Kapitel 6

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Ich schrecke aus meinem Bett und richte mich ruckartig auf. Das war alles nur ein Traum, alles ist gut.

Total verschwitzt und hastig atmend sitze ich jetzt in meinem Bett und möchte nur noch weinen. Ich ziehe meine Beine an meinen Körper und vergrabe mein Gesicht in meinen Knien. Ich spüre, wie ich am ganzen Körper zittere und mein Herz schlägt mir auch bis zum Hals.

Seit diesem Tag, verfolgen mich fast Täglich diese Träume. Es war vor fast einem Jahr, nach meine Kampf, der mich zum Halbfinale qualifizierte. Wegen dieser Aktion wurde ich für den Rest der Saison gesperrt und auch eigentlich für die diesjährige, aber sie haben die Sperrung dann doch aufgehoben, als sie erfahren haben, dass Andy das alles provoziert hat und ich unschuldig bin. Da war die Saison aber schon vorbei und Amy wurde Weltmeisterin. Aber diese Jahr kann ich mich revanchieren und kann endlich wieder in den Ring steigen.

Mit zittrigen Beinen stehe ich auf und ziehe mir meine Sportsachen an. Ich schnappe mir leise meine Haustürschlüssel und gehe raus, um zu etwas joggen. Es ist noch dunkel draußen und die Straßenlampen beleuchten die unbefahrenen Straßen.

Ich weiß bis heute nicht, warum Andy das provoziert hat. Vielleicht hatte er es einfach satt, mich die ganze Zeit beruhigen zu müssen und wollte, dass ich einmal komplett ausraste. Ich weiß es nicht und ich werde es auch nie wissen. Und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie schlecht ich mich danach gefühlt habe. Ich wollte nicht raus, ich wollte mit niemandem reden, ich wollte niemanden sehe, weil ich Angst hatte, dass ich wieder ausraste.

Das war der erste Tag, wo Junki seine Hand gegen mich erhoben hat, aber es hat geholfen. Er hat mich zurück in die Realität geholt. Und wäre er nicht dazwischen gegangen, hätte ich Andy vermutlich tot geprügelt, wenn er es auch noch weiter provoziert hätte. Er musste (zum Glück) nur ins Krankenhaus. Ich hatte ihm die Nase und einen Wangenknochen gebrochen. Und seine Wange ist aufgeplatzt, die musste auch genäht werden.

Ich weiß noch ganz genau, wie meine Eltern reagiert haben, als sie die Nachricht bekomme habe. Sie haben mich nicht angeschrieen, haben mir keine Strafe gegeben, sie haben nichts getan und das war schon Strafe genug für mich. Sie haben über dieses Thema geschwiegen wie ein Grab, bis Andys Mutter die Wahrheit über den Vorfall öffentlich gemacht hat. Ich habe versucht jedem einzelnen Reporter zu erklären, dass ich nicht schuld daran bin, aber jeder glaubt nur das, was er glauben möchte. Danach haben sie mit mir endlich darüber gesprochen und in dem Moment hätte ich mir gewünscht, sie hätten weiter darüber geschwiegen.

Nach dem Vorfall habe ich mir geschworen, nie wieder die Kontrolle zu verlieren. Das hat bis jetzt auch gut geklappt. Es gibt natürlich immer mal wieder einige, die wollen, dass ich noch mal ausraste, aber ich ignoriere ihre Kommentare einfach und zahle es ihnen im Ring heim. Das finden meine Eltern zwar nicht so toll, aber diese ein oder zwei mal, die ich es jetzt gemacht habe, da gucken sie drüber. Sie haben mir aber klar gemacht, dass wenn das noch einmal passiert wird, es Konsequenzen geben wird und das heißt dann wahrscheinlich für mich, Schluss mit Kickboxen.

Lana hat davon erst später mitbekommen. Ihre Mutter hatte ihr verboten sich mit mir zu treffen, aber sie hat sich immer wieder dagegen durchgesetzt, auch wenn sie dafür Hausarrest bekommen würde. Sie ist immer auf meiner Seite geblieben, egal was die andern gesagt haben.

Manchmal sehe ich nur das blutverschmiertes Gesicht von Andy vor mir, manchmal sehe ich den enttäuschenden Blick von meinen Eltern, manchmal sehe ich den geschockten Gesichtsausdruck von Junki und am meisten Träume ich immer wieder von dieser Scene. Sie verfolgt mich jetzt schon seitdem das alles passiert ist und will einfach nicht weggehen. Wir haben sogar schon eine Therapie versucht, aber die hat das alles nur noch schlimmer gemacht, weil die Therapeutin mir einreden wollte, dass ich daran schuld bin und ich es akzeptieren muss, damit es aufhöre. Sie meinte, mein Gewissen will mir ein Zeichen geben. Das war aber alles nur Blödsinn und wir haben die Hoffnung aufgegeben.

Ich laufe durch die leeren Straßen und betracht all die Häuser, wo jeder schon längst schläft. All diese Menschen können ungestört schlafen, ohne, dass sie mitten in der Nacht verschwitzt und zittrig aufwachen, weil sie diese eine Szene verfolgt. Überall in den Häusern ist das Licht aus.

Vor meinen Abiturprüfungen vor zwei Wochen war das extrem. Es gab keine Nacht, wo ich ruhig schlafen konnte. Immer wieder tauchte das Gesicht von Andy vor meinem inneren Auge auf und sagte mir, dass ich zu nichts zugebrachten bin und es sowieso nicht schaffe. Ehrlich gesagt hat mich das nur noch mehr motiviert. Ich habe ein Abidurchschnitt von 1,0. Ich bin die Beste aus meinem Jahrgang. Mein Zeugnis habe ich schon führe bekommen, da ich zur Zeugnisübergabe wahrscheinlich nicht kommen könnte, weil da ein Kampf ist. Um so besser für mich, dann muss ich meine Klassenkameraden nicht mehr sehen. Seit dem Vorfall sind die mir komplett aus dem Weg gegangen, weil sie so dolle Angst davor hatten, etwas falsches zu sagen.

Ich bin jetzt bestimmt schon eine Stunde unterwegs und jogge, ohne ein Ziel zu haben. Die Sonne müsste bald wieder aufgehen, also entscheide ich mich, zum Park zu joggen und mich dort auf eine Bank zu setzen, bis die Sonne aufgeht. Dann kann ich wieder nach Hause und dann stehen meine Eltern auch schon bald auf.

Meine Lunge brennt und mein Herz schlägt mir immer noch bis zum Hals, aber ich ignoriere es einfach. Das ist am besten. Es ist nicht kalt, aber auch nicht warm. Eigentlich das perfekte Wetter und trotzdem stört mich etwas. Ich weiß auch nicht was.

Im Park angekommen setze ich mich auf die Lieblingsbank von mir und Lana und warte auf den Sonnenaufgang. Von der Bank aus kann man den Sonnenauf- und Untergang perfekt beobachten. Sie steht einfach im perfekten Winkel für beides, als wäre sie nur dafür gemacht. Deshalb ist sie auch unsere Lieblingsbank.

So verschieden und doch so gleichWhere stories live. Discover now