Kapitel 18.1

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„Was machst du denn noch hier", höre ich Junki von der anderen Seite der Trainingshalle rufen.

Ich drehe mich um und sehe tatsächlich Junki am anderen Ende der Halle. „Das gleiche könnte ich dich doch auch fragen.", rufe ich zurück. Er zuckt nur gelassen mit den Schultern und kommt mit einem besorgten Blick auf mich zu. Jetzt fängt die Fragerei wieder an.

„Du siehst echt schrecklich aus. Was ist denn passiert?", fragt er und zeigt mir, dass ich mich doch mit ihm auf eine Bank setzten soll. Dann kann er sich auch gleich meine Hand angucken. „Nichts. Ich wollte nur noch mal trainieren.", versuche ich zu lügen, aber jeder Idiot würde erkennen, dass dies nicht der Fall ist. Man würde bestimmt auch aus einem Kilometer Entfernung erkennen, dass ich geweint habe.

„Lüg mich bitte nicht an.", sagt Junki und nimmt vorsichtig meine Hand. Ich beobachte ihn genaue und analysiere jede seiner Bewegungen. Er versucht wirklich vorsichtig das Tape ab zu machen, aber bei der kleinsten Bewegung zucke ich zusammen und ziehe meine Hand zurück. „Das tut weh.", meckere ich ihn an, entschuldige mich aber sofort dafür. Ich reiche ihm meine Hand wieder und beiße einfach die Zähne zusammen. Da muss ich jetzt einfach durch.

„Also, was ist passiert?", fragt er mich erneut. Ich beobachte ihn weiterhin und versuche mich wirklich nicht auf meine Hand zu konzentrieren, aber es tut so scheiße weh. Aber hey, der Schmerz in meiner Brust lässt dadurch immer hin nach. Das ist doch schon mal etwas.

Kaum habe ich daran gedacht, kommt der Scherz auch schon wieder. Warum kann ich nicht einfach mal aufhören daran zu denken?! Ich schließe kurz meine Augen und atme tief ein und wieder aus, so wie ich es immer vor einem Kampf tue. Ich sehe all meine Kämpfe vor meinem inneren Auge vorbeifliegen, all die Erfolge, all die Rückschläge, all der Schweiß und die Tränen, all die Freude vom Erfolg und überall sind meine Eltern dabei und freuen sich für mich.

Ich öffne meine Augen wieder und gucke Junki mit Tränen in den Augen wieder an. Wie soll ich ihm denn Bitteschön schonend beibringen, dass ich mit Kickboxen aufhöre? Das wird er nicht axeptieren. Ich bin seine beste Schülerin, auf mich ist er am meisten stolz.

Ich spüre wie eine Träne meine Wange herunter kullert. Als sie an meinem Kinn angekommen ist, tropft sie auf Junkis Hand, der erschrocken aufschaut. Erst jetzt bemerkt er, dass ich weine. „Tut es so doll weh?", frag er besorgt. Ich schüttle nur den Kopf. „Was ist es dann?", fragt er weiter besorgt und wischt mir weitere Tränen aus dem Gesicht. Ich kann es ihm nicht sagen, es würde ihm das Herz brechen, wenn ich mit Kickboxen aufhören würde.

„Sie waren nur enttäuscht. Sie wissen nicht mehr, was sie mit mir machen sollen.", erzähle ich erstmal und breche sofort wieder in Tränen aus. Junki lässt meine Hand los und nimmt meine beiden Schultern in die Hand und will dass ich ihn angucke. „Das wird schon wieder. Das ist nur der Schock, den sie haben wegen deiner Aktion. Das wird wieder.", versucht er mich aufzumuntern, aber ich muss nur noch mehr weinen.

„N-Nein...", sage ich nur schwach und lehne meinen Kopf gegen seine Schulter und weine noch mehr. Ich weiß einfach nicht mehr was ich machen soll. Ich bin einfach nur noch verzweifelt. Ich bin schon so tief gesunken, dass mich mein Trainer trösten muss, weil ich mit meinem Leben nicht klar komme. Ich bin wirklich erbärmlich. An meiner Stelle hätte ich mich auch von zu Hause rausgeschmissen.

„Sie haben mir ein Ultimatum gestellt, eins wo ich mich nicht entscheiden kann und will.", füge ich noch mit zittriger und brüchiger Stimme hinzu. Ich will ihm aber auch nicht erzählen welches, aber jetzt muss ich es doch. Ich habe ihm immerhin schon davon erzählt. „Entweder ich höre mit Kickboxen auf oder ich fliege zu Hause raus.", flüstere ich in seine Schulter, in der Hoffnung, dass er es doch nicht hört, aber er hat es gehört.

Er lehnt sich etwas nach hinten, so dass ich meine Kopf nicht mehr an seine Schulter anlegen kann und nimmt wieder meine Schultern in die Hand. „Ernsthaft?", fragt er mich geschockt. Ich traue mich nicht einmal ihn anzugucken, so sehr schäme ich mich dafür. Ich will seinen entsetzten Blick nicht auch noch sehen. Als Antwort nicke ich nur schwach und fange wieder an zu weinen. Der Schmerz in meiner Brust wird wieder stärker und ich habe das Gefühl er erstickt mich. Ich muss schon fast nach Luft ringen, um weiter atmen zu können.

„Und das alles nur wegen dieser kleinen Aktion?", fragt er mich nach einem kleinen Moment der Stille. Ich nicke nur. „Okey, ich hole dir kurz Eis für deine Hand, dann suchen wir eine Lösung für dein Problem.", sagt er aufmunternd und steht auf. Ich bleibe einfach genauso trüb, wie vorher auf der Bank sitzen. Jetzt ist es also raus.

Warte, hat er gesagt, dass wir dann eine Lösung für mein Problem suchen werde?? Aber ich habe doch schon eine Lösung. Ich hebe meinen Kopf und will ihm das gerade sagen, da bemerke ich erst, dass er tatsächlich weg ist und mir Eis für meine Hand holt.

Sie schmerz immer noch genauso, wie vorher und es wird nicht besser. Eigentlich sollte heute doch ein wunderbarer Tag sein. Ich bin Weltmeisterin im Kickboxen der Jugendlichen geworden und jetzt sitze ich hier, total verschwitzt und am Boden zerstört und muss mit meiner Leidenschaft aufhören, wo ich heute morgen noch einen Weltmeistertitel gewonnen habe. Mein Leben ist echt beschissen.

Ich finde Junki ist etwas zu lange weg, um mir nur Eis zu holen. Ich sitze hier bestimmt schon fünf oder zehn Minuten und grübel über mein Leben. Das ist echt nicht mehr auszuhalten. Ich stelle mir mich immer wieder vor, wie ich unter einer Brücke schlaft oder Obdachlose Freunde finde. Will ich wirklich mit Kickboxen aufhören?

„Da bin ich wieder.", ruft Junki durch die Halle. Endlich! Dann höre ich auch endlich auf, mir vorzustellen wie mein Leben wäre, wenn ich mich doch für Kickboxen entscheide. Das wären alles nur schreckliche Leben, die ich nicht haben möchte, da bleibt mir doch nur diese eine Möglichkeit.

„Hast du denn schon eine Entscheidung getroffen?", fragt er mich, als er wieder bei mir ist und legt das Eis vorsichtig auf mein Handgelenk. Das Eis ist ja echt scheiße kalt, aber es hilft, der Schmerz wird schon etwas weniger.

Ich habe Angst vor der Antwort, die ich ihm geben muss, aber anscheinend ist das nicht mehr nötig. „Ich verstehe.", sagt er nur und guckt mich weiter an. „Bist du dir wirklich sicher?", fragt er mich vorsichtig. „Ich weiß einfach nicht was ich machen soll. Ich will Kickboxen nicht aufgeben, aber auch nicht meine Eltern.", versuche ich ihm es zu erklären. Er nickt nur.

„Junki?", höre ich eine mir allzu bekannte Stimme durch die Halle rufen. Diese Stimme habe ich schon lang nicht mehr gehört und mir wird sofort etwas wärmer ums Herz, wenn ich sie höre.

So verschieden und doch so gleichWhere stories live. Discover now