24. "Danke"

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P.O.V Lance

Ihr warmer Atem streifte langsam und regelmäßig meinen Hals, ihre Arme lagen wieder fest um mir und ihre Haare kitzelten ganz leicht meinen Arm. Beruhigend fuhr ich ihr abermals über den Rücken. Nachdem ich schnell irgend etwas um ihren Arm gewickelt hatte damit die Blutung gestoppt wurde, hatte sie sich sofort wieder an mich geschmiegt. Scheinbar benötigte Melissa in diesem Moment einfach Körpernähe. Schließlich hab ich mich langsam mit ihr auf ihr Bett gelegt, damit sie sich etwas ausruhen und gegebenen Falls auch schlafen kann. Wenn ich ganz ehrlich war, gefiel mir diese Situation sogar etwas. Es fühlte sich überraschend gut an sie in meinen Armen zu halten. Sonst tat ich sowas nur bei Prudence, doch das hier war irgendwie was ganz anderes. Es weckte irgendwie einen kleinen Beschützerinstinkt in mir, welcher Adrenalin in meine Adern pumpte. Wäre da nicht die Sache mit ihrem Arm und die Tatsache, dass Melissa bis vor ein paar Minuten noch bitterlich geweint hatte, wäre dieser Moment fast perfekt.

"Danke dass du gerade für mich da bist.", flüsterte Melissa in einem leicht abwesend klingenden Ton. Die Müdigkeit war ebenfalls deutlich zu hören.

"Ich wüsste nicht was ich anderes tun sollte.", sagte ich milde lächelnd und zog mein Kinn Richtung meiner Brust um Melissa ansehen zu können. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Mund ganz leicht offen. Ihre Lippen wirkten irgendwie einladend. Melissa erwiderte nichts mehr, während ihr Atem immer ruhiger wurde.

Bereits nach ein paar Minuten musste sie wohl eingeschlafen sein. Ganz vorsichtig strich ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich hatte eine Vermutung was geschehen war, bevor ich in dieses Zimmer kam. Doch um sicher zu gehen, musste ich mir ihren anderen Unterarm angucken. Zwar hatte ich etwas Schiss sie würde aufwachen, meine Neugierde überwog dies aber. Also drehte ich den unverletzten Arm, welcher übrigens an meiner Seite lag, etwas herum, so dass ich auf die Innenseite gucken konnte. Leider schien meine Vermutung zu stimmen. Lauter dünne, gerade und kleine Narben zeichneten sich auf ihrem Unterarm ab. Natürlich wusste ich sofort, dass dies typische Narben vom Ritzen waren. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Was zur Hölle ist Melissa widerfahren, dass sie sich ritzt?

Auf einmal ergaben mehrere Dinge sinn. Sie hatte immer lange Klamotten an, damit man ihre Narben nicht sah. Sie ließ sich normalerweise nicht so gern berühren, weil sie manchmal noch halb offene Wunden hatte.

"Ich werde dir helfen da rauszukommen. Egal wie oder wann, aber ich werde dir helfen.", flüsterte ich eher zu mir selbst, da Melissa schlief. Es war wie ein geheimes Versprechen an sie und gleichzeitig auch eine Mission an mich. Und wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann tu ich dies auch.

P.O.V Melissa

Sonne schien in mein Zimmer und holte mich so aus dem Land meiner Träume. Meine Augenlider fühlten sich schwer und verheult an, während mein linker Unterarm brannte. Erinnerungen von gestern tauchten wieder in meinem Kopf auf. Ich hatte mich wieder geritzt, nachdem ich seit Wochen clean davon war. Noch dazu hatte ich mir die Augen aus dem Kopf geheult und Lance damit wahrscheinlich ziemlich genervt. Lance...
Ich öffnete meine Augen diesmal weiter und hob meinen Kopf etwas an. Ich lag allein in meinem Bett. Scheinbar war er schon gegangen. Vielleicht hatte ich ihn mir ja auch nur eingebildet.

Ich ließ meinen Kopf wieder in mein Kissen sinken und merkte sofort, dass ich ihn mir nicht eingebildet hatte. Mein ganzes Kissen roch nach seinem Parfum, welches ich gestern zum ersten Mal so richtig wahrnahm. Der Geruch war noch so stark, dass Lance vielleicht erst vor kurzem gegangen ist. Doch als mir nochmals bewusst wurde, dass ich ihn mir nicht eingebildet hatte, stieg mir Hitze ins Gesicht. Lance hat alles gesehen. Wie ich geheult habe und noch viel schlimmer, meinen blutigen Unterarm. Garantiert ist er nicht so dumm und kann eins und eins zusammen zählen.

Entschlossen setzte ich mich auf und blickte mich in meinem Zimmer um. Weder das Blut auf dem Boden, noch der Erste Hilfe Kasten waren zu sehen. Lance musste das alles wohl noch aufgeräumt haben, bevor er ging. Diese Angelegenheit erschien mir immer unangenehmer. Die Uhr auf meinem Schreibtisch zeigte mir, dass es schon nach um zwölf war. Scheinbar hatte ich verdammt lang geschlafen. Und so unangenehm mir die ganze Sache auch war, wollte ich mich bei Lance bedanken. Genau jetzt, weshalb ich mich schnell umzog und rüber zu unseren Nachbarn lief.

"Hey, was machst du denn hier?", fragte Sam freundlich und ließ mich eintreten. Plötzlich hatte ich Panik Lance könnte den ganzen Anderen etwas erzählt haben.

"Könnte ich mal kurz mit Lance sprechen?", fragte ich Sam, da ich außer ihm niemanden sah. Sams lächeln wurde breiter und er nickte freundlich.

"Sie sind alle in der Küche.", sagte er und zeigte Richtung Wohnzimmer. Also lief ich da lang und hörte nun auch schon die Stimmen. Sie schienen gerade am Mittagessen zu sein, doch verstummten kurz verwundert als sie mich erblickten.

"Könnte ich kurz mit dir reden?", fragte ich und blickte verlegen zu Lance. Dieser stand am Topf und schien sich gerade etwas zu Essen nehmen zu wollen.

"Klar.", sagte er und ließ die Kelle wieder in den Topf sinken. Ein warmes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er auf mich zu lief. Wir gingen zusammen in den Flur, in dem uns keiner hören konnte. Zwar wollte ich mich bedanken, doch ich wusste nicht wie.

"Hast du den Anderen etwas davon erzählt?", platzte es als erstes aus mir heraus. Zwar war es keine Danksagung, aber ich musste es jetzt einfach wissen.

"Nein.", sagte Lance und schien Gott sei dank zu wissen, was ich meinte. Er steckte seine Hände in die vorderen Hosentaschen und biss sich leicht auf die Unterlippe.

"Ähm... Danke das du gestern nicht... naja... gefragt hast... warum.", sagte ich und blickte runter auf meine Füße. Darüber war ich wirklich froh. Ich hätte nämlich erwartet, dass er mich mit Fragen bombardiert wie: Warum hast du das gemach?
Da ich auf den Boden sah konnte ich Lance' Reaktion nicht sehen, aber ich glaubte dass er nickte.

"Hey egal was da mit dir los war, wenn es dir wieder so geht dann sag mir bescheid. Ich kann zu dir kommen und wir können irgend etwas machen was dich ablenkt. Aber bitte", Lance stockte kurz und schien zu überlegen wie er etwas formulieren sollte. Unerwartet nahm er sanft mein rechtes Handgelenk, streifte den Ärmel runter und strich über meinen Unterarm. Ich zuckte etwas zusammen da die vernarbte Haut empfindlicher war, auch wenn die letzten Schnitte Wochen her waren. "mach sowas nicht mehr. Es gibt bessere Möglichkeiten um mit etwas schwierigem umzugehen.", sagte Lance und versuchte wahrscheinlich mit mir Blickkontakt aufzubauen. Diesem wich ich gekonnt aus, denn diese Situation war viel zu peinlich. Er wusste es also wirklich. Aber nicht nur das, er hatte nun auch meine Narben gesehen. Meine hässlichen Narben.

Langsam zog ich meinen Arm wieder von ihm weg. Den Ärmel strich ich wieder über meine Haut und verdeckte so die geschundenen Stellen. Ich trat ein bis zwei Schritte nach hinten, drehte mich um und wollte gerade die Tür öffnen, als mir etwas in den Sinn kam. Lance hatte mir angeboten für mich da zu sein, wenn ich ihn brauchte. Außerdem hatte mich gesehen, als ich mich geritzt habe und auch meine alten Narben. Konnte es also noch unangenehmer für mich werden? Richtig, nein. Es konnte nicht schlimmer werden, weswegen ich noch einen drauf setzten konnte.

Ich drehte mich nochmal zu Lance um, welcher noch immer so da stand wie vorher und mich interessiert musterte. Mein Füße traten wie von selbst nochmal auf ihn zu und stellten sich auf Zehenspitzen. Kurz legte ich meine Lippen an seine leicht stoppelige Wange und verlagerte einen Kuss darauf.

"Nochmals danke.", hauchte ich und verschwand dann so schnell ich konnte. Es war mir so peinlich gewesen, dass ich nichtmal mehr die Reaktion von Lance abwartete, sondern einfach nur in mein Zimmer zurück wollte. Die Tür schlug hinter mir zu und ließ mich dadurch erleichtert aufatmen. Keine Ahnung warum ich ihm wirklich einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, doch es war wie ein Reflex gewesen. Und ich musste zugeben, dass meine Lippen, nein mein gesamter Körper leicht kribbelte.

Strange Neighbour Where stories live. Discover now