur drei Jahre zuvor, nichts lieber getan hätten, als mich lebendig zu begraben. Mir war danach meine Augen zu schließen. Die ganzen Menschen, diesen Moment auszublenden.

𝐅𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐲𝐥𝐥𝐚𝐛𝐥𝐞𝐬 (𝖳𝖺𝖾𝗄𝗈𝗈𝗄)Where stories live. Discover now