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Die Menge wurde leise, als der Kommentator zur Sprache ansetzte. Ich schaukelte nicht wie die meisten anderen unruhig von dem einen auf das andere Bein, sondern starrte emotionslos ins Leere. Ich fühlte nichts. Aber sollte da nicht eigentlich etwas sein? Irgendwas, das mich wieder glauben lässt, dass ich existiere? Dass ich kein gefühlsloser Geist war? Wahrscheinlich war das ein Schutzmechanismus meines Körpers, da der echte Schmerz mich umbringen würde, wenn ich ihn fühlen könnte.
„Wir haben uns an diesem Sonntag versammelt, um Abschied von einer wunderbaren Person zu nehmen. Vor drei Tagen starb Célina Laurance an den Folgen ihres Suizides. Die ganze Formel 1 Familie ist erschüttert über diese Nachricht und trauert in Form einer Schweigeminute. Wir bitten Sie alle sich respektvoll und würdevoll zu verhalten und an dieser Schweigeminute teilzunehmen.", erklärte der Kommentator. Ich blinzelte, doch auch dadurch würden meine tiefdunklen Augenringe wahrscheinlich nicht verschwinden.
Auf all den Bildschirmen, wurde ein Timer gezeigt, der die verstreichenden Sekunden anzeigte. Im Augenwinkel sah ich Lando. Ihm liefen unscheinbare Tränen über die Wangen. Auch Pierre, Daniel und Carlos trauerten sichtbar. Doch ich blieb stumm. Wieso zum Teufel weinte ich nicht?

Als die Minute beendet war, klatschte die Menge. Ich sah zu den Tribünen, wo die Fans ihr Mitleid zeigten. Wut kochte in mir hervor. Wochenlang haben sie Célina tyrannisiert und jetzt zeigen sie Mitleid? Jetzt, wo sie tot ist? Ich musste mich beherrschen nicht brüllend auf besagte Gruppen zuzustürmen. Es würde sie mir auch nicht mehr zurückgeben...
Kollegen, Freunde und sonstige Mitarbeiter klopften mir mitleidig auf die Schulter oder umarmten mich. Ich sagte nichts. Kein Danke, nichts.

Die Zeit bis zum Rennanfang saß ich stumm in meiner Garage. Sogar die Drivers Parade ließ ich ausfallen. Doch als die Lichter auf Rot schalteten, schloss ich für einen kurzen Moment meine Augen und versprach mir eine Sache. ‚Ich gewinne. Für dich!'. Die Lampen wurden schwarz, ich beschleunigte. Noch nie in meinem Leben gab ich so viel wie in diesem Rennen. Jede Kurve, jede Gerade und jedes Manöver führte ich mit fester Kompromisslosigkeit aus. Es hing mehr daran als nur der Sieg. Ich wollte Célina zeigen, dass ich das für sie schaffen kann. Und ich schaffte es. Als erster fuhr ich an der schwarz-weiß-karierten Flagge vorbei und sah im Augenwinkel das Jubeln meines Teams.
„Du hast es geschafft! Unter diesen Umständen... Wir sind stolz auf dich.", ertönte der Funkspruch des Teams. Obwohl ich mich freute, war da diese Wolke in mir, die Schatten ins Licht warf. Und nicht zuletzt war Célina mir wichtiger als alles andere gewesen. Sie zu verlieren hat in mir ein riesiges Loch hinterlassen. So ähnlich, wie mein Vater es damals tat. Ich hatte mir mein ganzes Leben mit ihr an meiner Seite vorgestellt. Sie nicht mehr bei mir zu haben, war schlimmer als alles, was in der Zukunft noch passieren wird.
Ich hielt meinen Jubel auf dem Treppchen gedämpft. Ich fühlte keine Freude, nur Leere. Obwohl Lewis auf dem zweiten und Sebastian auf dem dritten Platz den Champagner schwenkten, konnte ich kaum lächeln. Und obwohl die Menge triumphierte, war ich der Erste, der den Fans den Rücken kehrte.

Mit Tränen in den Augen, starrte ich auf die Urne, die von einem weißen Tuch bedeckt war. In einem Halbkreis standen sämtliche Verwandte und Freunde von Célina um das Grab herum und lauschten den Worten des Trauerredners. Gleich war ich an der Reihe und musste eine Rede halten, die ich mir zwar im Voraus aufgeschrieben hatte, doch mindestens zehnmal verwarf. Als mich Sam neben mir anstupste, sah ich auf. „Du bist.", flüsterte er. Ich nickte und stapfte auf zögerlichen Füßen vor das Grab. Den Zettel in meinen Händen faltete ich unruhig auf und zu.
„Ehrlicherweise weiß ich nicht so recht, wie ich anfangen soll. Wahrscheinlich gibt es keine passenden Worte, die der Situation gerecht werden könnten. Célina war eine so wunderbare Person. Ich verstehe nicht, warum sie sich so sehr gehasst hat.", ich brach ab und wischte aufgekommene Tränen aus meinem Gesicht. Ich hatte keine Idee, wie ich den Rest meines Textes noch mit den Leuten teilen sollte. Am liebsten wäre ich davongerannt. Aber wohin? Célina war mein sicherer Pol gewesen, aber sie ist weg. „Sie war hübsch und ihr Charakter war einfach nur liebenswert. Ich hätte so gerne mehr Zeit mit ihr gehabt. Eine Weltreise unternommen, eine Familie gegründet oder einfach für Stunden auf meiner Yacht weit draußen auf dem Meer geblieben. Ehrlich gesagt mache ich mir sogar Vorwürfe. Ich hätte ahnen können, dass was nicht stimmt. Bei unserer letzten Begegnung wirkte sie abweisend und aufgewühlt. Vor dem Familienessen habe ich sie Klavier spielen gehört. Es waren ausschließlich dunkle Töne. Die Melodien, die sie spielte, waren ein Spiegel ihrer Seele. Ich hätte es einfach wissen müssen.", ich schluchzte auf. Mehr konnte und wollte ich nicht reden.

Nach mir hielt auch noch Célinas Mutter und ihre Schwester eine Rede. Beide weinten voller Trauer. Benjamin, der Bruder, hatte dagegen eine ernste Miene. Er wirkte fast wütend, als müsse er sich einen Wutausbruch verkneifen. Ich konnte nicht einschätzen, wie man mit ihm umgehen sollte, deshalb ließ ich eine Begegnung sein.

Nachdem die Hauptbeerdigung beendet war, bewegten sich all die Leute zum Ausgang und ich war froh, keine weiteren Gespräche führen zu müssen. Denn ich blieb zurück und starrte wie versteinert auf das zugedeckte Grab. Der Grabstein war aus dunklem Schieferstein. In der Mitte war ihr Name geschrieben, darunter das Geburtsdatum und darunter der Todestag.

Célina Laurance
15.12.2000
24.10.2019

Ein Bild von ihr und Elmo stand in einem schwarzen Bilderrahmen inmitten der Blumen und wirkte so unpassend. Auf dem Bild lachte sie, doch nun war sie tot. Ihr Herz schlägt nicht mehr. Kälte hat die Wärme in ihrem Körper ersetzt. Sie durfte nicht einmal ihren 19. Geburtstag feiern.

