𝐏𝐫𝐨𝐥𝐨𝐠

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Stummer Wind umgriff sein Haar, trug es mit sich und verschwamm vor seinen Augen. Mit seinem Atmen versuchte er es einzufangen, das, was so sehr nach Freiheit strebte. Der Junge griff nach den Sternen, um den Glanz von ihnen zu stehlen. Genauso wie sein Vater ihm die Freude am Leben Stück für Stück entriss, so wollte er es mit dem lautlosen Glück dieser Welt tun. Saure Wut bahnte sich in seinem Magen an.

Er hasste dieses sinnlose Vollkommensein, das sowohl der Nachthimmel als auch dieser dunkelhaarige Junge innehatten. Wenn er doch wenigstens eins aus dieser Welt verbannen könnte. Dann wäre er zufrieden. Er müsste nur eins zerbrechen, um sein Lächeln zurückzuerlangen, um nicht länger der Freudes Fremder zu sein. Müde schlossen sich hassgetränkte Augen, bevor sie sich ruckartig erneut öffnen.

„Hey." seine kräftige Stimme durchzuckte die Anwesenden. Zufrieden stellte er fest, dass die Gleichaltrigen ihm einen ängstlichen Blick schenkten. Sein Ziel jedoch bewegte sich nicht. Hochkonzentriert warf er eine Murmel, die trotz des unebenen Bodens genau am richtigen Platz an Geschwindigkeit verlor. Der Dunkelhaarige lächelt, weshalb der Ältere die Zähne zusammenbiss. Mit dem Fuß stoppte er das nächste rollende Objekt, bevor es zum Stillstand kam. Der Kniende blickte nach oben, direkt in seine tränentrockenen Augen. Kein Hauch von Beunruhigung lag in seinem Gesicht, wodurch sich sein Herz zusammenzog. Sein Vater wäre gewiss enttäuscht von ihm gewesen.

„Ich hab mit dir gesprochen." Niemand rührte sich, die Angst nagelte sie fest. Kinder waren leicht zu erschrecken. Abgesehen von diesen einem, auf den er es abgesehen hatte. Er erhielt keine Antwort. „Kämpf mit mir.", forderte er ihn herablassend heraus. „Keine Interesse." Sein Ziel wandte sich von ihm ab und ließ den Blick auf den Boden fallen. Mit der Fingerspitze brachte er eine andere Murmel zum Rollen. Der Ältere wartete bis diese ins Stoppen kam, bevor er sie mit einem Tritt weg kickte. „Warum nicht?"

Geschenkt wurde ihm nur ein Zucken mit den Schultern. Noch immer interessierte sich der Dunkelhaarige nicht für ihn. Hass stieg ihn dem Magen hoch. Seine Finger drückten sich zusammen. Er verstand diesen Jungen nicht, er verstand seine Unbeteiligtheit nicht, seine ruhige Art Dinge zu sehen, sein Funkeln in den dunklen Augen. Er war wie ein Buch, dessen Seiten in einer anderen Sprache getränkt waren. Dabei wollte er doch einfach nur über den Inhalt des Schriftstückes bescheid wissen. Selbst wenn er dafür jede Seite einzelnd herausreißen musste. Er sah es nicht, seine eigene Schwäche, die er so sehnlichst in dem anderen zu finden versuchte. Er bemerkte seinen Neid nicht, auch nicht die klammernde Einsamkeit, die ihn von Innen befallen hatte.

„Warum nicht?!", wiederholte er sich, diesmal vermischte sich Wut mit seiner Stimme. Die Kinder um sie herum, die so lebensfroh ihren Tag verbracht hatten, suchten halt an einander. Weder Neugier noch Angst ließen ihnen die Kontrolle über ihre Beine. Ein Junge staunte besonders. Sein blondes Haar weinte mit dem Wind.

