87. Der Abschied

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P.O.V Lance

Erst als mein schriller Wecker uns aus dem Schlaf riss, hatte ich bemerkt, dass ich wohl oder übel eingeschlafen war. Im Moment jedoch saßen wir im Taxi. Ich hatte gestern bereits darauf bestanden mit zum Flughafen zu fahren. Melissa meinte zwar, dass ich verrückt sei so früh aufstehen zu wollen, doch ich wollte unbedingt mit. Der Gedanke mit ihr einzuschlafen und dann ohne sie wieder aufzuwachen war schrecklich. Vor allem, da das Wiedersehen noch weit entfernt sein könnte. Melissa hatte in diesem Moment übrigens den Kopf an meine Schulter gelegt und eine Hand mit meiner verschränkt. Weder sie noch ihre Eltern, welche natürlich im selben Taxi saßen, sagte ein Wort. Es waren nur die Motorgeräusche und das Radio zu hören. Wie so gefühlt jeder Zweite Taxifahrer hatte auch dieser einen merkwürdigen Musikgeschmack.

Da zu so einer frühen Zeit kaum Leute unterwegs waren, kamen wir leider relativ schnell an dem Flughafen an. Melissa's Eltern bezahlten unseren Fahrer, ehe wir uns in das riesige Gebäude begaben. Es fühlte sich so an, als würde irgendein kleines Männchen immer mehr Steine auf mein Herz legen. Auch mein Hals wurde immer trockener.

Ohne Vorwarnung legten sich Melissa's weiche Lippen auf meine Wange und blieben dort kurz ruhen. Ihre besorgten und gleichzeitig auch traurigen Augen sahen zu mir auf. Darauf zwang ich mich zu einem Lächeln, doch Melissa sah dadurch nur noch besorgter aus.

„Du kannst mir das ruhig zeigen, wenn du traurig bist.", flüsterte sie mir zu, als ihre Eltern gerade das Gepäck abgaben. Ich behielt einfach mein bescheuertes Lächeln und drückte nun ihr einen Kuss auf die Wange.

„Klar bin ich traurig, aber der Abschied ist ja nicht für immer. In ein paar Wochen schon bist du ja wieder in Seattle.", versuchte ich sie aufzumuntern und platzierte nun einen Kuss knapp über die Stelle, wo vorher noch meine Lippen lagen. Aber ich log. Ich war verdammt traurig. Ich fand es ja schon schlimm, wenn sie während der Woche nicht bei mir übernachten konnte, wie sollte ich es denn jetzt mehrere Wochen ohne sie aushalten?!

„Wir wissen doch noch garnicht...", begann Melissa, doch sie wurde von ihrem eigenem Kichern unterbrochen. Ich verteilte nämlich mehrere kleine Küsse auf ihrer Wange und schien sie dadurch versehentlich zu kitzeln. Nun bildete sich ein richtiges Lächeln auf meinen Lippen. Ich sollte mir diesen Klang wirklich gut einprägen.

Melissa stellte sich auf ihre Zehenspitzen und legte ihre Hände in meinen Nacken. Natürlich spürte ich kurz darauf ihre Lippen auf meinen. Sie bewegten sich ganz langsam gegen meine eigenen, während meine Hände zu ihrer Taille glitten. Ich konnte spüren, wie die Steine kurzzeitig mein Herz verließen und ich vergaß, dass Melissa gleich gehen müsste. Ihre Finger fuhren sanft durch meine Haare, welche danach bestimmt ziemlich verstrubbelt waren.

„Melissa, wir müssen jetzt durch die Kontrollen.", sagte ihre Mutter, welche scheinbar schon vorausgegangen ist, uns aber vergessen hatte. Mit einem Mal schienen die Steine wieder zu drücken, bloß dieses Mal viel stärker. Widerwillig löste sich Melissa von mir.

P.O.V Melissa

„Dann ist hier wohl der Punkt, wo wir uns verabschieden müssen.", stellte ich traurig fest. Meine Eltern waren schon vorgegangen, weil ich mich noch in Ruhe von ihm verabschieden wollte.

Lance sah bedrückt auf unsere Füße. Wir standen uns gegenüber, während beide unserer Hände mit der des jeweils Anderen verschränkt war. Ich war nicht dumm, denn ich bemerkte, wie Lance versuchte seine Trauer zu überspielen.

„Ich liebe dich.", flüsterte er so leise, sodass es wirklich nur für meine Ohren bestimmt war. Ich lächelte traurig, als Lance seinen Blick auf mich richtete.

„Ich liebe dich auch.", sagte ich und zog ihn in eine Umarmung. Ich würde seinen Geruch und seine Umarmungen so so sehr vermissen. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wie es ohne ihn werden sollte. Am Liebsten hätte ich angefangen zu heulen, doch dies schien schon jemand anderes für mich zu übernehmen. Ich nahm nämlich ein ganz leises Schniefen an meinem Ihr war.

„Sag mal, weinst du?", fragte ich total überrascht und entfernte mich etwas, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Und siehe da, Lance schien wirklich zu weinen.

„Ne, ich hab nur was im Auge.", sagte er mit überraschend fester Stimme. Er wischte sich schnell die Tränen weg, damit seine Aussage authentischer wirkte. Danach setzte er einen gequälten Gesichtsausdruck auf.

„Ich glaube... ich muss jetzt wirklich los.", stellte ich fest, als ich auf eine Uhr im Hintergrund sah. Kaum hatte ich diesen kurzen Satz beendet, legten sich schon wieder Lance' Lippen auf meine. Ich glaube noch nie gespürt zu haben, dass Lance so viel Gefühl in einen Kuss gesteckt hatte, wie jetzt. Es war wirklich der perfekte Abschiedskuss, doch umso deprimierender war es, sich von ihm zu lösen.

„Pass gut auf dich auf. Und du kannst mich jederzeit anrufen wenn was ist. Egal was. Und halt mich auf dem Laufendem, was euer neues Haus betrifft.", rief mir Lance noch schnell hinterher, als ich durch so eine Schiebetür lief, wo man bloß als Fluggast und nicht als Begleitung durch durfte. Am Liebsten wäre ich einfach umgedreht und wieder zurück zu ihm gelaufen, doch je länger ich jetzt noch bei ihm stehen geblieben wäre, desto schwerer wäre der Abschied geworden.

Leider begannen damit wahrscheinlich die schwersten Wochen meines Lebens.

So, jetzt sind die beiden erstmal getrennt.

Was denkt ihr: Werden diese Wochen für Lance oder für Melissa schwerer?

Strange Neighbour Where stories live. Discover now