Ich kniete mich zu dem Grab runter und betrachtete es. „Hey Célina? Ich weiß, du hörst mich nicht, aber ich will dir trotzdem etwas sagen.", ich pausierte, unsicher ob ich fortfahren sollte. „Ich hoffe dir geht es besser, da wo du jetzt bist. Ich habe gestern ein Rennen für dich gewonnen.", ich lächelte mit Tränen in den Augen. Wie gern würde ich jetzt ihr stolzes Strahlen sehen und ihre Umarmung spüren. Doch stattdessen umarmte mich nur die schmerzende Leere. „Gott ich vermisse dich so sehr. Du fehlst mir. Jeden Tag wache ich auf und hoffe, dass das alles ein böser Albtraum war.", ich schluchzte. Meine Stimme glich einem erstickten Flüstern. „Aber ich träume nicht. All das ist wahr und das bringt mich um.", ich rümpfte mir die Nase und tupfte sie mit einem Taschentuch ab. Die heißen Tränen ließen meine Haut weich werden. „Ich liebe dich ma Chérie. Für immer.", ich legte meine eiskalte Hand auf die Stelle, wo mein Herz nur noch halb pochte. Die andere Hälfte ist mit Célina gestorben. „Du bist mein Lieblingsstern am Nachthimmel.", flüsterte ich als letztes in den eisigen Herbst und langsam, aber sicher, kehrte die Stille an diesen Ort der Traurigkeit zurück.

Ich erhob mich auf wackeligen Beinen. Es fühlte sich beinahe an, als würde ich jeden Moment zusammenbrechen. Keine Ahnung, wann ich zuletzt einen richtigen Schlaf hatte. Alles in mir tat weh und war schwach. Doch es war mir egal. Alles war egal, jetzt wo Célina diese Erde verlassen hatte. Ohne sie machte nichts Sinn. Sie hat Farbe an Orte gebracht, die keine besessen hatten. Hatte sich ganz unbewusst zu dem Zuhause gemacht, nach dem ich mich mein Leben lang gesehnt hatte. Und jetzt stehe ich hier. Ohne dieses Zuhause. Ohne Wärme. Ohne ein Lachen. Ohne wenigstens ein winziges Gefühl, das mich wissen lässt, dass ich noch lebe. Alles, was da ist, ist dieser unheilbare Schmerz, der mich von innen Stück für Stück sterben lässt. War es das, was sie gemeint hatte? War genau der Schmerz, den man durch nichts endgültig heilen kann, der Grund, warum sie am Ende gehen musste? Es klingt vielleicht naiv, doch vielleicht konnte ich erst jetzt verstehen, warum sie so gehandelt hat. mit so einem Schmerz Tag für Tag aufwachen. Wissen, dass es niemals vergehen wird, denn es sitzt nicht auf der Haut und auch nicht im Kopf. Es sitzt viel tiefer. In jeder Faser, in jeder Zelle, in jedem Muskel, in jedem Knochen, in jedem Organ. Im Kopf, im Herzen und in der Seele. Und nichts kann dich heilen, denn niemand kann Dinge ungeschehen machen. Du kannst nur lernen, damit umzugehen. Dich Stück für Stück zurück ins Leben kämpfen. Hoffnung sehen, wo sie vielleicht unsinnig scheint. Glück finden...
Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder spüren kann, wie sich dieses Glück anfühlt. Mit Célina war das selbstverständlich. Aber sie ist fort. Von nun an fehlt nicht nur ein Teil meines Herzens, sondern ein riesiger Teil meines Lebens. Aber irgendwann, werde ich vielleicht verstehen, warum sie ging. Warum sie vielleicht nicht anders konnte. Ich werde sie mein Leben lang vermissen, aber eins weiß ich gewiss. Obwohl etwas unsere Körper trennt, tanzen unsere Seelen miteinander, bis ihnen schwindelig wird.

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So, das war das letzte Kapitel dieses Buches... Ich weiß, dass sich viele von euch ein Happy-End gewünscht haben. Umso mehr tut es mir leid, dass die Geschichte mit diesem Kapitel ein Ende nimmt. Ich hoffe natürlich trotzdem, dass euch das Buch gefallen hat. (Auch wenn das Ende meine eigenen Tränen beim Schreiben laufen ließ:()
Ich kann kaum glauben, dass ich mich hiermit tatsächlich von diesem Buch verabschiede. Es war so schön 🥹💓

Nun aber erstmal Adiós und hoffentlich bis ganz bald! Danke, dass du bis hier hin gelesen hast ❤️

Eure _Nachtengel_ <3

Melody of death | Charles Leclerc FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt