LXXXVIII | Die Zitadelle von Taetnire

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Die Zitadelle ist größer, eindrucksvoller, einschüchternder, als in meiner Mentalen Reise hier hin. Die Türme sind höher, die Farben sind kühler, die Umgebung trostloser. Um die Außenmauern herum ist der Schnee etwas geschmolzen, vielleicht auch abgetragen worden, jedenfalls liegt dort keiner mehr. Wir haben uns dem eisenern Tor auf Hundert Meter genähert, als ein lautes Geräusch ertönt. Ein Horn, erkenne ich und muss unwillkürlich an das denken, was Mister Fikners uns im Geschichtsunterricht erzählt hat. Kriegshörner, Schlachten, Legenden. Das ist ganz klar ein Schlachthorn.

Nur einmal ertönt das tiefe Dröhnen und eine Gänsehaut überzieht meine Arme. Es ist so ein dunkles Geräusch, und kombiniert mit der Stille, die fast stundenlang schwer auf uns gelegen hat, ist es gruselig. Es ist überhaupt gruselig, wenn man bedenkt, wofür dieses Geräusch früher genutzt wurde.

Ich schüttle den Schauer, der meine Wirbelsäule empor wallt, ab und sehe meinen Partner, dessen Pferd neben meinem zum Stehen gekommen ist, verunsichert an. „Was war das?" „Das Horn von Taetnire." Knirscht Elijah mit den Zähnen. Entweder beunruhigt ihn etwas ganz gewaltig, oder er war hier noch nicht so oft, dass er den Vorgang ganz genau kennt. „Einmal kündigt Besucher an."

„Ich würde uns nicht als Besucher bezeichnen." Verkündet Cherry mal wieder ihre Meinung. „Eher als uneingeladene Eindringlinge, die sich irgendwo festsaugen wie Blutegel. Praktisch wie meine Großmama Tilda."

Ich kann förmlich sehen, wie krampfhaft Elijah versucht, immer noch freundlich zu bleiben. Er befeuchtet seine Lippen, lässt seinen Blick über die Umgebung wandern, bis er rüber zu mir zuckt und er fast unmerklich den Kopf schüttelt. Ich schenke ihm ein dankbares Lächeln. Es reicht schon, wenn Victorie herumzickt. Ich weiß zwar, dass er nur mir zuliebe so ist und im Normalfall Cherry wahrscheinlich schon umgebracht hätte, aber ich weiß es durchaus zu schätzen.

Steve, der am weitesten vorne steht, löst die Hände von den Zügeln, formt stattdessen einen Trichter um seinen Mund und brüllt in Richtung der Zitadelle: „Steve White, Victorie McCaler, Elijah DeVilers, Kaia Cherlson und Katherine Moonrose bitten um Einlass!"

„Wir bitten um Einlass?" Ich stehe wirklich ganz kurz davor, Cherry ihrem Schicksal zu überlassen. „Warum denn so geschwollen?"

Zum Glück geht keiner auf sie ein, es folgt nur ein gemeinschaftliches, tiefes Luftholen. Anscheinend denken wir alle dasselbe. Doch bevor wir alle Victorie ihr Ding machen lassen, durchbricht ein noch unangenehmerer Ton, als das Horn, die Ruhe. Es ist das Geräusch von alten, nicht oft benutzten Zahnrädern. Das Tor wird hochgezogen. Frost und Schnee, der sich an dem kalten Metall festgesetzt hat, rieselt zu Boden.

Beinahe mit etwas zu viel Elan dreht sich Steve zu uns um und grinst. „Mein geschwollenes Gefasel hat doch gewirkt." „Ich denke eher, dass sie das Tor nur geöffnet haben, weil die beiden Urfamilien in einem Satz erwähnt wurden." Brummt Elijah, treibt im gleichen Moment sein Pferd an und lenkt auf die Zitadelle zu.

„Familien mit mehreren Zeitreisenden. Die DeVilers und die Moonroses." Beantworte ich Cherrys Frage, bevor sie sie überhaupt stellen kann und folge meinem Partner durch das Tor.

Es ist komisch, Leute in der Zitadelle zu sehen, wo sie doch in meinem Kopf mutterseelenallein war. Doch jetzt ist es voll mit Leben. Vor allem Männer laufen im Innenhof herum, in schwarzer, dicker Kleidung und schwer bewaffnet. An jedem einzelnen sehe ich ein Schwert. Ihre Haut ist blass, von der fehlenden Sonne hier, und die meisten sehen so aus, wie ich mir Vogelfreie vorstelle. Mit längeren, ungepflegten Haare, Bärten, grimmigen Gesichtern und einer starken Erscheinung. Tante Faye würde sie Wilde nennen. Mindestens ein halbes Dutzend hat sich um das Tor herum versammelt und beobachtet jede unserer Bewegungen. Ich schlucke schwer, treibe Grace noch etwas mehr an, um neben Elijah her zu reiten. Diese Männer machen mir Angst. In ihren schwarzen Umhängen, die reichlich mit Fell besetzt sind, und den grimmigen Blicken, erinnern sie mich aus irgendeinem, unerfindlichen Grund an Krähen. Allerdings spüre ich, dass etwas sie beunruhigt. Etwas ist heute nicht wie sonst.

Time Travelling | Broken SoulsDonde viven las historias. Descúbrelo ahora