Der aufgebrachte Junge packte den Dunkelhaarigen am Kragen und zog ihn auf die Höhe seines Gesichts. Sie blickten einander in die Augen, während der Luftstrom sich um sie wickelte und von den anderen abtrennte. Die Augen einer der Heranwachsenden waren vor Zorn aufgerissen. „Wirst du auch dann nicht kämpfen, wenn ich dir diese dämlichen Augen aus dem Kopf schneide?" Er erwartete eine Reaktion. Beinah mit allem hätte er sich zufrieden gegeben, doch der Gegenüberstehende zuckte nur wieder die Schultern. „Vermutlich." Von Verzweiflung und Entrüstung geplagt, stieß er ihn nach hinten. Seine Hände verloren den Griff an dem Stoff. Wie konnte er so ruhig bleiben? Wie konnte er die Schrift seiner Gedanken so gut verbergen?

Sekunden vergingen, in denen nur ein Blick sie verbannt, bevor der Junge wieder zu sich kam. Sein Kiefer knackte, als er in seine Tasche griff und nach der Waffe tastete. Er wollte sich die Blöße nicht geben. Er wollte nicht schon wieder als Verlierer gelten. Besonders vor sich selbst.

Mit einer schnellen Bewegung zog er das Messer und hielt es dem Gegenüberstehenden unter den Hals. Es fehlten nur Millimeter, um die Klinge mit der Haut des Jüngeren in Berührung zu bringen. Gefühle aller Art schlugen sich in die Gliedmassen des Bewaffneten. Wie Dornen aus Eis kletterten sie allmählich seine Beine hinauf, sodass sein Körper sich zu wehren begann.

Der Dunkelhaarige sah ihn nur an, nahm sein Zittern wahr, analysierte das Beben seiner Zähne, bewertete die leeren Bewegungen seiner Pupillen und fand zu einem Urteil. Dann drehte er sich um, ließ die Murmeln an ihren Platz und verließ die Szene.

Der Blonde mit dem verwehten Haar beobachtete das Geschehen genau, bevor seine Lippen ein wenig an Höhe zunahmen. Er bewegte sich zuerst und kniete sich auf den Boden. Augen von allen Seiten folgten ihm, doch er störte sich nicht dran. Das erste Mal hatte er etwas gefunden, das er bewundern konnte. Etwas das es Wert war, Objekt des Neid und Hasses zu werden. Mit ruhigen Händen fing er an, die Murmeln des Größeren einzusammeln.

Der Zitternde blickte herab zu dem knienden Jungen. Schnell zog er ihn an seinem goldenen Haar zurück und hielt nun ihm das Messer gegen den Hals. „Nah? Interessiert es dich auch nicht, wenn ich ihm die Haut vom Gesicht ziehe?", rief er gegen den Rücken des Dunkelhaarigen. Das erste Mal zeigte er eine Reaktion, schnell drehte er sich ihm zu und zuckte bedrohlich mit dem Augenlied. Erleichtert entkam dem Älteren der Hauch eines Geräusches. Lediglich der Blonde schien es zu hören, weshalb sein Herzschlag weiter der Unregelmäßigkeit verfiel.

„Was willst du jetzt tun?" Genugtuung schwebte zu den Ohren des Dunkelhaarigen. Seine Augen funkelten, während er sich die beste Lösung für die Situation überlegte. „Okay." Kurz schwankte die Waffe vor Überraschung. „Wenn du gegen mich beim Murmelspielen gewinnst, kämpfe ich mit dir." „Und was wenn ich verliere?"

Der Ältere schubste den Blonden von sich und ließ die Waffe in seiner Tasche verschwinden. Seine Entscheidung schien schon gefallen. Mundwinkel hoben sich. Gespannt wartete er auf seine Antwort. Er starrte Löcher in die Stirn des anderen, doch erkennen konnte er nichts. Seine Gedanken verschwammen, als hätte es sie nie gegeben. Endlich gab es eine Chance.

Der befreite Junge fiel erneut auf seine Knie. Sein Herz rannte um sein Leben. Etwas hatte sich an seine Haut geheftet. Etwas, das ihm die Luft aus den Lungen saugte, sodass sein Atem unglaublich schwer ging. Sein Haar, blond und ungeordnet wie es war, tanzte vor seinen Augen. Der Wind umarmte ihn.

Ein Dunkelhaariger trat einen Schritt auf sie zu.

„Wenn du verlierst, dann wirst du mein Freund."

𝐅𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐲𝐥𝐥𝐚𝐛𝐥𝐞𝐬 (𝖳𝖺𝖾𝗄𝗈𝗈𝗄)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt