LVII | Haltungsunterricht

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Nachdem ich vom Ausmessen, bei Madame Rosario zurück bin, schiebt Elijah mich gleich in die Obhut der nächsten Verrückten. Isabell zieht mich in eine feste Umarmung, kaum habe ich die Türschwelle überschritten. Ihr blumiger Lieblingsduft schlägt mir entgegen und ich habe das Gefühl, dass wenn ich dieses Parfüm noch einmal riechen muss, ich kotzen werde. So langsam entwickel ich echt eine Phobie vor stark riechenden Blumen.

Doch ich lasse es über mich ergehen. Immerhin ist sie die einzige aus Audreys Zweig der Familie, die wirklich nett zu mir ist. Das will ich mir nicht verspielen, nur weil ich mich nicht drücken lassen will. Dafür nehme ich auch gerne in Kauf, halb zu ersticken. Trotzdem bin ich erleichtert, als sie mich loslässt. Erfreut nimmt sich mich bei den Schultern und strahlt mich an. „Katherine", seufzt sie theatralisch und rüttelt mich etwas, „Wir machen jetzt eine würdige Erbin unserer Blutlinie aus dir."

Ich sehe sie etwas beleidigt an. „Meinst du etwa, dass ich jetzt keine würdige Erbin bin?"
Isabell schenkt mir ein sanftes lächeln und schüttelt mich nochmal. „Ich meinte natürlich, eine noch würdigere. Wenn du Mister O'Byrne triffst, wollen wir doch, dass unsere Familie gut dasteht."

Ich nicke langsam, auch wenn ich mich frage, was zur Hölle Mister O'Byrne mit unserer Familie zu tun hat. Sobald Isabell sich etwas von mir entfernt, werfe ich einen Blick über die Schulter, um Elijah stumm anzuflehen, mich hier nicht alleine zu lassen. Aber als könnte er meine Gedanken lesen, ist er schon verschwunden. Was für ein Verräter!

Gezwungenermaßen wende ich mich wieder meiner Cousine zu. Ihre Blonden Haare hat sie penibel hochgedreht, sie steckt in einem ordentlichen, grünen Businesskleid, dass ihr wie angegossen passt. Wahrscheinlich hat Madame Rosario es ihr geschneidert. Wie immer ist ihr Erscheinungsbild makellos. Perfekt, wie auch der Rest an ihr. Ihre Haltung ist kerzengerade, als hätte ihr jemand einen Stock, statt einer Wirbelsäule eingesetzt. Wie hat sie nur die Kraft, sich jeden Morgen so perfekt fertig zu machen? Ich bin schon mit mir zufrieden, wenn ich nicht sehnsüchtig zur Jogginghose gucke. Fast ist es so, als würde sie gar nicht anders können.

Sie steht über einen Tisch gebeugt da und kramt in einer Schachtel herum. Als sich eine Haarsträhne aus ihrer Frisur löst, schiebt sie sie Energisch zurück an ihren Platz. In einer einzigen fließenden Bewegung richtet sie sich auf und hält mir lächelnd ein paar Pumps hin. „Für dich!" Strahlt sie. „Die müssten dir eigentlich passen. Damit kannst du laufen üben, denn bei deiner Uniform, wirst du garantiert nicht das da tragen!" Angeekelt deutet sie auf meine Turnschuhe. Ich runzle die Stirn. „Bei meiner Uniform?" „Ja", sie wedelt auffordernd mit den Schuhen. „Probier sie mal an."

Leidend schlüpfe ich aus meinen Sneakers und in die hochhackigen Schuhe. Leider passen sie genau. Lieber wäre es mir gewesen, wenn sie viel zu klein oder zu groß gewesen wären, dann hätte ich wenigstens nicht darauf herum stolzieren müssen. Zaghaft mache ich einen Schritt vor den anderen und versuche nicht umzuknicken. Aufgeregt hüpft Isabell auf und ab. Ich frage mich, wie sie das macht. Ihre Schuhe haben locker den doppelten Absatz meines Schuhes, aber trotzdem kann sie damit rennen, hüpfen und tanzen. „Du machst das toll, Katherine!"

Sie sollte wirklich mal darüber nachdenken, Motivationscoach zu werden.

Kurz bevor ich bei ihr ankomme, greift sie nach meinen Händen und hilft mir, das Gleichgewicht zu finden. „Allerdings sollten wir vielleicht erst mal mit deiner Haltung beginnen."

Sie wartet noch, bis ich wieder fest stehe. Dann macht sie ein paar Schritte zurück und demonstriert mir unfreiwillig, wie man ordentlich auf diesen Schuhen geht. Neben ihr sehe ich aus, wie ein Ochse auf Rollschuhen.

Meine Cousine streckt die Schultern noch weiter zurück, hebt ihr Kinn an, perfektioniert ihren graden Rücken und stellt die Füße in einem natürlichen Abstand zueinander auf. Dann macht sie einen Schritt vor, noch einer folgt. Jeder ihrer Schritte wird mit einer Perfektion ausgeführt, die ich gar nicht fassen kann. Jede Bewegung sitzt so, wie sie es will. Zufrieden beobachtet sie sich selbst in der riesigen Spiegelwand, die sich über eine komplette Seite des Zimmers erstreckt, in dem wir trainieren. Es wirkt so, als wäre es komplett aus Marmor gehauen wurden. Nur eine Eisenempore auf der anderen Seite, über der Eingangstür, zeugt davon, dass es nicht so ist. Eine andere Tür, oben auf der Empore, führt in den angrenzenden Raum.

Time Travelling | Broken SoulsWhere stories live. Discover now