LXXXI | Geräusche

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Es ist, als hätte das Haus mir etwas zurück geben müssen. Zum ersten Mal bekomme ich das Gefühl, dass Steve, als er mir meine Erinnerungen genommen hat, er mir einen Teil meiner selbst entwendet hat. Meine kalten Finger gleiten an meiner Schulter hinauf, zu der Brosche an meiner Schärpe, um diese fest zu umklammern. Madame Rossini hat gesagt, sie wäre ein Erbstück meiner Familie. Mein Großvater schenkte sie meiner Mutter und nun gehört sie mir.

„Ich bin eine Moonrose...", Wispere ich mir selbst zu. Und eine verdammte Moonrose wird nicht in einem alten Gebäude zusammenbrechen, nur weil sie etwas gesehen hat. Wir geben niemals auf, wir sind Kämpfer und gerade bin ich hier, um für die Wahrheit zu kämpfen. Für meine Wahrheit. Ich muss einfach mehr über meine Herkunft, über mich, erfahren. Die dunkle Vorahnung, dass diese Herkunft etwas mit diesem Gebäude zu tun hat, verfestigt sich in mir.

Ich zwinge mich förmlich dazu, wieder aufzustehen. Nicht, weil mir der staubige Fußboden so sehr gefällt, sondern weil ich weiter gehen muss. Etwas hat sich in meiner Brust verhakt und zieht mich in das obere Stockwerk.

Die Luft zieht durch die gesprungenen Scheiben und mit einem Mal klingt es, als würde das Haus weinen. Vorsichtig steige ich eine Stufe um die andere hinauf und werfe einen Blick aus dem gigantischen Fenster, welches sich hinter der Treppe erhebt. Es scheint das einzige zu sein, das noch komplett intakt ist. Der Himmel hat sich mit Wolken verdüstert, in der Zeit in der ich hier drin war. Unwillkürlich frage mich, wie lange ich schon hier bin und wie lang mir noch bleibt, bis Elijah seinem super Hybriden Gespür folgt und meine Freunde hier aufschlagen. Es sieht nach einem Gewitter aus, so wie die Wolkenberge sich über dem Wald, der sich hinter dem Anwesen eröffnet, zusammen brauen.

Dieses Haus ist irgendwo im nirgendwo, wird mir klar. Es ist meilenweit entfernt von jeglichen Nachbarn und dahinter ist nur Wald. Wäre ich hier aufgewachsen, wäre ich wahrscheinlich durchgedreht. Auch wenn es vor langer Zeit einmal wunderschön gewesen sein mag, jetzt ist es verloren und macht auf mich den Eindruck, als wäre es von der endlosen Zeit, in der es auf sich allein gestellt war, wahnsinnig geworden.

So wie ich, wenn ich hier noch länger stehen bleibe. Energisch streiche ich eine Haarsträhne zurück an ihren Platz, als ich mit nahezu Hechtsprüngen, die letzten Absätze hinauf hopse. Das obere Stockwerk ist genauso trostlos wie das Erdgeschoss. Nur wenige Bilder zieren die Wände der Flure, die in beide Richtungen abführen. Aber diese Gemälde sind zum Großteil verhangen, mit weißen Tüchern. Manche waren anscheinend weniger wichtig, denn sie wurden ungeschützt dem Staub ausgesetzt. Alleine die Rahmen müssen unglaublich wertvoll sein. Ein Wunder, dass es noch nicht geplündert wurde, in der Zeit, in der es leer steht.

Vorsichtig gehe ich auf eines der Bilder zu und mustere die Person, die darauf abgebildet ist. Es ist ein junger Mann, mit dunklen Haaren, die sich in seinem Nacken kräuseln. Sein schmales Gesicht sieht freundlich aus, auch wenn es von einer vornehmen Blässe gezeichnet ist. Das einzige an ihm, das an die Helligkeit seiner Haut heran reicht, sind seine hellen Augen. Grün. Ein helles, strahlendes Grün, das trotz der Staubschicht lebendig wirkt. Mit den Fingern streiche ich den Dreck von der schmalen, goldenen Plakette, die sich am unteren Ende des Rahmens befindet. Ich muss etwas in die Hocke gehen, um den Namen entziffern zu können, der darauf gedruckt wurde. Johann Moonrose.

Wahrscheinlich war er einer meiner unzähligen Vorfahren. Ich lasse meinen Blick den Gang zu meiner linken hinunter gleiten. Der Boden ist, wie auch zu meiner rechten, mit einem beigen Teppich bedeckt. Auf dieser Seite sieht er jedoch abgenutzter aus. Dunkle, fast durchgetretene Flecken machen sich in der Mitte breit und ich beschließe, dem nach zugehen. Was anderes habe ich ja auch nicht zu tun. Eventuell finde ich ja eine Bibliothek, oder so. Dafür haben wir Moonroses ja bekanntlich ein Faible. Selbst Faye hat ihre eigene Bibliothek.

Time Travelling | Broken SoulsWhere stories live. Discover now