7. Meisterin des Stalkens

7.4K 225 34
                                    

Was genau macht man, wenn die Eltern an einem Donnerstag Abend nicht zu Hause sind? Richtig, man setzt sich vor den Fernseher, kuschelt sich in flauschige Decken ein, macht das Licht aus und genießt den Film. In diesem Fall saß ich vor dem Fernseher in meinem Zimmer und sah The Hunger Games an. Gerade kam die Szene, in welcher Katniss und Peeta in der Höhle sind und sie sich um ihn kümmert. Kleine Tränen liefen mir über das Gesicht. Es war halt einfach viel zu süß. Auch wenn ich denn Film schon tausend mal gesehen haben musste, kamen mir hier und da trotzdem noch die Tränen.

Als der Film vorbei war, stellte ich den Fernseher ab, räumte die Decken wieder auf und wollte mich mit einem Buch und etwas zu trinken nach draußen auf meinen kleinen Balkon setzten. Dies tat ich dann auch, nur viel mir etwas interessanteres als das Buch auf. Gerade als ich ein Kissen auf die Bank legen wollte, sah ich zu dem Haus unserer Nachbarn. Es stand relativ nah, so dass man von hier aus in manche Zimmer gucken konnte. Genau jetzt sah ich in eines der Zimmer und konnte jemanden erkennen. Um genauer zu sein konnte ich Lance erkennen, wie er auf seinem Bett lag und irgendetwas auf seinem Handy herum tippte. Also legte ich das Buch beiseite, bevor ich etwas genauer hinsah. Lance lag nicht nur so auf seinem Bett, er lag nur mit Unterhose auf seinem Bett. Was natürlich bedeutete, dass man seinen Oberkörper gut erkennen konnte. Zwar war ich zu weit entfernt um wirklich alles sehen zu können, doch mit meiner Vermutung von Dienstag, dass er scheinbar öfter Trainieren geht lag ich nicht so falsch.

Auf einmal legte Lance sein Handy zur Seite und machte Anstalten aufzustehen. Blitzschnell schnappte ich mir mein Buch vom Tisch, schlug es auf und tat so, als wäre ich total vertieft in dieses. Wenn es darum ging Personen zu stalken war ich Meisterin, denn Lance bemerkte nichts. Ich riskierte wieder einen vorsichtigen Blick über die Buchkante und sah zurück auf das Fenster. Er schien sich etwas aus seinem Ranzen geholt zu haben, denn nun saß Lance über einen Hefter gebeugt und dachte angestrengt nach. Dabei hatte er einen Ellenbogen auf seinem Knie abgestützt, während die dazugehörige Hand mit den Enden seiner Haare spielte. Und ja, jetzt habt ihr auch noch ein anderes 'Hobby' von mir entdeckt. Zwar hasste ich Menschen, doch liebte ich es sie zu beobachten. Früher habe ich mich manchmal auf den Schulhof gesetzt, Leute beobachtet und mir dann ausgemalt, über was sie sich unterhielten oder was sie gerade dachten. In diesem Fall überlegte ich, was Lance wohl gerade tat. Er schien auf jeden Fall schonmal zu lernen. Das war doch mal ein Anfang. Dies würde auch mit dem Fakt zusammen passen, dass er einmal sitzen geblieben ist. Denn jetzt wollte er die zwölfte Klasse scheinbar schaffen. Aber es schien ein Fach zu sein, welches ihm nicht so sehr lag. Seine Stirn war gerunzelt und das nervöse spielen an seinen Haaren ließ ebenfalls darauf schließen.

"Bienchen, wir sind wieder zu Hause!", rief mein Vater aus der Küche und ließ mich wieder zurück in die Realität kommen. Ich schüttelte meinen Kopf, blickte nochmals kurz zu Lance, ehe ich wieder in meine Zimmer ging und schlief.

P.O.V Lance

Ich hasste Geschichte. Diesen Kack brauchte doch nun wirklich keiner. Mich interessierte es jetzt doch nicht mehr, was irgendwelche Säcke vor 200 Jahren gemacht haben. Ich hätte wirklich etwas sinnvolleres machen können, als diesen Mist zu wiederholen. Doch ich musste es, denn meine Geschichtslehrerin meinte irgendjemanden morgen mündlich drannehmen zu müssen. Und ich wusste ganz genau, dass sie mich hasste. Dieses Jahr hingegen wollte ich aber nicht gleich wieder mit einer 6 beginnen, weswegen es ganz schlau war das Alles nochmal durchzugehen.

Nach einer viertel Stunde konnte ich diesen Mist nicht mehr aushalten und warf verzweifelt meinen Hefter in die Ecke. Eigentlich wollte ich mich jetzt in mein Bett legen und pennen, jedoch fühlte ich mich nun irgendwie zu aufgebraust um zu schlafen. Also entschied ich mich in die Küche zu gehen und mir noch etwas von dem Kuchen zu holen, welchen Prudence gestern gebacken hatte.

In dem Wohnzimmer traf ich aber auf besagte Schwester. Natürlich war sie nicht allein. Mailo war bei ihr. Oder besser gesagt saß sie auf seinem Schoß. Wie so üblich schienen ihre Lippen aneinander zu kleben, denn gerade eben waren sie wieder am rumknutschen. Die Arme meiner Schwester waren hinter dem Hals ihres Freundes verschränkt, wobei seine eine Hand auf ihrer Taille und seine Andere auf ihrem Hintern lagen.

"Klar, lasst euch von mit bloß nicht stören.", schnaubte ich ironisch und schritt weiter in die Küche. Daraufhin hörte ich hinter mir nur ein kleines Geraschel und leise tapsende Schritte. Als ich den Kühlschrank öffnen wollte, wurde er sofort wieder zugedrückt.

"Nana, du willst dir doch nicht das letzte Stück Kuchen nehmen, ohne vorher gefragt zu haben.", sagte Prudence und versuchte mich ernst anzusehen. Ihre Lippen waren noch etwas geschwollen, genauso wie die von Mailo. Er stand wie ein Beschützer hinter ihr und hatte seine Hände auf ihrer Schulter ruhen. Manchmal hasste ich es, dass Mailo um ein paar Zentimeter größer war als ich und meine Brüder.

"Doch. Ich bin doch dein absoluter Lieblingsbruder und hab mir somit das letzte Stück verdient.", meinte ich selbstsicher und versuchte so überzeugend wie möglich zu klingen.

"Naja, ich hab mehrere Lieblingsbrüder. Wenn du das letzte Stück willst, will ich aber irgendetwas im Gegenzug dafür.", nutzte sie diese Gelegenheit aus und grinste hinterlistig.

"Was willst du?", fragte ich gespielt gequält und verschränkte meine Arme vor der Brust. Prudence schien kurz zu überlegen, ehe sie mit den Schultern zuckte. Sie öffnete den Kühlschrank und gab mir das letzte Stück.

"Ich überleg es mir noch.", sagte sie schließlich. Direkt danach wurde sie von Mailo abgelenkt, indem er sie hochhob. Meine Schwester quiekte kurz auf und krallte sich in sein Shirt.

"Da das jetzt geklärt ist, können wir ja in dein Zimmer und da weiter machen, wo wir gerade aufgehört haben.", flüsterte Mailo in ihr Ohr, so dass ich es eigentlich nicht hören sollte. Hab ich aber. Anstatt mich darüber aufzuregen, freute ich mich lieber über mein leckeres Stück Torte.

Strange Neighbour Where stories live. Discover now