81. Das Telefonat

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P.O.V Melissa

„Ok, mir reicht's jetzt.", sagte Lance streng und löste seine starken Arme von mir. Bis eben hatte er mich noch gehalten, als ich mal wieder einen kleinen Nervenzusammenbruch erlitt. Verwirrt sah ich in seine Richtung und wollte eigentlich bloß wieder seine Nähe spüren. „Du rufst jetzt diesen Justin an und sagst ihm, dass er mal seinen hässlichen Arsch nach Seattle bewegen soll. Ich hab mal ein sehr ernstes Wörtchen mit ihm zu besprechen.", fügte er zwischen zusammengekniffenen Zähnen hinzu und ich konnte hören, wie Lance' Atmung unregelmäßiger wurde.

„Das wäre keine so gute Idee. Er würde bestimmt auch nicht wegen mir hierher kommen.", sagte ich kleinlaut, wobei ich meine Tränen von meiner Wange wischte. Danach schlang ich meine eigenen Arme um meinen Körper, um mich kleiner zu machen. „Was willst du mit ihm überhaupt besprechen?", fügte ich noch hinzu, ohne Lance anzusehen.

„Ich will diesem Wichser mal deutlich machen, dass er ganz große Scheiße gebaut hat. Ich werde zwar immer für dich da sein und dich immer trösten, wenn du es gerade brauchst, aber trotzdem will ich dies nicht ständig tun müssen. Es bricht mir immer wieder mein Herz wenn ich dich so sehe. Auch du hast es nicht verdient so leiden zu müssen.", erklärte er sich und ich hörte, wie Lance sich über sein Gesicht fuhr. „Ich muss ihm einfach mal eine Lektion erteilen.", fügte er zwar leise, aber sehr bedrohlich hinzu.

„Du weißt, dass ich überhaupt kein Fan von Gewalt bin, oder?", hinterfragte ich ganz vorsichtig, da ich Angst hatte, Lance würde Justin k.o. schlagen. Lance nickte darauf bloß und ich fühlte mich, als hätte ich mit der Wand gesprochen.

„Bitte... ruf ihn an.", sagte Lance mit überraschend ruhiger Stimme und reichte mir mein Handy, welches zuvor neben ihm gelegen hatte. Mit zitternder Hand nahm ich es ihm ab und entsperrte es direkt mit meinem Fingerabdruck. Schneller als gedacht fing mein Handy schon an zu tuten, nachdem ich die Nummer gewählt hatte. Ein ganz mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Seit über einem halben Jahr hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihm. Seine Stimme war schon längst aus meinem Kopf verschwunden und auch sein gesamtes Erscheinungsbild, sprich seine Bewegung oder sein Charakter, waren verschwunden.

„Melissa?", kam es verwundert aus meinem Telefon, nach nicht allzu langer Zeit. Seine Stimme wirkte nun, als hätte ich sie nie vergessen.

„Hallo.", antwortete ich völlig überfordert. Was machte ich hier überhaupt gerade? Ich rief meinen Ex an, weil ich bereits nach über einem halben Jahr noch immer wegen ihm heulte. Oder besser gesagt, wegen seiner und der Taten Anderer.

„Warum rufst du an?", fragte Justin, wobei er viel netter und interessierter wirkte, als ich ihn die letzten zwei Monate vor unserem Umzug erlebt hatte. Meine Zunge war wie gelähmt, wodurch ich kein Wort herausbrachte. Es war ein echt ziemlich merkwürdiges Gefühl mit ihm zu sprechen, dass ich nichtmal wusste, was ich sagen sollte. Plötzlich griff Lance nach meinem Handy und übernahm so das Wort.

P.O.V Lance

„Hi, hier spricht Lance. Wir kennen uns nicht, aber ich hab schon vieles über dich gehört.", sagte ich in den Hörer und setzte dabei ein Fake-Lächeln auf, damit man meine Ironie hören konnte. Am anderen Ende war es kurz still, ehe mir eine relativ maskuline Stimme antwortete.

„Wer bist du?", fragte dieser Justin irritiert. Die Frage war ja auch berechtigt, denn wie gesagt, kannten wir uns nicht.

„Melissa's Freund und glaub mir, du hast dir damals eindeutig das falsche Mädchen ausgesucht um ihre Gefühle zu verletzten. Denn ich werde dir irgendwann mal sowas von eine aufs Maul hauen, dass du erst im Krankenhaus wieder aufwachst.", sprach ich mit immer stärker werdender Stimme. Doch statt wenigstens ein bisschen Respekt zu bekommen, lachte er am Ende der Leitung.

„Hat sie sich einen der Nerds an ihrer neuen Schule geangelt? Glaub mir Freundchen, mit mir willst du dich nicht anlegen.", sagte Justin mit abgehobener aber auch leicht rücksichtsvoller Stimme. Mir fiel nichts besseres darauf ein, außer laut auflachen zu müssen, denn seien wir mal ehrlich. Ich war nun wirklich der letzte Nerd.

„Alter ich wette, du würdest gegen mich nichtmal eine Minute durchhalten.", sprach ich mit vollem Selbstbewusstsein. Ich hatte einen kleinen Plan Justin hierher zu bekommen. Melissa warf mir darauf nur einen verwunderten Blick mit ihren geröteten Augen zu.

„Das sagst du jetzt am Telefon. Melissa würde keinen Besseren als mich finden. Außer mir standen doch nur die hässlichen Nerds zu ihr.", fügte er ebenso selbstbewusst hinzu, nachdem er provokant schnaufte. In mir bildeten sich jetzt jedoch Fragezeichen.

„Wie niemand außer du und die Nerds standen zu ihr?", hinterfragte ich perplex. Aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie Melissa unruhig auf ihrem Bett hin und her rutschte.

„Hat sie dir das nicht erzählt?", fragte Justin ebenfalls überrascht, doch auch etwas erfreut ein scheinbares Geheimnis offenbaren zu können. Mein Schweigen regte ihn zum weiterreden an. „So gut wie niemand hat sie früher gemocht. Die einzigen Freunde waren zwei weitere Aussenseiter, wie sie. Naja man kann schon fast sagen, dass sie gemobbt wurde.", sprach er locker, doch in mir verkrampfte sich alles.

„Warum?", fragte ich empört. In diesem Moment vergas ich zwei Dinge komplett. Zum Einen, dass dies gerade Melissa's Ex war und zum Anderen, dass sie gerade ebenfalls im Raum anwesend war.

„Schau sie dir doch an. Sie besteht doch nur aus Haut und Knochen. Ihre Eltern haben es vollkommen richtig gemacht, dass sie sie in eine Klinik geschickt haben. Wahrscheinlich wäre sie sonst irgendwann verhungert.", sagte Justin mit immer noch der selben monotonen Stimme. Ich wandte meinen Blick zu Melissa, welche überhaupt nicht so arg dünn wirkte wie beschrieben. Klar war sie vielleicht nicht die Kurvigste, aber mager auf keinen Fall.

„Stimmt das?", fragte ich an Melissa gewandt, welche nichts von dem mitbekommen hatte, was Justin gesagt hatte. So langsam fügten sich immer mehr Puzzleteile zusammen.

Wie fandet ihr Justin? Und was sagt ihr über den weiteren Teil Melissa's Vergangenheit?

Strange Neighbour Where stories live. Discover now