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Während meine Mutter und mein Vater die letzten Vorbereitungen in der Küche und im dazu gehörigen Esszimmer trafen, stand ich Minuten lang vor dem Spiegel und suchte nach Ideen, was ich anziehen könnte. Es wird kein normales Treffen unter Freunden sein. Charles wird da sein. Der Mann, der mir vor weniger Zeit das Leben rettete... Ich hoffte nur schwer, dass er davon nichts erzählen würde. Andernfalls wäre ich nicht nur am Arsch, ich könnte sofort meine Sachen packen und mich von meinen Eltern hochkant in eine Psychiatrie einweisen lassen.

Am Ende entschied ich mich für ein hellblaues Top mit Bandträgern und dazu zog eine beige Cargohose.  Meine Haare ließ ich offen, kämmte sie aber sorgfältig durch. Die Wellen fielen in meinem Spiegelbild lang über meine Schultern und reichten mir ungefähr bis zum Bauchnabel. Danach trug ich nur noch etwas Schminke auf, aber ziemlich natürlich und dann war ich fertig.

Ich würde sagen genau auf den Punkt, denn im selben Moment, in dem ich nach meinem Handy griff, hörte ich die Klingel. Mein Puls stieg rasant an und ich zögerte, die Treppen hinunterzusteigen. Im Wohnzimmer warf ich einen letzten Blick in den Wandspiegel, der unter der Uhr hängt. Halbwegs zufrieden wandte ich mich ab. Ich lauschte den Stimmen, die aus ich aus dem Eingangsbereich vernahm. Meine Eltern begrüßten unsere Gäste hörbar überschwänglich. Ich jedoch entschied mich dafür, die erste Konversation mit Pascale und Charles so weit wie es ging, hinauszuzögern, da es mir ehrlich gesagt etwas davor graute sie hier anzutreffen. Besonders weil Charles dabei ist und ich diesen ja erst seit Kurzem kenne, Pascale jedoch schon Jahre.

Aufgeregt versuchte ich meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Mein früherer Therapeut sagte mal:
In anspruchsvollen Situationen musst du dich im Raum umschauen und dir eine Farbe aussuchen.  Alle Gegenstände die diese Farbe an sich haben, zählst du auf. Das wird deine Gefühle regulieren und du wirst spüren, wie du dich wieder konzentrieren und entspannen kannst.

Also schaute ich mich um und zählte alle blauen Sachen. Damals in meiner Therapiezeit, hatte ich öfter Panikattacken, die der Grund für Übungen wie diese waren. Heute jedoch ist es reiner Stress, die Wirkung der Übung bleibt aber gleich.

Plötzlich ging hinter mir die Tür auf und mehrere Leute traten ein. Ganz vorne mit dabei meine Eltern und dahinter Pascale und... Charles. Unsere Augen prallten wie zwei Planeten aufeinander und verschmolzen ineinander. Ich zwang mich, meinen Blick abzuwenden. Dabei entdeckte ich einen weiteren jungen Mann, der unmittelbar hinter Charles den Raum betrat. Das musste dann wohl Arthur sein.

„Hey." begrüßte ich die Truppe und hob dabei eine Hand. Ich ließ meinen Blick durch die Leute streifen, doch am Ende blieb er nur wieder an Charles hängen. Er lächelte, als ich den Blickkontakt diesmal nicht unterbrach. „Hey", erwiderte er mit ruhiger Stimme und blieb neben seinem vermeintlichen Bruder stehen.

„Hi, Arthur." begrüßte mich dieser und reichte mir die Hand. Ich nahm diese freundliche Geste entgegen und stellte mich ebenfalls vor.

„Oh Célina. Lang nicht mehr gesehen. Alles gut bei dir?" Da zog mich Pascale, eine Frau mit schulterlangen Haaren in eine Umarmung. „Ja klar. Und bei dir?" wollte ich wissen und löste dabei die Umarmung auf.

„Bei mir ist alles gut, danke." Sie lächelte zufrieden, doch im Augenwinkel bemerkte ich deutlich, wie sie an meinem Körper runter schaute und jeden Quadratmeter skeptisch begutachtete. Sofort fühlte ich mich unwohl und umschlang meinen Bauch deshalb aus Reflex mit meinen Armen. Meine Stimmung fiel vom einen auf den nächsten Moment in den Keller...

„Charles, willst du dich Célina nicht vorstellen?" Fragte die Mutter der zwei jungen Erwachsenen und bedachte ihren Sohn mit strengem Blick wie ich ihn von meiner Mom von früher kannte, als sie mir beim Kennenlernen meines Onkels und dessen Kindern sagte, ich solle nicht so schweigsam sein. Hätte sie damals gewusst, was sie mit diesem Kennenlernen verrichtet hat, wäre sie garantiert sofort wieder umgedreht und mit mir nachhause gefahren...

Charles, dem diese Situation, genau wie mir, sehr unangenehm war, kratzte sich verlegen am Hinterkopf und schien zu überlegen, was er jetzt sagen könnte. „Also ähm...." Stammelte er unsicher.

„Wir kennen uns schon..." Übernahm ich schlussendlich die Antwort und versuchte meinen neutralen Blick aufrecht zu erhalten. Meine Eltern, wie auch Charles' Mutter warfen sich einen verblüfften Blick zu, sagten aber nichts weiter dazu. Ihr Grinsen entging mir jedoch nicht im Geringsten.

Wir setzten uns an den gedeckten Tisch, wo Charles direkt neben mir Platz nahm. Während meine Eltern all die essbaren Sachen an den Tisch trugen, unterhielten sich Arthur und Charles mit ihrer Mutter über irgendwas. Pascale und ihre Söhne boten meinen Eltern immer wieder an zu helfen, doch sowohl Mom als auch Dad schlugen das Angebot dankend ab.

Als ich auf das Essen schaute, drehte sich mein Magen mindestens fünfmal um. Die anderen griffen bereits nach den verschiedensten Snacks, während mein Teller leer blieb. Erst als meine Mutter, die mir gegenübersaß, einen unauffälligen Stoß gegen meinen Fuß gab, wachte ich aus meiner Starre auf und griff zögerlich nach zwei Tomate-Mozzarella Spießen, mehr holte ich mir nicht. Ich wusste immerhin, dass mir meine Mutter vor all den Leuten keine Standpauke über mein Essverhalten halten wird.

Um nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, ließ ich mir für jeden Spieß extrem viel Zeit. Ich spürte zwischendurch Charles' Blick auf mir, erwiderte ihn jedoch nicht. Ich konnte mir schon denken, dass er mich komisch findet.

Meine Eltern und Pascale unterhielten sich wie ein Wasserfall über alles Mögliche. Auch Charles, Arthur und ich wurden mal kurz mit einbezogen, aber nur um Antworten wie „Ja" oder eben „Nein" zu geben. Allerdings wollte mein Vater irgendwann Genaueres über Arthurs Lebensstand wissen, weshalb dann zuletzt nur Charles und ich teilnahmslos an dem alten Holztisch saßen, auf welchem in der Mitte eine rote Kerze flackerte, da es draußen bereits dunkel war. Alle Stimmen, die in diesem Raum Geschichten erzählten, prallten wie von selbst an meinem Ohr ab. Ich sah nur die sich bewegenden Münder, vereinzelt drangen auch mal Wörter durch mein Bewusstsein hindurch, aber das war's schon.

Als ich schon dachte, dass ich an diesem Abend ohne tiefgründige Gespräche oder viel Blickkontakt mit meinem Nebensitzer, davongekommen bin, weckte Besagter meine Aufmerksamkeit, indem er sich zu mir rüber beugte. Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Hast du Lust etwas rauszugehen? Ich glaube wir haben beide nicht so Lust auf langweiliges Rumgesitze..." Der Braunhaarige lächelte freundlich und nickte Richtung Tür. Der Mann hat wirklich den Punkt getroffen. Ich hatte wirklich nicht sonderlich viel Lust hier weiter rumzusitzen, jedoch hatte ich keine Sekunde geplant mit ihm alleine Zeit zu verbringen. Das Problem war nur, dass ich aus irgendeinem Grund, innerhalb weniger Augenblicke nicht mehr Herr meiner Selbst war. Ich antwortete, ohne wirklich zu wissen, was über meine Lippen stolperte.

„In Ordnung." Ich räusperte mich erschrocken über meine Antwort und verfluchte mich dafür. Im nächsten Moment erhob sich Charles von seinem Stuhl, hielt inne, bis ich ebenfalls aufgestanden war und gab dann seinem Bruder ein Zeichen, dass wir kurz draußen seien. Die Älteren bemerkten sowieso nicht, dass wir den Raum verließen...

Melody of death | Charles Leclerc FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt