XXIII | Privatsphäre

64 5 56
                                    

„Katherine!"

Elijah. Soll ich ihn mal so anschreien? Murrend drehe ich mich zur Seite. „Hey! Aufwachen!"

Ich spüre wie mir jemand durchs Gesicht fährt. Mühsam blinzle ich die schwarze Wand vor meinen Augen weg und erschrecke. Elijah sitzt direkt vor meinem Gesicht. „Du musst wirklich ganz schön müde sein, wenn du hier schon auf meinem Sofa einschläfst." Grinst er.

Mühsam richte ich mich auf und muss kurz gegen ein aufwallendes Schwindelgefühl ankämpfen. „Du hast mich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt, was erwartest du?" Murmle ich und schlinge mir fröstelnd die Arme um den Oberkörper. Bin ich wirklich eingeschlafen? Und wo ist Henry überhaupt hin? Der Zwerg hat sich doch tatsächlich verdrückt!

„Soll ich dich nach Hause fahren?" „Wenn wir hier nichts mehr zu tun haben." Grummele ich. Da kommt in mir die übermüdete Kathy hervor. Plötzlich fällt mir das Ei wieder ein. Ich springe auf und sehe mich panisch um. Steve würde mich umbringen, wenn ich es verloren hätte! Ich lasse meinen Blick über die Kommoden und den Block wandern... Da ist es ja! Es steht an den Granitblock gelehnt auf den Boden. Es muss mir aus der Hand gefallen sein, als ich die Vision bekam. Henry hatte es wahrscheinlich zum Block gerollt. „Das Ei", Nuschle ich und zeige auf das undefinierbare Knäuel. „Oh", Elijah scheint es erst jetzt zu bemerken. „Steves Drachenei."

„Ach echt?" Platzt es da aus mir heraus, bevor ich nachdenken kann. Elijah sieht mich verblüfft an. Ich sollte wirklich mehr daran arbeiten, meinen Mund zu kontrollieren.

„Woher weißt du das?" Fragt er durch zusammen gebissene Zähne. Mist...

Ich kann ihm ja nicht sagen: >Ach keine Panik, das hat mir dein kleiner Geister Neffe gesteckt, wusstest du übrigens, das er hier herum spukt?<

„Na ein Hühnerei kann es ja wohl nicht sein, oder?" Lache ich. Hoffentlich bekommt er nicht mit, dass ich sau nervös bin. Elijah beugt sich runter und hebt das Ei auf. „Da hast du allerdings recht." Als wäre es ein Aktenkoffer, klemmt er sich das Ei unter den Arm und sieht sich im Zimmer um. „Irgendwie wusste ich, dass du herkommen würdest."

Ich lehne mich gegen die Armlehne und beobachte ihn. Er muss schon oft in diesem Raum gewesen sein, aber jetzt sieht er sich um, als würde er ihn zum ersten mal sehen. „Warum?" Frage ich leise. Ohne mich anzusehen zuckt er mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Dieser Raum strahlt eine gewisse Ruhe aus, findest du nicht?"

Klar. Eine tolle Ruhe, wenn ein kleiner Geisterjunge die ganze Zeit um dich herum geistert.

Aber jetzt wo Henry verschwunden ist, merke ich auch die Energie des Raums. Eine alte Energie. Es riecht nach Holz, Papier, Farbe und Leim. Aber auf meiner Seele brennt eine Frage:

„Diese Bilder hat alle du gemalt, oder?"

Elijah nickt leicht, während er immer noch aus dem Fenster sieht. „Das habe ich, ja."

Ich nehme all meinen Mut zusammen. „Warum? Warum malst du so gern?"

Elijah dreht sich zu mir, sieht mich einen Moment lang an und lächelt dann. „Malen", Philosophiert er, während er anfängt ziellos umher zu wandern. „Malen ist Kontrolle. Ich entscheide welche Farben ich benutze, wo ich auf der Leinwand male, wie ich die Pinselstriche setze und was ich male. Ich habe die komplette Kontrolle darüber."

Er stoppt um ein paar Blätter auf dem Granitblock beiseite zu schieben und sich darauf zu hieven. Das Ei immer noch unterm Arm. Mit zusammen gepressten Lippen beobachte ich ihn. Er klingt traurig. Irgendwie. Aber warum...

„Oft haben wir keine Kontrolle darüber, welchen Weg unser Leben geht, aber beim Malen, da habe ich die Entscheidungen. Ich muss mich nicht fragen: >Was ist richtig? Was muss ich tun damit es der Mehrheit gut geht? Was ist gerecht?< Ich entscheide einzig und allein für mich."

Time Travelling | Broken SoulsWhere stories live. Discover now