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Lena wusste nichts von der hellen Aufregung die da gerade unter den bisherigen Halbweisen entbrannte. Sie zog sich weiter summend an und kämmte sich die Haare mit den Fingern auf die Rechte Seite, zupfte daran herum und trat dann kurz vor den Spiegel, um zu sehen wie sie heute aussah.

Wieder mal viel zu bleich und zu nichtssagend, fand sie seufzend, biss sich zweifelnd auf die Unterlippe und sah sich dann suchend nach dem rotgoldenen Stirnreif um, den sie wohl besser zu der offiziellen Zeremonie anziehen sollte. Es war zwar lächerlich schon wieder damit zu baden, aber wenn es Restra und den anderen so viel bedeutete, würde sie halt allen Kindern ein Lied aus dem Musical Cats vorsingen und sie damit zu echten Tak machen... was sie ja seid gestern sowieso schon alle waren. Aber wohl noch nicht so richtig glaubten.
Es war so einfach und darum auch im Grunde so lächerlich wie Restras Augen bei der Vorstellung Lena würde für sie und die Kinder ein Lied singen gestrahlt hatten, Lena würde für die Babys singen... und für die Kinder. Naja sie hatte blöderweise alle gesagt und hoffte nur es würde nicht zu eng werden da unten in der Grotte. Schließlich musste sie ja auch jedem Kind die Hand auf den Kopf legen für den Segen. Vielleicht sollte sie sogar die Mütter gleich mitsegnen weil die ja auch nie gesegnet worden waren. Sie lächelte bei dem Gedanken und entschied sich spontan dafür. Die würden Augen machen, die Tak.
Immer noch summend um die Melodie im Ganzen zu finden und im Ohr zu behalten wie auch den Text innerlich rezitierend streifte sie sich ihren Umghang über, den Kyl gestern für sie aufgehängt hatte. Weiß und pelzbesetzt.
Na ja...
Eigentlich war sie ja nicht so der Typ für Pelze und Felle, die Tiere taten ihr zu sehr leid. Doch in Takolia war das wohl so Standard.
Sie zog sich noch ihre Stiefel an, bekam die Schnürung nicht halb so gut aussehend hin wie Kyl gestern aber es reichte immerhin um damit spazieren zu gehen. Dann verließ sie das Zimmer und trat nach draußen.
Die Wächter waren verschwunden.
Sie pustete erleichtert durch und ging summend den Korridor hinunter. Da wartete auch schon Restra auf sie und sah ihr mit leuchtenden Augen entgegen.

„Meine Hochlady...", knickste sie pflichtschuldigst und trat dann aber näher an sie heran. „Ich habe bescheid gesagt, Lena. Ich glaube sie werden alle kommen. Alle Kinder die nicht gesegnet wurden und nun auch noch als Kinder bezeichnet werden.", verriet sie ihr begeistert flüsternd.
„Na dann hab ich mal ein großes Publikum. So wie damals als ich mit meiner Mutter zusammen in der Kirche gesunge habe, vor meiner Konfirmation. Sie hat mir das Gitarrespielen beigebracht und die richtige Aussprache der Worte und...", sie hielt inne und atmete heftig aus und ein.

„Du vermisst sie sehr nicht wahr?", fragte Restra sie mitfühlend aber bei der persönlichen Anrede gleich wieder mit gesenkter Stimme damit sich keiner daran stören sollte der es vielleicht zufällig mitbekam. In der Nähe standen doch einige der Tak herum und beäugten ihr Tun misstrauisch und neidisch, da sie nun als erste Dienende und nun auch noch Vertraute der Hochlady galt.
Früher undenkbar für eine Halbweise. Es machte sie beinahe Schwindelig, dachte Restra besorgt auf Lena blickend die nun wirklich unglücklich wirkte.
„Vor einer Woche war noch alles okay, wir waren zu Hause und alles war gut, bis auf Mams Halsentzündung, die Operationswunden und Kevins Erkältung, aber es ging uns gut.

Papa hat nur dauernd gesagt, die Hauptsache ist wir bleiben immer alle zusammen, gehen nicht raus, verhalten uns ruhig und dann marschieren sie vielleicht einfach an uns vorbei. Mama hat überlegt ob sie mir die Haare ganz kurz abschneiden soll und sich selbst auch, sie hat Kevins lange Haare gestutzt weil der auch schon fast wie ein Mädchen aussah. Es war gerade doch mordern die Haare auch als Junge so lang zu tragen wie hier in Takolia aber weil sie nur Mädchen geklaut haben ging Mama davon aus die Jungen wären sicherer.
Es... hat aber nichts genützt, kein Hoffen kein Beten... kein Still halten und nicht raus gehen. Die Aliens sind bei uns in der Stadt einmarschiert und wir haben sie gehört, weil sie die Menschen überall getötet haben, als sie die Straßen raufmarschiert sind, so schnell, so unfassbar schnell. Und die hübschen Frauen und Mädchen haben sie mitgenommen. Ein Haus nach dem anderen war drann. Also haben wir nur ganz schnell ein paar Sachen eingepackt und Papa wollte Mama sogar auf dem Rücken tragen, aber die hat uns alle vor sich zur Tür rausgehen lassen und sie dann zugeschlagen und abgeschlossen. Von drinnen hat sie noch gebrüllt wir sollten laufen und Conny ... also Konrad mein Vater, sollte uns nehmen und verschwinden.

Dann sind die Samurai-Gildach vorne zur Tür rein gekommen und wir haben Mama wie eine Kriegerin aufschreien gehört, als sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf sie geworfen hat, damit sie so die Treppe blockiert, während sie sie töten und wir Papa weggezerrt haben. Überall rundherum sind die Menschen gerannt oder mit den Fahrrädern oder Autos gefahren aber das war dumm die haben sie ins schleudern gebracht die Reifen zerstochen oder im Vorbeiflitzen durch die Scheiben oder auf dem Rad sitzend getötet. Wir sind deshalb lieber gelaufen... mit fast nichts unter den Armen. Die Leute haben nur ihre Kinder und manche ihre Haustiere und ein paar Sachen, Decken und Rucksäcke mit Essen und eben nur was wichtiges mitgeschleppt weil draußen ja Winter war, und eiskalt... wir sind gerannt wie die Blöden, sind durch die Büsche gekrochen denn da wo offenes Feld war oder Gras oder Wege haben die Masken schon gelauert und alle getötet oder eingefangen die sie töten oder einfangen wollten. Es war ein Massaker.
Aber es hat uns letztlich nichts genutzt. Sie haben uns nur zwei Tage später im Wald überrascht.
Papa hat Kevin noch durch den Busch getragen und gerufen ich soll auch rennen. Wäre ich auch, wenn der Ast der zurückschnellte mir nicht den Schädel gebrochen hätte. Und dann waren schon die Jäger da und dann auf einmal Kyl... und ein Schwert durchbohrte meine Hand und rammte sich bis fast zum Anschlag in den Boden rein ich konnte nicht mehr weglaufen. Es steckte im Knochen und ich... weiß nicht mein Bein war glaub ich auch kaputt der Jäger ist da draufgetreten und es hat so komisch geknackt..."

Sie hielt inne und blieb stehen um sich wieder zu sammeln, Restra stand nur besorgt guckend vor ihr als Lena sich die Tränen wegwischte und noch einmal ganz tief durchatmete.
„Das heute ist nicht nur eine Segnung und sozusagen Taufe für die Halbweisen hier, sondern auch für mich, Restra.
Ein neuer Tag bricht an. Ein neues Leben. Das alte ist weg, ist tot wie meine Mutter.", nickte sie noch einmal bekräftigend und räusperte sich dann hart.
„Wo geht es jetzt lang?", fragte sie Restra und die deutete auf eine große Hauptgasse, die zwischen den einfachen geflochtenen Asthäusern die mit Dreck verputzt waren den Hügel hinunter lief.

Takolia - Zwischen Schicksal und GlückWhere stories live. Discover now