LI | Die drei Fragezeichen

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Angestrengt die Augen zusammengekniffen, fokussiert Cherry den Spiegel an, der vor ihr auf einer Staffelei steht, die Elijah aus den tiefen seines Ateliers gekramt hat. Kleine Schweißperlen laufen ihr über die Stirn, als sie die Hände hebt und versucht, ihre Kraft in ihre Fingerspitzen zu lenken. Ein leises knistern ertönt, als wenn von irgendwo ein Experiment mit Strom durchgeführt wird. Angespannt atmet sie aus und benutzt dabei die Atemtechnik, die Steve ihr gezeigt hat. Ihre dünnen Finger beginnen zu zittern, als sie sie nach vorne ausstreckt und auf den Spiegel deutet. Kurz scheint der Spiegel zu erzittern, doch mehr passiert nicht. Enttäuscht lässt sie ihre Arme wieder sinken und dreht sich zu Steve, Elijah und mir um, die wir auf einem Korbsofa sitzen und sie beobachten. Lautstark zieht Steve an seinem Strohhalm, der in dem Becher vom Mindy's steckt. Schon seit wir hier angekommen sind, trinkt er daraus. Der Milchshake scheint absolut nicht leer gehen zu wollen.

„Das war...", setzt Elijah an, doch ihm scheint kein geeignetes Wort einfallen zu wollen, also lässt er das Ende des Satzes offen im Raum hängen. Auch ich kann nichts dazu sagen. Seit einer geschlagenen Stunde versucht Cherry jetzt schon diesen Spiegel zerspringen zu lassen. Ich habe mittlerweile schon meinen vierten Tee von Elijah bekommen, der sich einen Spaß daraus gemacht zu haben scheint, mir die unterschiedlichsten Teesorten vorzusetzen. Ich hatte schon einen Tee, der komischerweise nach Erde geschmeckt hat, einen Zitronentee, einen, von dem Elijah gesagt hat, er käme aus Indien, der allerdings mehr nach billigen Diskounter geschmeckt hat und einen Earl Grey. Der war allerdings auch nicht so gut, wie der von Mister Bauclerk.

„Nicht so ganz produktiv." Ergänzt Steve schmatzend Elijahs angefangenen Satz. Cherry lässt die Schultern absinken und seufzt resigniert. „Ich weiß auch nicht was los ist. Vorhin, bei mir Zuhause, ging es noch perfekt."

Steve, bei dem mir jetzt auffällt, dass ich ihn noch nie ohne essen gesehen habe, erhebt sich Schwerfällig vom Sofa und stellt seinen Becher auf den Tisch. „Das kann passieren. Du hast gesagt, du hast nur die Vase verschoben und die Glühbirne zerstört. Es hat dir geholfen, dass du emotional aufgewühlt warst, als du die Vase verschoben hast. Deine Geschwister haben dich wütend gemacht, so konnten deine Kräfte sich eher manifestieren. Eine Glühbirne ist sowieso etwas einfacher als alles andere, weil sie von sich aus Energie in sich trägt. Ein Spiegel hat das nicht und emotional aufgewühlt scheinst du auch nicht zu sein." Er zuckt mit den Schultern. „Du bist noch nicht trainiert genug, um deine Magie auf einen Punkt zu lenken. Versuch dich auf deine Hände zu konzentrieren."

Ich habe kaum die Hälfte verstanden, von dem was er gesagt hat und auch Elijah scheint etwas verloren zu sein. Vorsichtig tippe ich ihn an. „Was redet er da?" „Irgendwas von Katalysatoren. Über so ein Zeug spricht er ständig." Er verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich zurück. Ich ziehe meine Beine an und streiche meinen karierten Rock glatt. „Ständig?" „Ja, ständig. Beim Abendessen, beim Frühstück, selbst wenn ich in der Bibliothek bin, redet er davon."
Leise Kichere ich. „Was macht er denn ständig hier?"

Elijah sieht mich von der Seite an. „Er wohnt hier. Steve ist sowas wie mein Mitbewohner. Frag mich nicht, wie es dazu gekommen ist, irgendwann hat er sich einfach ein Zimmer ausgesucht und ist nicht mehr rausgekommen."
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. „Zahlt er wenigstens Miete?"

Mit einer Grimasse schüttelt mein Partner den Kopf, kommt jedoch nicht dazu etwas zu sagen, denn Cherry wirft sich neben uns aufs Sofa und starrt Missmutig in den Himmel, der durch das nichtvorhandende Dach des Innenhofes, gut zu sehen ist. Dunkelgraue Wolkenberge türmen sich dort oben auf und läuten ein schweres Gewitter ein. Sollten wir nicht langsam mal rein gehen, wenn wir nicht nass werden wollen? Doch stattdessen hocken wir hier draußen auf dem Sofa und betrachten Steve jetzt dabei, wie er den Spiegel an haucht und kleine Muster darauf malt. Da fällt mir wieder ein, was Elijah mir erzählt hat, als er mich zum ersten Mal abgeholt hat: Steve ist etwas verrückt. Vielleicht nicht so, wie man es sofort erwartet, aber eine Schraube ist bei ihm schon locker.

Time Travelling | Broken SoulsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt