49. Getauschte Rollen

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P.O.V Lance

Heute war der Tag gekommen, welchen ich am meisten hasste. Es war ihr Todestag. Wie auch an den anderen fünf wachte ich auf, lag aber eigentlich die gesamte Zeit im Bett. Prudence hatte immer wieder an die Tür geklopft und gesagt, dass unsere Großeltern da sind und etwas mit uns unternehmen wollten. Ich sagte nur sowas wie, dass ich keine Lust hatte. Meine Zimmertür war vorsorglich schon verschlossen, sodass niemand zu mir kommen konnte. Ich wollte nichts und niemanden bei mir haben. Wenn ich diesen Tag einmal überstanden hatte, verließ mich dieser Zustand immer, bis zum nächsten dieser Tage.

Gerade als ich fast nochmal eingeschlafen wäre, klingelte unsere Haustür plötzlich im Sturm. Erst drückte ich mir mein Kissen auf die Ohren in der Hoffnung, der Störenfried würde verschwinden, doch es ging weiter. Also setzte ich mich mühsam auf, schloss erst meine Zimmertür und danach die Haustür auf. Melissa lächelte, nein grinste mich schon fast an, ehe ihr Blick an mir herunterglitt. Sie sah etwas besorgter drein, denn ich musste schrecklich aussehen. Ich hatte mir nichtmal die Mühe gemacht was anderes als meine Boxershorts anzuziehen, meine Haare standen wahrscheinlich überall hin ab un meine Mundwinkel hingen wahrscheinlich knapp über dem Fußboden.

"Los, zieh dir was an.", sagte Melissa und rückte ihre Jacke zurecht. Ich tat nichts anderes, als sie verwirrt anzustarren. Warum war dieses Mädchen plötzlich hier, klingelt im Sturm und möchte, dass ich mich anziehe? "Ich sorg jetzt dafür, dass du diesen Tag nicht nur allein in deinem Zimmer verbringst.", erklärte sie und setzte wieder ein leichtes Lächeln auf. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus, wobei es mir wahrscheinlich auch ein kleines Stück tiefer gerutscht ist.

"Ähm...", brachte ich nur heraus und kratzte mich dabei an meinem Hinterkopf. Meine Stimme war noch von der Nacht etwas belegt, weshalb sie etwas kratziger klang.

"Jetzt mach schon. Oder soll ich dir etwa beim Anziehen helfen?", scherzte Melissa und trat zögerlich ein. Sie schien heute wirklich verändert. Sonst war ich immer derjenige, welcher Witze machte. Doch da ich heute nicht in der Lage dazu war, schien sie es zu übernehmen.

"Nein, warte hier.", sagte ich, wobei ich mich bereits abwandte um in mein Zimmer zu verschwinden. Dort angekommen zog ich mir schnell eine Jeans und einen grauen Pullover an. Warum machte sich Melissa ernsthaft die Mühe mich aufzuheitern?
"Wo gehen wir überhaupt hin?", fragte ich, als ich gerade die Treppe herunter lief und sah, wie Melissa die Pflanzen aus dem Wohnzimmer betrachtete.

"Naja, ich wollte eigentlich in den Park hier in der Nähe um ein paar Fotos zu machen. Als ich gesehen hab, dass alle außer du weg sind dachte ich mir, ich könnte dich ja mitnehmen.", erklärte sie und trat etwas verlegen einen Fuß vor den anderen. Ich zog mir schnell eine Jacke über und öffnete die Haustür. Wir traten raus und sofort blies uns der kalte Herbstwind entgegen.

P.O.V Melissa

Seit ein paar Minuten liefen wir schweigend nebeneinander. Doch es war nicht still. Die restlichen Blätter der Bäume rauschten im Wind und machmal fuhr ein Auto an uns vorbei. Genaus sowas liebte ich an der Natur. Aber trotzdem wuchs mein Bedürfnis Lance irgendwie zu zeigen, dass ich heute für ihn da war. Er hatte seine Mutter verloren und ich konnte mir gut vorstellen, wie einsam man sich an so einem Tag fühlen musste. Schließlich kam mir auch eine Idee, doch es erforderte wirklich eine menge Mut diese auch umzusetzen.

Ganz langsam griff ich nach seiner Hand. Verdutz sah Lance zu mir, ehe er unsere Finger mit dem Ansatz eines Lächelns verschränkte. Irgendwie passten unsere Hände perfekt ineinander. Zwar war seine Hand viel größer als meine, trotzdem passte alles. Wärme strömte wie schon so oft durch meinen Körper, sodass ich meine Jacke wirklich nicht mehr gebraucht hätte.

"Die Stille ist irgendwie schrecklich.", sagte Lance, wobei er seine Augenbrauen zusammen zog. Damit hatte er nichtmal so unrecht. Klar waren da, wie vorher schon erwähnt, die Geräusche der Natur. Wenn man aber zu zweit war wirkte es noch immer wie Schweigen.

"Ja das stimmt.", sagte ich und lächelte etwas in mich hinein. Allein seine Finger mit meinen verschränkt machten mich um einiges glücklicher. Ob es ihm wohl genauso ging?

~~~

"Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag.", fragte ich ihn, als wir es uns irgendwann auf einer Parkbank gemütlich gemacht hatten. Gerade huschte ein Eichhörnchen vor unseren Füßen entlang um Nüsse für den Winter zu sammeln.

"Der ist ja auch bald.", murmelte Lance gedankenverloren zu sich selbst. Er legte seine Stirn in Falten, ehe er sein Gesicht zu mir wand. "Nichts materielles.", sagte Lance, als ich meinen Kopf ebenfalls zu ihm gedreht hatte und versuchte unauffällig auf meine Lippen zu starren. Dies gelang ihm scheinbar nicht so gut.

"Damit kann ich nicht viel anfangen.", sagte ich, wobei sich ein schwaches Lächeln auf mein Gesicht stahl. Lance nahm seine Augen noch immer nicht von meinen Lippen und biss sich kurz auf seine eigene Unterlippe. Seine Augen funkelten schon fast als er mir sanft mit seinem Daumen über meine Wange strich.

Ich drehte meine Gesicht langsam wieder nach vorn zu dem Eichhörnchen. Zwar genoss ich seine Berührungen, doch wollte ich sofort alle Hoffnungen erlöschen. Natürlich war ich nicht blöd und erkannte diesen Blick bei ihm. Lance wollte mich schon wieder küssen und was tat ich? Ich konnte das einfach nicht. Noch nicht.

Strange Neighbour Where stories live. Discover now