forty-seven ఌ

94 2 0
                                    

C H A R L E S

Frustriert kickte ich den Fußball etwas zu stark in Sams Richtung. Besagter Mann stieß einen erschrockenen Laut aus und nahm den Ball gerade noch so an, bevor er die Wand hinter ihm traf. „Kannst du deine Wut bitte nicht gegen mich richten?!", protestierte er lachend und spielte wieder zu mir. Als ich nichts darauf antwortete, hielt er bei meinem nächsten Schuss den Ball unter seinem Fuß an und musterte mich abwartend. „Redebedarf?" Ich seufzte und fuhr mir aufgewühlt durch die Haare. Obwohl ich sie heute Morgen gerichtet hatte, mussten sie inzwischen völlig zerzaust sein, so oft ich meine Finger jetzt schon als Kamm benutzt hatte.

„Komm schon, spuck's aus.", Sam verschränkte fordernd seine Arme vor der Brust. Er war nicht im Geringsten bereit, Kompromisse einzugehen.
„Ach keine Ahnung.", stöhnte ich und kratzte mich ratlos am Hinterkopf. Ich wusste wirklich nicht, wie ich Sam erklären sollte, was in mir vorging. Irgendwie wusste ich es nicht einmal selbst richtig. Es war zu viel und gleichzeitig nichts in meinem Kopf. „Es geht um Célina. Weißt du, ich versuche wirklich für sie der Partner zu sein, an dem sie sich festhalten kann und sowas. Ich akzeptiere ja auch, wenn sie mit mir nicht über alles reden will, aber ich sehe, wie schlecht es ihr seit Kurzem geht. Und es ist frustrierend, weil ich das Gefühl habe, dass sie mir nicht genug vertraut...", erklärte ich. Ich war nicht wütend auf Célina. Sie traf keine Schuld. Ich war wütend darauf, dass ich ihr scheinbar nicht genug das Gefühl gebe bei mir sicher zu sein. Wofür sonst war ich jedoch da, wenn sie ihre Tränen nicht mit mir teilt, wenn sie ihre Gedanken vor mir verschließt und mir nicht sagt, warum es ihr schlecht geht? Wie soll ich ihr denn dann helfen?

„An deiner Stelle würde ich die Schuld nicht auf dich schieben und genau so wenig auf sie. Ich bin mir sicher, dass sie Gründe hat, warum sie sich dir nicht anvertraut.", entgegnete Sam, doch irgendwie heiterten mich seine Worte nicht auf. Zu lange hatte ich mich schon mit diesem Gedankenchaos herumgequält, jetzt fühle es sich unlösbar an.

„Denkst du nicht, dass ich Schuld trage? Immerhin habe ich sie mit in meine Welt genommen und jetzt wird sie von den Leuten dieser Welt gehasst...", nach dem letzten Rennwochenende hat mir Sam in einer Minute unter vier Augen von einem Vorfall, vor dem Paddockgelände erzählt. Ihm ist nicht entgangen, wie MEINE Fans sich gegenüber Célina benommen hatten und was das mit ihr gemacht hat. Sie hat zwar nicht drüber geredet, aber Sam erkennt, wenn sich Menschen anders als normal verhalten.

„Beleidigst DU sie oder diese Neider?", er runzelte die Stirn. Ich zuckte mit den Schultern, „Siehst du? Nicht du bist daran schuld, wie sie aufgenommen wird.", versuchte mein guter Freund mich den Schuldgefühlen zu entledigen, wofür ich ihm sehr dankbar war.

„Aber Charles, ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass das nicht alles ist.", ich verdrehte die Augen. Nicht weil ich genervt war, sondern weil ich gehofft hatte über dieses Thema nicht reden zu müssen. „Heute vor zwei Jahren ist mein Vater gestorben.", murmelte ich schließlich und biss mir auf die Unterlippe. Sam zog scharf die Luft ein und bedachte mich mit ernstem Blick. „Und du hast es ihr noch nicht gesagt?"
Ich nickte. Mein Dad war noch nie ein riesiges Thema in unserer Beziehung gewesen. Ich hasste es über diesen dunklen Abschnitt meines Lebens zu sprechen, der in mir immer noch, wie eine offene Wunde schmerzt. Was bringt es schon mit anderen darüber zu reden? Niemand könnte das Loch, das mein Vater in meinem Leben hinterlassen hat, wieder füllen.

„Du verlangst von Célina über ihre Sorgen zu reden, aber schweigst selbst? Komm schon Charles, siehst du nicht den Haken?", äußerte sich Sam und schaute mich an, als würde er mehr von mir erwarten. Ich hob die Schultern und legte meinen Kopf angestrengt in den Nacken. Wann hatte ich zuletzt solche Probleme gehabt, an einem Rennwochenende einen kühlen Kopf zu bewahren?

„Du hast ja recht.", gab ich schließlich zu.

„Wann ist Célina denn da? Redest du noch vor dem Qualifying mit ihr?", ich sah auf die Uhr an meinem Handgelenk. Es war kurz vor zwei. Eigentlich müsste sie bereits vor wenigen Minuten auf dem Gelände angekommen sein.

„Ich denke das sollte ich, oder?", seufzte ich zerknirscht. Sam nickte heftig. „Nagut, wir sehen uns später.", ich winkte meinem Manager zu und verschwand über den hinteren Eingang ins Motorhome. In der Lobby warf ich einen Blick hinaus und sah sie mit Lando, Pierre und Carlos zusammenstehen. Ich atmete tief ein und aus und nahm all meinen Mut zusammen, den ich für das folgende Gespräch brauchte.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht trat ich durch die Tür nach draußen zu der kleinen Gruppe und schlang meine Arme um Célina. Im nächsten Moment fuhr sie herum und fing an zu strahlen, als sie mich erkannte. Ihre gehobenen Mundwinkel besserten meine Stimmung und brachten auch mich zum Lächeln. „Hast du kurz Zeit zu reden?", fragte ich nach einem innigen Kuss auf ihre zarten Lippen. Die Jungs aus den anderen Teams grinsten und im Augenwinkel sah ich, wie Carlos und Lando sich einen wissenden Blick zuwarfen.
Über Célina's Gesicht huschte ein besorgter Ausdruck, doch sie nickte schließlich.
Sie verabschiedete sich kurz von den anderen, ehe wir im Motorhome mein Zimmer aufsuchten und ich die Tür hinter uns verschloss.  Es brauchte nicht lange, bis sie anfing zu sprechen. „Deine Miene sagt mir, dass etwas nicht in Ordnung ist. Also wenn du schlussmachen willst...", sie machte eine Pause und ich hörte deutlich die Angst in ihrer Stimme, „Bitte sag es einfach direkt.", Ich schüttelte hastig mit dem Kopf. „Nein, nein, das ist es nicht."
„Charles, was ist dann los?", fragte sie noch immer mit belegter Stimme. Den Mut, den ich mir vorher noch eingepackt hatte, löste sich plötzlich in Luft auf. Vielleicht war das hier der falsche Ort- und Zeitpunkt, um über solche Themen zu reden.
„Charles.", ihre heisere Stimme erinnerte mich daran, dass ich endlich reden musste. Aber ich konnte nicht. Mein Kopf war leergefegt. Alles, was zurückgeblieben war, waren schwammige Erinnerungen an meinen Vater, die mich so plötzlich eingeholt hatten, dass es mir die Sprache verschlagen hatte. Und mir wurde im gleich Moment klar, dass ich jetzt nicht klären konnte, was zwischen uns stand.

„Tut mir leid. Wir reden wann anders.", meine Stimme zitterte. Ich stand unbeholfen da und sah leeren Blickes an ihr vorbei. Hätte sie keinen Schritt auf mich zu gemacht und mich zu sich gezogen, wären wir sicherlich noch ewig so verharrt. Meine zitternden Hände fuhr ich Kreise über ihren Rücken, wobei ich mir nicht sicher war, ob diese sie oder mich beruhigen sollten. Letzteres traf es wohl eher.

Mit herumkreisenden Gedanken entledigte ich mich nach dem Qualifying, was ich auf P6 beendet hatte, meiner Rennkleidung. Sam hatte seinen Blick dabei stets auf mir weilen, als würde er versuchen in meinen Schädel zu gucken. Ich pfefferte die roten Klamotten achtlos zu Boden und zog mir stattdessen ein Ferrari T-Shirt und die Jeans, mit der ich heute Morgen hierhergekommen war, an. Obwohl mich Sport immer von bösen Gedanken befreit, hatte ich die an Célina und meinen Vater nur für die Dauer der Qualifikation abschütteln können. Jetzt umhüllten sie meine ganze Person wieder und machten mich beinahe verrückt. Hätte ich Célina einfach erzählt, was heute für ein Tag ist, wäre es ja nicht so schwierig. Ich war mir sicher, dass sie mich verstehen würde, trotzdem änderte es nichts an der Sensibilität dieses Themas.

Mit einem Nicken bedeutete ich Sam, dass wir gehen könnten. Auf dem Weg zum Paddock gabelten wir Célina auf, die sich zum wiederholten Male mit Lando und den anderen zweien von heute Mittag unterhalten hatte. Die dicke Luft zwischen uns, trat wie ein Boxer gegen meine Brust und mir war es fast unangenehm, wie wir uns gegenseitig anschwiegen. Aber ich konnte Célina auch nicht verübeln, dass sie nicht mit mir redete. An ihrer Stelle würde ich wahrscheinlich das Gleiche tun. Sam warf mir unauffällig einen unmissverständlichen Blick zu, den ich allerdings kommentarlos ließ.

Melody of death | Charles Leclerc FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt