XL | Sybilla

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Ich lasse mich auf die Bank im Inneren der Kutsche sinken und ordne die Schichten meines Rockes. Elijah steigt dazu, schließt die Tür hinter sich und setzt sich mir gegenüber hin.
„Ist alles in Ordnung?" Wiederholt er seine Frage nachdrücklich. Wieder nicke ich knapp, wende den Blick ab und starre stattdessen raus. „Wohin fahren wir?" „Zu Sybilla." „Ist mir klar." Erwidere ich genervt, „Wo wohnt Sybilla?" „Wohnen ist gut", Elijah lacht nervös, „Hausen ist wohl die bessere Bezeichnung dafür."

Ich Lächele leicht. Wo rein reite ich mich da schon wieder? Eine schwarze Hexe, die irgendwo haust. Ganz toll. Aber andererseits, wenn die beiden sich schon so lange kennen, könnte sie mir eventuell mehr über Elijahs Eltern erzählen. Ich glaube ihm nämlich nicht so ganz, dass sie tot sind. Auch wenn Elijah mir das gerne weismachen würde. Das kam einfach zu schnell aus ihm heraus geschossen. Ich werde noch raus kriegen, was er da versucht vor mir zu verbergen. Mann, so langsam fühle ich mich echt wie Sherlock Holmes.
Die Kutsche ruckelt über die Straße, vor dem Fenster ziehen Spaziergänger vorbei. Wieso gehen in diesem Jahr so viele Leute spazieren? Natürlich, es gibt noch kein Fernsehen und kein Internet, aber haben die nichts besseres zu tun? Müssen die Leute nicht auch mal arbeiten gehen?

„Hörst du mir überhaupt zu, Katherine?"

Ich habe gar nicht mitbekommen, dass Elijah mit mir gesprochen hat. Kurz schüttle ich den Kopf, um wieder klare Gedanken zu haben, und sehe Elijah an. „Was hast du denn gesagt?" Grinse ich, was Elijah zum schmunzeln bringt. „Ich sagte, dass Sybilla einen Tick hat, die Hände anderer Leute zu lesen. Sollte sie das auch bei dir machen, und etwas sagen, was dich beunruhigt, nimm es nicht zu ernst. Manchmal macht sie sich einen Spaß daraus Menschen Angst zu machen."

Ich nicke langsam. „Was sollte sie denn sagen?"
Elijah zuckt mit den Schultern. „Todesvorhersagen, schlechte Omen, Unglückslinien und eventuell auch groß aufgebauschte Lebenslinien." „Wow." Ist alles was ich sagen kann. Tante Faye hat schon so manches Mal im Kaminzimmer mit ihrer Spirituellen Truppe Tarotkarten gelegt, aber Handlesen noch nie. Sie sagte mal, dass man dazu sehr gute Augen, und eine noch bessere Menschenkenntnis benötigen würde. Und natürlich das wissen, wie man Handlinien deuten muss. Nachdenklich mustere ich Elijah. „Was ist denn, wenn sie recht hat?"
Er runzelt die Stirn, lehnt sich mit dem Kopf gegen das Holz der Kutsche. „Was meinst du?" „Die Todesomen, von denen du gesprochen hast."

Auf Elijahs Gesicht breitet sich ein besorgter Ausdruck aus. Er beugt sich vor, greift nach meiner Hand, und sieht mir direkt in die Augen. „Glaubst du etwa an sowas? Katherine, ich kann dir versichern, dass ich lang genug auf dieser Erde wandle, um zu wissen das Handlesen der größte Schwachsinn ist, der mir jemals unter die Augen gekommen ist. Und selbst wenn Sybilla recht haben sollte", zufrieden lehnt er sich zurück, fährt sich mit einer Hand über das Kinn und Grinst mich provokant an, „stehst du immer noch unter dem Schutz vom großen, bösen Wolf."
Mir entfleucht ein Kichern, während ich nicke. Unter dem Schutz des großen, bösen Wolfs. Das klingt wie der Titel einer sehr schlechten Fantasyserie. Aber so ist es. Elijah beschützt mich.
„Verstanden?" Will Elijah amüsiert wissen, drückt aufmunternd meine Hand. Zustimmend nicke ich. „Klar, großer böser Wolf."

Ruckartig hält die Kutsche an, und vom Kutschbock aus wird gerufen: „Wir sind da!"
Seufzend erhebe ich mich, wobei die unzähligen Stoffschichten aneinander reiben, und folge Elijah hinaus ins Sonnenlicht. Wir scheinen ein Stück aus Malson Falls hinaus gefahren zu sein, sind jetzt in einer Gegend die ich nicht aus unserer Zeit kenne. Während Elijah den Kutscher bezahlt, stehe ich unschlüssig auf dem Bürgersteig, zupfe mein Kleid zurecht. Richte meine Ärmel, drehe meinen Rock ordentlich. Dabei betrachte ich die Gebäude vor uns. Hier scheinen nicht so wohlhabende Leute zu wohnen, wie im Zentrum von Malson Falls. Die Leute hier sind Arbeiter, stehen anscheinend an der Grenze zur Armut. Und hier soll eine schwarze Hexe wohnen. Jetzt wird mir klar, wieso Elijah Hausen bevorzugte. Ich entdecke eine Frau an einem der Fenster. Sie ist wirklich dünn, trägt ein Baby auf dem Arm und ein unscheinbares graues Kleid. Ein Baby? Diese Frau kann unmöglich älter als ich sein. Plötzlich fühle ich mich in meinem pompösen Kleid sehr fehl am Platz. Ich passe, so wie ich aussehe, wirklich besser ins Zentrum von Malson Falls, als hier hin. Nebenbei nehme ich wahr, wie Elijah an meine Seite tritt. „In unserem Jahrhundert ist diese Gegend nicht mehr so." Erklärt er. Fast kriege ich den Eindruck, er wolle mich beruhigen. „Jetzt stehen hier Neubauten."

Time Travelling | Broken SoulsDonde viven las historias. Descúbrelo ahora