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Eine nach der anderen Schublade des Schrankes in meinem Zimmer riss ich auf und durchsuchte sie. Mir war egal, dass ich dabei meine komplette Ordnung durcheinanderbrachte und mein Zimmer völlig verwüstete. Verdammt. Wo habe ich sie hingetan? Ich eilte zu meinem Kleiderschrank und ließ meine Hände durch meine Unterwäsche gleiten. Plötzlich spürte ich eine kleine Packung. Mein Herz machte einen Sprung und schien kurz darauf gänzlich stehenzubleiben. Hoffnungsvoll holte ich sie heraus und begutachtete sie. Antidepressiva. Mit zitternden Fingern zog ich das silberne Plastikstück heraus und musterte die Tabletten. Bis auf fünf war die Packung noch voll. Mein Arzt hatte sie mir damals nach meiner Diagnose verschrieben, aber ich hatte unter Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Schwindel gelitten und war komplett neben mir gestanden. Es war, als würde mein Körper ohne mich leben. Meine Depressionen waren zwar besser geworden, aber ich war noch erschöpfter als davor. Also habe ich aufgehört sie zu nehmen. Bis jetzt.

Ich schenkte mir in der Küche Wasser ein, legte eine der flachen, weißen Kugeln auf meine Zunge und trank sie anschließend herunter.
Ich hatte weder Ahnung, ob sie was helfen würden, noch ob die Nebenwirkungen zurückkämen, aber ich kann nicht mehr. Ich wollte gesund werden. Das wollte ich wirklich. Aber allein schaffe ich es nicht mehr.

Ich stellte das Glas in die Spüle und verstaute die Tabletten wieder in meinem Kleiderschrank. Ich wollte nicht riskieren, dass Charles oder sonst jemand sie findet. Erschöpft spazierte ich zum Bad, holte ein Handtuch aus dem Schrank neben dem Waschbecken heraus und drehte den Wasserhahn in der Dusche an. Ich entledigte mich meiner Klamotten und ließ sie auf den frostigen Boden fallen. Bei einem Blick auf meine Hüftknochen erschrak ich leicht. Ich legte meine Hand darauf und fühlte nichts als die Härte des Knochens. Ich trat forschend vor den Spiegel. Unter meinen Brüsten sah ich meine Rippen so deutlich, dass ich sie zählen konnte. Ich drehte mich seitlich und seufzte. Meine Brüste waren geschrumpft. Gleichermaßen wie mein Po. Aber was hatte ich auch anderes erwartet? Ich habe auch in Norwegen stets darauf geachtet so wenig Nahrung wie möglich zu mir zu nehmen. Wenn ich ehrlich bin, konnte ich nicht anders. Mit meinen Fußspitzen testete ich die Temperatur des Wassers. Warm genug. Ich stieg hinein und zog den Vorhang hinter mir zu. Den Duschkopf hängte ich am dafür vorgesehenen Platz ein und spürte, wie es unaufhaltsam auf mich runterschüttete. Genauso, wie meine Gedanken es plötzlich taten.

„Wieso kann ich nicht einfach normal sein?", flüsterte ich gegen die Wassertropfen an. Wieso bin ich nicht der Mensch, den sich meine Eltern bei dem ersten Schwangerschaftsbild gewünscht haben? Eine Träne lief über meine Wangen und vermischte sich mit dem ohnehin schon laufenden Wasser. Wann bin ich so geworden? So zerbrochen? So leer? Dieses Leben ergibt keinen Sinn für mich. Es macht mich nur kaputt. Alle sagen immer, dass die Menschen, die ihr Leben beenden wollen, dies nicht tun sollen. Aber warum sollen sie leiden? Warum soll ich hierbleiben, wenn ich hier nicht sein will? Wenn ich hier nicht mehr glücklich sein kann, weil alles gegen mich zu spielen scheint. Ich sank an der glatten Wand hinunter und stützte meinen Kopf auf meinen Knien ab. Das Wasser prallte auf meinen durchnässten Haaren ab und peitschte gleichzeitig meinen nackten Rücken. Mein Leben ist zu einem einzigen Scheiterhaufen geworden. Durch Charles bin ich blind -nein weich- geworden und habe meine eigenen Grenzen vergessen. Er hat meine Mauer bröckeln lassen und ich habe es zugelassen. Er hat mich zu einem besseren Menschen gemacht, wobei ich nicht gemerkt habe, wie sehr es ihn auslaugt. Niemals würde er mir sagen, dass ich ihn belaste. Aber Augen lügen nicht. Der Grand Prix in Deutschland hat mir den letzten Beweis gegeben, dass ich ihn kaputtmache. So wie jeden in meinem Umfeld. Niemand kann mir helfen. Ich schluchzte. Es tat weh. Meine innere Stimme war wie eine Harpune in meinem Herz und versprach mir einen gewissen, aber dennoch langsamen und quälenden Tod.

C H A R L E S

Die warme Nachmittagssonne des letzten Samstages in der Sommerpause verbrannte meine Haut. Trotzdem stellte die Sonne hier eine nicht allzu starke Belastung dar, wie in Maranello. Die letzten Tage waren anstrengend. Ich war von morgens bis abends beim Unternehmenssitz. Wir hatten die neuen Updates besprochen, Pläne für die Zukunft gemeißelt und vergangene Ergebnisse verglichen. Dann waren da noch die unzähligen Trainingseinheiten und Regenerationstermine. Alles, um perfekt für die zweite Saisonhälfte vorbereitet zu sein.

Melody of death | Charles Leclerc FFWhere stories live. Discover now