59. Mitte in der Nacht

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P.O.V Lance

Durch ein merkwürdiges Summen wurde ich wach. Langsam öffnete ich meine Augen und sah nichts. Es dauerte kurz bis ich verstand, dass es noch mitten in der Nacht war. Ich rappelte mich etwas auf und konnte so auch den Grund des Summens ausmachen. Es war mein Handy, welches auf meinem Nachttisch vibrierte. Genervt griff ich danach, ohne auf die Nummer zu sehen.

„Ja?", fragte ich verschlafen und leicht genervt, als ich mich in mein Kissen zurück fallen ließ. Ich musste echt aufpassen, dass mir meine Augen nicht sofort wieder zufielen, da ich so verdammt müde war.

„Kannst du an die Tür kommen?", hörte ich Melissa's Stimme aus meinem Handy. Sie klang nicht gerade glücklich, weshalb ich mich sofort aufsetzte. Ich fuhr mir mit meiner freien Hand über das Gesicht, ehe ich komplett aufstand und mich auf den Weg begab.

„Ja.", sagte ich, während ich bereits die Treppe herunterlief. Was war passiert? Melissa würde ja kaum einfach ohne Grund tief in der Nacht vor meiner Tür stehen. Sie legte auf, kurz bevor ich die Tür öffnete. „Hey, was ist passiert?", fragte ich sanft, als ich ihr trauriges Gesicht erblickte. Im Licht, welches vom Wohnzimmer nach draußen schien, erkannte ich sowohl gerötete Augen als auch Nasenflügel. Melissa hatte eindeutig geweint.

„Ich kann nicht schlafen.", sagte sie, wobei ich nicht einschätzen konnte, ob sie log oder nicht. Ihr Blick lag stur auf dem Boden und sie spielte nervös am Saum ihres dünnen Shirts.

„Komm rein.", sagte ich und machte ihr etwas Platz frei. Meine Müdigkeit sorgte dafür, das sich ein kleiner Kopfschmerz in meiner Stirn ausbreitete. „Magst du vielleicht einen warmen Kakao? Mir hilft sowas immer, wenn ich nicht schlafen kann.", fragte ich, während ich schon auf dem Weg in die Küche war. Melissa folgte mir leise, damit wir die Anderen nicht aufweckten.

„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.", sagte Melissa und trat verlegen einen Fuß vor den Anderen, während sie sich an eine Küchentheke anlehnte. Ich stellte währenddessen eine Tasse Milch in die Mikrowelle und suchte nach dem Kakaopulver.

„Kein Problem.", gab ich von mir, wobei mir ungewollt ein kräftiges Gähnen entfuhr. Wahrscheinlich wäre ich bei jedem anderen Menschen an die Decke gegangen, wenn dieser mich wegen so einem Grund mitten in der Nacht weckt. Doch es war Melissa und bei ihr vermutete ich, das mehr als nur ein ‚Ich kann nicht einschlafen' dahintersteckte. „Mit Sahne oder ohne?", fragte ich und blickte über meine Schulter zu ihr. Sie erwiderte meinen Blick nicht, sondern schien sich mehr für unsere kahlen Küchenfließen zu interessieren.

„Ohne bitte.", sagte sie kleinlaut und schaute dabei immer noch nicht zu mir hoch. Ich seufzte kurz, ehe ich die Milch aus der Mikrowelle holte, Kakaopulver hinzufügte und umrührte. Ich überreichte ihr die Tasse, welche sie nur zögerlich annahm.

„Danke.", sagte Melissa mit zitternder Stimme. Oh nein, dieses Zittern kannte ich. So klang es immer, bevor Melissa anfing zu weinen. Ich zog sie vorsichtig an ihrer Taille zu mir und küsste ihre Stirn. Und siehe da, einzelne Tränen kullerten ihre Wangen herunter.

„Bitte nicht weinen Süße.", sagte ich, während ich ihr sanft über ihren Hinterkopf strich. Sie hatte die Tasse schon längst auf die Theke hinter ihr gestellt und ihre nun freien Hände auf meinem Rücken platziert. Ihr Kopf ruhte in meiner Halsbeuge, wobei sie leise schniefte. Mir brach es wirklich das Herz wenn sie so weinte. Krampfhaft überlegte ich, wie ich sie wieder zu ihrem wunderschönen Lächeln bringen konnte. Mir kam nur die Idee sie zu kitzeln, wie ich es schonmal getan hatte, doch es passte überhaupt nicht zu dieser Situation. „Gehen wir in mein Zimmer? Dort ist es etwas gemütlicher als hier in der kalten Küche.", schlug ich ihr flüsternd vor. Es war an diesem Tag wirklich ziemlich kalt gewesen, weshalb ich sogar mit T-Shirt geschlafen hatte.

Melissa nickte an meine Halsbeuge, ehe ich mich langsam von ihr löste. Sie strich sich ihre Wangen trocken und schniefte nochmals kräftig. Ich legte einen Arm um ihre Schulter, als wir hoch in mein Zimmer liefen. Melissa schniefte immer wieder, wodurch ich schloss, dass sie noch immer stumm weinte.

„Willst du darüber reden?", fragte ich vorsichtig, um nicht einen noch wunderen Punkt zu treffen. Das Letzte was ich wollte war nämlich, dass Melissa noch mehr weinte. Sie wirkte schon so verletzlich, da wollte ich sie nicht noch angreifen. Wir machten es und auf meinem Bett etwas bequem. Also besser gesagt legte ich mich normal auf den Rücken, wobei Melissa sich eng an mich schmiegte.

Nach langem Schweigen von ihrer Seite aus, löste sie sich etwas von mir und krempelte nur ihre Ärmel hoch. Erst dachte ich, Melissa hätte sich wieder geritzt, doch zu sehen waren nur ihre alten Narben.

„Was willst du mir damit sagen?", hackte ich leicht verwirrt nach, weil ich nicht wusste, was ich damit anfangen sollte. Melissa sah sich selbst kurz ihre Unterarme an, ehe sie mir antwortete.

„Ich hasse diese Narben.", sagte sie, wobei ihre Stimme immer noch unglaublich zitterte. „Ich bin so hässlich.", hauchte Melissa so leise, dass es eigentlich nichtmal für meine Ohren bestimmt war. Doch ich hatte es gehört. Langsam griff ich nach ihren Handgelenken und küsste beide Unterarme jeweils dreimal.

„Jede Narbe erzählt eine Geschichte. Du solltest sie nicht hassen.", flüsterte ich und strich währenddessen mit meinem Daumen sanft über die vernarbten Stellen. Ich versuchte wieder Blickkontakt mit ihr aufzubauen, aber sie sah nur auf ihre Arme. „Soll ich dir mal meine Narben zeigen?", sprach ich weiter in dieser Lautstärke, als ich endlich wieder in ihre Augen sehen konnte. Melissa's Gesichtsausdruck war etwas überrascht, als sie nickte. Immerhin flossen keine Tränen mehr.

„Ok. Also diese", ich zeigte ihr eine kleine, längliche Narbe auf meiner linken Handfläche, „ist beim Spielen mit meinen Geschwistern im Garten passiert. Wir haben uns einfach einen kleinen Gummiball hin und her geworfen, als ich aus versehen eine Vase zerstört habe. Und dabei bin ich halt in die Scherben gefallen. Also hab ich eigentlich Glück gehabt, dass ich mich nicht noch mehr geschnitten habe.", ich überlegte kurz, wo ich noch Narben hatte. „Diese hier", dieses Mal hob ich mein Shirt etwas an und offenbarte damit eine unförmige Narbe auf meinem Hüftknochen, „habe ich einer Rettungsaktion zu verdanken. Prudence und ich hatten eine Babykatze auf einem Baum entdeckt, welche von allein nichtmehr herunterkam. Also sind wir hochgeklettert, wobei ich an einem spitzen Ast hängengeblieben bin welcher mir relativ tief in meine Haut geschnitten hat.", erzählte ich weiter und hoffte Melissa somit irgendwie abzulenken. Es schien zu funktionieren, denn sie hörte mir aufmerksam zu.

Ich zeigte ihr auch noch ein paar andere Narben mit der ihren Geschichten. Sie sagte dabei kein einziges Wort sondern sah sich diese mit großen Augen an. Manchmal fuhr Melissa auch ganz sanft darüber, worauf ich einfach nur ein kleines bisschen schmunzeln konnte.

Naja Melissa ist schon wieder am weinen. Ich hoffe euch nervt das nicht mit der Zeit.
Wie findet ihr die Art wie Lance Melissa ablenken will und ihr gleichzeitig auch den Hass über ihre Narben nehmen will?
LG

Strange Neighbour Where stories live. Discover now