Ein Monat später...

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Ich gehe die Stufen der Schule runter. Seit ungefähr einem Monat bin ich schon hier. Fast schon direkt habe ich eine Zusage bekommen. Mit Kate musste ich Tag und Nacht lernen, um diese beknackte Aufnahmeprüfung zu bestehen. Der Praktische Test war an einer Puppe und ich dachte mir, sie schreit mich ja nicht an, wenn ich es vermassle. Zu aller Überraschung wurde ich angenommen. 

Mama und Papa waren erst geschockt. Nachdem ich das mit dem Geld erzählt habe, haben sie drauf bestanden, dass ich einen Teil in meine Ausbildung stecke. Wenn ich erst Mal wieder richtig arbeite, kommt mehr Geld rein, als dieses Azubi-Gehalt. Auf jeden Fall wenn ich meinen Meister mache. 

Kate beobachtet mich seit längerem. Sie denkt, ich bekomme es nicht mit, aber blöd bin ich nicht. Sie macht sich Sorgen und ganz ehrlich, das würde ich auch. Deshalb mache ich ihr keinen Vorwurf, lächle sie an und gehe ab und an mit ihr und Tyler feiern. Die beiden sind sehr oft zusammen. Ich nehme Tyler nicht mehr ab, dass er schwul ist. Er muss mich belogen haben, aber wieso? Rick kommt jetzt auch öfter, wenn auch nur zum fernsehen. Es versuchen mich alle abzulenken. Abzulenken von Dave. Was nur niemand bedenkt ist die Nacht. Die einsame, lange Nacht. Ich schlafe nicht besonders gut. Oft stehe ich einfach wieder auf und laufe. Zu allem Überfluss, sehe ich ihn dauernd. Im Salon, bei dem ich meine Ausbildung mache, liegen genauso Tratschblätter. Ich muss nur ein Mal draufschauen und Dave ziert das Cover. Zu Anfang habe ich noch gelesen, als mir langweilig war. Besser, ich hätte es nicht getan. Er sah schrecklich aus. Müde, Geschafft, Gestresst. Und darüber schrieben auch alle. Hat Lisbeth Schwager die Notbremse gezogen? Wer ist schuld? Stark abserviert!

Nein, nicht Lis. Aber es ist oke. Wir waren ja nicht zusammen. Er liebt mich halt nicht und damit komme ich klar. Geweint habe ich auch nicht mehr seit ich da weggegangen bin. Die Fotos sind nur in einem unpassenden Moment geschossen. 

Scheiße! 

Wieso muss er ausgerechnet mich verletzten? Wieso muss dieser Kerl ausgerechnet mein Herz zerreißen? Ich will nicht mehr über ihn nachdenken. Ich will meinen Kopf befreien von ihm. Aber wie? Wie, wenn ich akzeptieren muss, ihn nie wieder in den Arm zu nehmen. Nie wieder ein Lächeln zu bewundern. Ich vermisse ihn. So sehr, dass es wehtut, aber ich bereue keiner meiner Worte. 

Es fühlt sich an, als würde ich ein vollkommen neues Kapitel einschlagen. Ohne Dave. Ohne diese scheiß Gefühle, die mir im Weg waren. Zu lange habe ich gewartet. Schon vor Wochen hätte ich kündigen sollen. Aber ist es nicht Schicksal, dass es passiert ist? Genau dann, als ich den Brief bekomme? Wenn es wirklich darum geht, was ich aus meiner Zukunft mache? Ich glaube daran. Ich muss glauben. Es muss was geben, an das ich halten kann. 

-

Ich schmeiße die Schlüssel auf die Kommode. Kate ist nicht zu Hause. Überraschend. Sonst ist sie immer da. Ich finde einen Zettel. 

Bin sofort wieder da. 

Muss nur etwas besorgen!


Alles klar. Ich muss sowieso lernen. Diese Berufsschule ist nicht mein Ding. Dort bin ich nicht mal die älteste, aber ich habe schon so lange nicht mehr gelernt. Bewusst gelernt. Es ist einfach schwer. Im Salon fällt es mir deutlich leichter. Ich habe mich mal nach einem eigenen Salon erkundigt. Ich muss so einen Meisterbrief machen und hafte mit all meinem Besitz. Da ich keinen Besitz habe, finde ich es eine gute Idee. 

Ich lerne vielleicht eine Stunde und schon habe ich keinen Bock. 

