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Das Meer rauschte vor mir, während es sachte an den Strand schwappte. Einige Meter entfernt entlang des Sandes spielten kleine Kinder mit ihren Eltern. Weit draußen auf dem Meer segelte ein Boot, was einsam auf diesem unendlichen Ozean aussah.  Obwohl es erst Anfang August war, fühlte ich mich eiskalt. Ich wollte nicht nachschauen, wie warm es wirklich war. Mein Handy hatte ich seit Tagen nicht angeschaltet.

Charles hatte mich seit Dienstag bei sich untergebracht, weshalb ich für ihn zu der Zeit nicht erreichbar sein musste. Er hatte mich zwar gebeten es ab heute wieder anzuschalten -er ist nämlich schon in Ungarn für das Rennwochenende-, doch ich traute mich nicht. Ich wollte nicht die Beileidwünsche meiner Familie sehen, der ich zwangsläufig mitgeteilt hatte, dass Elmo fort ist. Und ich wollte nicht die Nachrichten der Menschen sehen, die mich nach wie vor hassten. Ich wusste, dass ich dem nicht standhalten könnte. Diesmal wäre ich zu schwach. Es hatte schon gereicht, dass vergangene Nacht wieder eine Gruppe junger Leute vor Charles' Wohnung gewartet hatte, die mich -ohne zu wissen, ob ich überhaupt da war- beschimpft hatte. Erst als Charles die Wohnung früh verlassen hatte, um zum Flughafen zu kommen, sind sie gegangen. Vielleicht hatte er ihnen gesagt, dass ich nicht da wäre. Ist auch egal. Jedenfalls sind sie gegangen.

Obwohl ich diese Wohnung seit Dienstag -also Elmo's Todestag- nicht verlassen hatte, überwand ich mich am heutigen Tag, Schuhe anzuziehen und zum Strand zu gehen. Die Sonne ging bereits unter und ich wartete nur noch auf die Sterne. Meine Mom hatte mal gesagt, dass die, die die Erde verlassen und einem wichtig waren, am hellsten am Himmel leuchten. Und obwohl ich an nichts glaube, spendete es mir Trost, als ich den ersten Stern entdeckte. Es war die Venus, der Abendstern. Je mehr sich die Sonne hinter dem Horizont versteckte und der Himmel sich dunkel färbte, desto mehr strahlende punkte erkannte ich auf dem Himmelszelt.

Ich hatte nicht bemerkt wie die fremde Familie den Strand verlassen hatte und auch das Segelboot war plötzlich nicht mehr zu sehen. Ich war allein an dem ellenlangen Sandstrand. Allein und einsam. Ich zog meine Beine an mich ran, umarmte sie mit meinen Armen und legte meinen Kopf auf den Knien ab. Wie ein kauerndes Kind bei Gewitter saß ich da und blickte auf die glitzernde Meeresoberfläche. Neben all den Sternen hatte sich auch der Mond seinen Platz am Himmel gesichert und wurde vom Wasser reflektiert. Langsam spürte ich, wie ich etwas ruhiger wurde. Zum ersten Mal, seitdem wir die Tierklinik verlassen hatten, spürte ich Tränen in meinen Augen. Die letzten Tage war ich wie betäubt gewesen, was meine Trauer verdrängt hatte. Aber jetzt kullerten all die verstauten Gefühle in Form von kleinen Tropfen über mein Gesicht und versickerten in meinem Pulli. Mein ganzer Körper zitterte, als ich schluchzte. Obwohl jeder immer sagt, dass man den Gefühlen Raum geben soll, bevor sie sich den Raum selbst nehmen, hatte ich das in den letzten Tagen nicht getan. Ich wollte immer, seit mein Onkel vor Jahren für Unruhe in mir gesorgt hat, alleine leiden. Ich wollte kein Mitleid, brauchte keinen Beistand und wehrte Hilfe ab. Aber meine Eltern waren damals nicht so blind gewesen, wie ich gehofft hatte. Sie haben mich zu einem Psychologen geschickt der Depressionen diagnostiziert hatte. Anschließend war ich in Therapie gekommen, hatte Antidepressiva nehmen müssen, aber es wurde nur so lang besser, wie ich in Therapie war. Irgendwann musste ich die Tabletten absetzen da ihre Nebenwirkungen mir zu sehr zusetzten und auch die Therapie verließ ich, sobald ich 18 wurde. Danach wurde alles wieder schlimmer und schließlich stand ich vor fast drei Monaten an der Brücke, um dem allen ein Ende zu setzen. Wäre Charles nicht vorbeigefahren, wäre ich jetzt tot, so wie Elmo. Und vielleicht ist genau das der Fehler. Wäre ich einfach gesprungen... Charles wäre so viel Belastung erspart geblieben.

Ich legte meinen Kopf in den Nacken. Über mir strahlte der wolkenlose Himmel voll mit unzähligen Sternen. Ein Stern, abgesehen von der Venus, stach mir besonders hell ins Auge. Ich legte meine Hand auf die Stelle, wo ich mein Herz schlagen spürte. Ich schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Der Geruch von Salzwasser und Muscheln füllte das riesige Loch was sich in mir ausgebreitet hatte. Das Bild von Elmo, wie er über den Strand rannte, um Möwen aufzuscheuchen, spielte sich wie ein Film vor meinem inneren Auge ab. Er fehlte mir so sehr. Und das Schlimmste war, dass ich wusste er wird niemals wieder zurückkehren.
So sehr ich auch versuche an ihm festzuhalten, er ist fort. Immer mehr verschwimmt seine Silhouette vor meinem Auge und alles, was bleibt sind die Erinnerungen an ihn.

Es war vollständig dunkel geworden, als ich den Sand aus meiner Hose klopfte und auf langsamen Sohlen an der leeren Promenade Richtung Nachhause lief. Ich blieb stehen, als sich ein befremdliches Gefühl in mir breitmachte. Und innerhalb kurzer Zeit war mir klar, warum.

Hier hatte ich gestanden, als mich mein Onkel nach Jahren wieder angerufen hatte, nur um mein ganzes Leben wieder zu ruinieren. Seine Worte versetzten mir noch immer einen Stich in meine Brust. Würde das jemals aufhören?

Gib doch ihm nicht die Schuld dafür, dass du so ein beschissener Mensch bist.

Ermahnte mich meine innere Stimme harsch und mit sattem Nachdruck. Sie musste Recht haben. Sie hatte mich noch nie angelogen.

Ich schüttelte meinen Kopf, als könnte ich diesen Gedankengang von mir abschütteln. Mit schnelleren Schritten setzte ich meinen Weg fort. Nur um hier schnell wegzukommen.
Doch ich wollte auch nicht gerne nachhause, denn dort würde mich alles Zurückgebliebene von Elmo empfangen. Sein Geruch, sein Plätzchen und nicht zuletzt der dumpfe Gedanke, dass er gleich um die Ecke laufen würde. Aber das wird er nicht. Niemals.

Bevor ich meine Wohnung oder gar das Haus, in dem sie sich befand, betrat, sank ich an der Mauer des Gebäudes zu Boden und lehnte mich an. Die Wand war eiskalt, aber das störte mich nicht. Mein Blut war ohnehin schon mit Eiswasser getränkt.

Die Lampe, welche über mir aufgrund meiner Bewegung angegangen war, flackerte unregelmäßig. Der Vermieter hatte wohl keine Zeit oder Lust gefunden, es nach Wochen mal auszuwechseln.  Mein Auto stand einsam unter einem Baum, im toten Winkel des Lichtes. Ein paar Blätter hatten sich darauf gesammelt und es wirkte in der ganzen Atmosphäre wie eine zurückgelassene Schrotthaube.

Seufzend erhob ich mich, kramte den Hausschlüssel heraus und fasste meinen Mut, um die Türklinke langsam nach unten zu drücken. Das karge Treppenhaus führte mich direkt zu der braunen Holztür, die meine Wohnung von ihm abtrennte. Mein Herz begann unruhig zu klopfen. So laut, dass ich es glaubte, in der Stille zu hören.

Auch diese Tür öffnete ich langsam. Während sie knarzend aufging, blieb ich wie angewurzelt draußen stehen und betrachtete den dunklen Flur. Angst und Erinnerungen überrollten mich schmerzhafter, als ich geglaubt hatte. Vielleicht hätte ich nicht allein hierherkommen sollen...

Melody of death | Charles Leclerc FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt