XLIII | Die Jägernacht

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Es ist genau 20:38 Uhr, als Elijah und ich über die Hauptstraße in Richtung Wald rasen. Die Straßenlaternen leuchten schon und der Mond strahlt in voller Größe über den Baumwipfeln. Ich habe den Kopf in den Nacken gelegt und starre aus dem Fenster in den Nachthimmel. Vorhin, als wir aus dem Museum kamen, hat Elijah mir das Sternbild von Orion gezeigt. Aber jetzt kann ich es nirgendwo mehr entdecken. Er hat erzählt, dass Orion gegen einen Skorpion gekämpft hat und dass deswegen diese beiden Sternbilder nie zur selben Zeit zu sehen sind. Interessanter Fakt, den ich wahrscheinlich bis morgen früh vergessen habe.
„Wann sind wir da?" Will ich wissen und drehe den Kopf zu meinem Partner. Er wirft einen Prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. „In circa zehn Minuten."
Noch während er spricht beschleunigt er und der kleine Pfeil des Tachometers kommt dem roten Bereich gefährlich nahe. Zum ersten Mal, seit ich mit ihm Auto fahre, stört es mich nicht. Je eher wir da sind, desto besser.

Gelangweilt beginne ich damit, an meinem Fingernagel herum zu kratzen. Elijah hat gesagt, wir fahren zur >Jägernacht<. Was auch immer das sein soll. Ich hoffe nur, dass man da keine Menschen jagt. Das könnte unschön werden. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir in meinem Kopf schon die wildesten Szenarien ausgemalt. Zum Beispiel, das es da mittelalterliche Hexenprozesse gibt, Menschenjagden, unzählige verwandelte Werwölfe oder Tänze, bei denen man nie wieder aufhören kann. Ich kann nur beten, dass ich falsch liege. Mit allem.

Elijah stoppt sein Auto erst, als wir auf dem Waldparkplatz stehen. Er ist wie leer gefegt, bis auf einen Wohnwagen der in einer Parklücke steht. Elijah, der anscheinend versucht den Preis für den schlechtesten Autofahrer Weltweit zu bekommen, parkt quer auf fast drei Parkplätzen. Wieso auch immer er sich strikt weigert, normal zu parken.

„Wir sind da", kündigt Elijah aufgeregt an, wobei er jede Silbe betont. So aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten, schnallt er sich ab und sieht mich erwartungsvoll an. Ich lache leise, schnalle mich ebenfalls ab und schiebe mein Handy in meine Jackentasche. „Also, großer böser Wolf, erzähl mal. Muss ich auf irgendwas achten, um nicht umgebracht zu werden?" Es sollte ein Scherz sein, aber ich habe die Befürchtung, dass ich tatsächlich Gefahr laufe umzukommen.
Elijah wiegt den Kopf hin und her, scheint in sich selbst einen inneren Konflikt auszufechten. „Bleib einfach in meiner Nähe, dann wird niemand es wagen dir zu nahe zu kommen." „Wie beruhigend." Murmle ich und streife mit den Fingerspitzen über meine Taschenuhr, die noch immer ein paar Zentimeter unter meiner Kehle hängt, und wie ein Herz schlägt. Ein schwaches Pulsieren. Elijah strahlt mich mit einem seiner 3000 Watt Lächeln an, dann öffnet er seine Tür und steigt hinaus in die kalte Nacht. Kopfschüttelnd folge ich ihm.

Eigentlich sollte ich die Temperaturumschwünge in Malson Falls gewohnt sein, aber sie überraschen mich immer wieder. Ich sollte wirklich damit anfangen, eine Jacke mitzunehmen. Während ich fröstele, streift Elijah seinen Mantel ab und wirft ihn auf den Fahrersitz. Aber ich weigere mich, ihn nach seiner Jacke zu fragen. Da friere ich lieber. „Wir müssen noch etwas in den Wald rein, bevor wir da sind." Erklärt er, während er die Tür zuknallt und das Auto verschließt. Ich nicke langsam, vergrabe meine Hände in den Taschen meines Blazers und wippe auf den Fußballen auf und ab. Eine Wanderung, durch den kalten, nächtlichen Wald, in dem sich auch wahrscheinlich Werwölfe aufhalten. Ein Familienfreundliches Abenteuer!

Einmal schüttle ich wild den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen und folge Elijah dann stapfend durch das fest getretene Laub. Unter meinen Füßen knackt es laut, und eine innere Angst breitet sich in mir aus. Ich stelle mir vor, dass wie im Horrorfilm ein Monster mich wegschnappt. Und es macht das Ganze nicht besser, dass ich das Gefühl habe, wir rennen geradewegs in ein Labyrinth. „Elijah?" Setze ich leise an, mache einige eilige Schritte meinem Partner nach und sehe von unten zu ihm auf, „Weißt du, wie man sich in einem dunklen Wald orientiert?" „Natürlich", kräftig nickt er mit dem Kopf, „und weißt du auch woher? Hat mir mein alter Kumpel Columbus beigebracht."
„Elijah, das ist nicht wirklich ein Argument für dich. Der Typ hat sich auf dem Weg nach Indien, nach Amerika verfahren. Das ist nicht mal annähernd dieselbe Richtung." Erwidere ich die Stirn kraus ziehend und hopse hinter ihm her über eine dicke Wurzel, die halb aus dem Boden ragt. Elijah scheint so, als würde er liebend gerne etwas Giftiges erwidern, verkneift es sich aber und hält mir die Hand hin, um mir einen kleinen Absatz hinunter zu helfen. Dankend ergreife ich das Angebot und stolpere hinunter. „Da hast du wohl recht."

Time Travelling | Broken SoulsWhere stories live. Discover now