,,Jess!" Kate kommt in die Wohnung gestürmt, sagt nicht Hallo oder so und kommt in mein Zimmer. Ihr Gesicht strahlt und ich verstehe überhaupt nicht was los ist. Sie kommt auf mich zu und zieht mich mit sich aus der Wohnung, die Treppen runter, in die Eiseskälte. Bis zur Straße schleift sie mich, wo ich in Schnee stehe. Sie lässt mich los und dreht sich.

,,Schau mal, es schneit", ruft sie. Ich bin barfuß, habe eine graue Winterleggings mit Schneeflöckchen an und einen schwarzen Pulli. Nur das hüllt mich ein. Ich schaue auf meine Hände, dann hoch und schließe meine Augen. Ich atme den Duft des Winters ein, der mich umhüllt. Kalte Schneeflocken fallen auf mein Gesicht und kühlen meine erhitzte Haut. Es ist ein schönes Gefühl. Kate lacht und dreht sich wie ein kleines Kind. Ich schaue sie an und muss lächeln. Sie schaut jetzt auch und springt mich an, sodass wir in einen Schneehaufen fallen. Wie konnte ich den Schnee nicht bemerken? Es ist so viel da. 

,,Kate, bist du verrückt? Du wirst noch krank!", schimpfe ich. ,,Ich habe keine Zeit, mich um dich zu kümmern." Sie legt sich neben mich und richtet sich auf. Ich klopfe mir den Schnee von den Klamotten. Ich bin ganz nass. 

,,Man Jess, lach doch mal! Wenn ich krank werde, kümmere ich mich versprochen um mich selber." Sie zeigt zwei Finger hoch. Ich schüttle meinen Kopf. 

,,Du bist doch bescheuert. Bist du jetzt so nach Hause gekommen? Wieso bist du so trocken?" Sie ist wirklich überraschend trocken nach Hause gekommen, dafür dass sie den ganzen Weg laufen musste. Nicht mal die Jacke hatte was abbekommen. 

,,Ich bin jemandem begegnet", grinst sie. ,,Er hat darauf bestanden mich nach Hause zu fahren." Ich sehe sie verwirrt an. 

,,Wieso ist Tyler nicht..." Ich verstumme, als ich ihren Fahrer entdecke. Wieso habe ich ihn nicht bemerkt. Ich sehe Dave in die Augen. Er steht an seinem schwarzen Audi und Ja, er sah schon besser aus. Das ist mir egal. Ich stehe auf. 

,,Das ist nicht dein Ernst, Kate. Wieso schleppst du mich nach Draußen?" Ich gehe wieder rein, ohne Dave noch einmal anzusehen. Ich hoffe, er fährt einfach. Ich habe genug durchmachen müssen. Auch ohne ihn. Kate ist mindestens zehn Minuten weg, als sie die Tür schließt und in mein Zimmer kommt, während ich mich umziehe. 

,,Es tut mir leid. Ich habe nicht drüber nachgedacht. Ich dachte, ihr könnt miteinander reden." Ich schüttle meinen Kopf über diesen dummen Gedanken. Mehr reagiere ich nicht darauf. Ich bin es leid immer wieder das Gleiche zu erzählen. Was soll ich Dave noch sagen? Ich habe alles gesagt, was ich ihm jemals sagen wollte. Er hat ebenfalls genug gesagt. Genug, damit ich weiß, dass ich nicht mehr mit ihm reden will. ,,Ihm geht es nicht gut. Auch wenn er den Anschein macht. Er ist dauernd müde und wütend. Daria hat richtig einen zu hören bekommen, als sie ausversehen eine Vase umgeschmissen hat." Meine Laufsachen habe ich an und nehme mir mein Handy. Damit sehe ich Kate an und sage es so deutlich wie es nur geht. 

,,Er will mich nicht. An seiner Situation ist er selber Schuld. Lass mich jetzt endlich in Ruhe." Es ist bereits nach acht und ich will meinen Kopf frei kriegen. Schon nach einer Stunde zieht die Kälte die Luft aus meinen Lungen. Aber ich bin noch nicht am Ziel, weswegen ich nur eine kleine Pause mache. Ich stehe am Geländer, meine Ohren rauschen, mein Kopf dröhnt und mein Magen meldet sich. Erst jetzt merke ich, dass ich noch nichts gegessen habe. Die Kopfhörer nehme ich raus und schaue mit geschlossenen Augen hoch. Da höre ich leise Schritte.

I'm Yours.Where stories live. Discover now