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C É L I N A

Inzwischen sind anderthalb Monate vergangen. Es war Anfang Oktober. In Monaco ist der Herbst eingezogen. Bunte Blätter sammelten sich auf den Gehwegen und kühler Wind wehte durch die Gassen. Ich liebte diese Jahreszeit. Um es genau zu sagen, ist es schon immer meine Lieblingszeit gewesen.

Charles und ich haben uns in den letzten Wochen selten gesehen. Es ist anders zwischen uns geworden, seit wir die Wunden des anderen kennen. Ich glaube wir brauchten beide Zeit, um uns zu sortieren. Außerdem hatte ich ihm genau das erzählt, was ich mir immer verboten hatte. Ich mache nun also genau das, was er mir vor den Kopf gestoßen hatte: ich distanziere mich, weil er mir helfen will. Ich fühle mich schlecht deswegen. Immerhin hat er mir erzählt, was ihn beschäftigt. Dadurch weiß ich, was ich einst in seinen Augen sah und nicht entschlüsseln konnte. Angst. Angst vor Verlust. Aber ich konnte nicht bleiben. Ich begehe eine Flucht, nur um weit weg von Mitleid und Hilfe zu sein.

Den Weg Richtung Fitnessstudio ging ich heute zu Fuß. Ich hatte mir einen beigen Mantel über die Sportkleidung gezogen. Mir war, seit ich heute Morgen aufgewacht bin, eiskalt. Ich hatte Kopfschmerzen und jeder Schritt tat weh. In dem Zustand war ich jedoch in letzter Zeit immer mal wieder. So stark wie heute, war es zwar noch nie, aber dennoch schaffte ich es, an andere Dinge zu denken.

Ein wohliges Gefühl erreichte mich, als ich durch das Laub stapfte. Wie früher, als ich ein kleines Kind war und mit meinen Geschwistern zum Kindergarten lief. Damals war alles noch so leicht...

Ein kleiner Schmerz durchzuckte meine Brust, als ich -wie schon seit anderthalb Monaten- nicht Mara hinter dem Tresen im Eingangsbereich stehen sah. Sie lebt nun in den USA und unser Kontakt ist beschränkt. Sie hat viel zu tun, um das Haus fertig einzurichten und meldet sich daher selten. Sie fehlt mir hier. Ihre überschwängliche Art gab mir immer mehr Motivation hier zu trainieren. Inzwischen zwingt mich nur noch mein innerer Schmerz. Durch den Sport kompensiere ich die negativen Gefühle. Auch wenn ich inzwischen noch mehr abgenommen habe, als ich es je wollte. Aber ich kann nicht mehr aufhören.

Ich setzte ein Lächeln auf, als ich den jungen Typ an der Kasse begrüßte und ihm meine Karte zur Abrechnung reichte. „Du hast Glück. Gerade sind nur zwei andere hier.", er lächelte und gab mir wenig später die Karte zurück. Ich nickte verstehend und dankte ihm. Bei den Umkleiden schloss ich mein Zeug in einen Spind ein und ging auf schwachen Beinen in den Trainingsbereich. Wie mir gesagt wurde, trainierten zwei junge Männer gerade an ihren Geräten. Ich stellte meine Trinkflasche auf dem Boden ab und steckte meine Kopfhörer in die Ohren. Zuerst benutzte ich ein Laufband. Obwohl mein Kopf und meine Glieder vor Schmerz dröhnten, stieg ich erst nach einer halben Stunde wieder runter. Doch dabei fing es sich an, um mich herum zu drehen. Ich hielt kurz inne. Ich musste mich wieder einkriegen. Was war das? Auf wackeligen Beinen trottete ich zu meiner Flasche, doch noch bevor ich sie erreichte, wurde mir schwarz vor den Augen. Das letzte, was ich wahrnahm, war ein dumpfer Schmerz, als mein Rücken auf den Boden knallte. Danach war da eine Weile nichts. Nichts außer erschreckender Dunkelheit.

Irgendwann hörte ich ganz entfernt gedämpfte Stimmen. Jemand rief meinen Namen. Vielleicht waren es auch mehrere Personen. Ich wollte meine Augen öffnen, doch es funktionierte nicht. Sie schienen wie zugeklebt. Doch je mehr Zeit verstrich, desto klarer wurden die Laute um mich herum. „Célina, hörst du mich?", ich blinzelte. Das grelle Licht der Decke blendete mich, sodass ich sie nicht mehr als einen Spalt öffnen konnte. Ich konnte zwei Männer in roter Kleidung erkennen. Neben ihnen stand Jordan, der Mann vom Eingang. Er sah besorgt auf mich herunter. „Sie ist wach. Hey, Célina, wir bringen dich in eine Klinik." Das darf nicht wahr sein. Verdammt! Ich riss panisch die Augen auf.
„Bitte nicht. Mir geht's doch gut.", stammelte ich. Ich wollte nicht ins Krankenhaus. Meine Eltern durften nicht erfahren, was mit mir passiert ist.
„Das ist unabdingbar. Du könntest sterben.", sagte der Arzt -wie ich ihn inzwischen identifiziert hatte- ernsten Blickes. Mir blieb die Luft weg. Sterben? Das konnte er doch nicht ernst meinen?! Ich war lediglich etwas schwach. Ein bisschen Schlaf würde das schon wieder richten.
Im nächsten Moment wurde ich auf eine Trage gehoben und aus dem Gebäude geschoben. Ich nahm alles nur entfernt wahr. Als wäre es ein Film, den ich mir von weit weg ansah. Ohne die Möglichkeit, zu handeln. Wie bin ich nur hier gelandet?

Melody of death | Charles Leclerc FFWhere stories live. Discover now