LXXVIII | Der Ariadnefaden

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„Die Frage ist nur", fährt O'Byrne fort, „Wieso du davon >betroffen< bist."
Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht war es ja auch ein Zufall. Ein Versehen."

Eigentlich weiß ich ganz genau, dass es kein Zufall gewesen sein kann. Ich berühre nicht etwas und urplötzlich schießen alle Ereignisse die mit diesem Gegenstand in Verbindung standen, zufällig durch den Kopf. Das ist doch Schwachsinn.

„Vielleicht." Nickt O'Byrne, während er mich schon zur nächsten Vitrine dirigiert. „Macht es dir etwas aus, wenn wir es noch einmal probieren?"

Eigentlich macht es mir ziemlich viel aus, aber ich halte den Mund. Ein kleiner Funken Hoffnung ist immer noch in mir, der darauf hofft, dass das wirklich ein Zufall war. Das nächste Artefakt ist ein eigenartiges Knäuel, an dem ich wirklich nichts Besonderes erkennen kann. Erneut greift O'Byrne hinein und hebt das Fadenknäuel heraus. „Der Ariadnefaden ist das Relikt der Feenwesen."

Ich nehme den Faden unsicher entgegen und betrachte ihn eingehend. Es ist ein einfacher, goldschimmernder Faden, so wie Faye ihn zum sticken benutzt. Ich will ihn schon wieder zurück geben, als nichts passiert, in diesem Moment jedoch, trifft es mich wie ein Blitz.

Ein junger Mann läuft, mit dem Faden in der Hand, durch ein Labyrinth. Ich kann seine Panik spüren und höre ein widerliches grunzen von hinten. Der Mann läuft immer schneller, mit der anderen Hand hält er ein kurzes Messer fest.

Die nächsten Bilder springen vor mein Auge. Der Mann steht über einen Körper gebeugt, der einige Stichverletzungen aufweist. Es ist kein Mensch, zumindest kein ganzer. Der Körper stammt zwar von einem Mann, jedoch ist er überzogen mit braunem Fell und der Kopf stammt von einem Bullen. Natürlich, ein Minotaurus.

Das letzte Bild verblasst vor meinen Augen und ich bin nicht so plötzlich wieder da, wie vorhin. Weiße Flecken tanzen vor meinen Augen, die ich angestrengt weg blinzle bis ich wieder klare Sicht habe. „Das Labyrinth des Minotaurus." Ist das erste was ich sage. Ich kenne es, aus einer Serie, die mein Bruder früher Mal geguckt hat.

Erfreut lächelt O'Byrne mich an, während er das Knäuel aus meinem Griff befreit. „So ist es. Der Ariadnefaden half Theseus wieder aus dem Labyrinth des Minotauruses hinaus zu finden."
Kaum liegt das Relikt wieder an seinem Platz, zieht O'Byrne mich weiter zum nächsten Stück. „Das hier ist wohl das wertvollste Artefakt."

Fast liebevoll streicht O'Byrne über das goldene Pendel, welches in der Vitrine steht. „Das hier ist das Pendel der Zeit. Man sagt, und das ist wohlbemerkt nur eine Legende, wenn es anhält, dann stoppt die Zeit auf der ganzen Welt."

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich darauf gefasst bin, dieses Pendel zu berühren. Wenn es wirklich die Zeit überwacht, dann ist es älter als Menschengedenken. Was muss es nur schon mit angesehen haben?

Das beständige ruhige Ticken lullt mich beinahe ein, so müde bin ich langsam schon. Trotzdessen strecke ich die Hand aus und lege sie auf dem Goldenen Rahmen des Pendels ab und versuche Mister O'Byrne, der ziemlich nahe neben mir steht, zu ignorieren. Einen tiefen Atemzug noch hole ich, mache mich schon mal auf die Überwältigung gefasst, die ich zu erwarten habe.

Es ist das erste Mal, dass ich ein Geräusch höre, bevor ich ein Bild sehe. Es ist nur ein leises, melodisches Summen, wie ein Kinderlied. Es ist nur ein undeutliches Gemurmel, aber es kommt mir vertraut vor. Wie eine Flamme einer Erinnerung, die ich schon lange aus meinem Kopf vertrieben habe. Eine langsame, fast wehmütige Melodie klingt in meinem Kopf nach.

In diesem Moment taucht endlich ein Bild vor meinen Augen auf. Eine Frau mit braunen Haaren wiegt beruhigend ein Kind in ihrem Arm. Sie steht mit dem Rücken zu mir, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen kann. Wir sind irgendwo draußen, in der Natur. Vielleicht in einem Wald oder einem Moor. Die Frau trägt ein dunkles, etwas ausgestelltes Kleid, was mich an ein einfaches Kleid aus dem 18. Jahrhundert erinnert. Madame Rosario könnte es mir mit Sicherheit sagen, aber leider habe ich nicht so sehr aufgepasst, als sie mir die Kleidungsstile der verschiedenen Epochen erklärt hat.

Time Travelling | Broken SoulsWhere stories live. Discover now