Der Mann im Portrait

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I've tried to go on like I never knew you.
I'm awake but my world is half asleep.
I pray for this heart to be unbroken
but without you all I'm going to be is incomplete.

(Backstreet Boys – Incomplete)

„Nein!"

Hermines Stimme hallte so laut durch den Krankenflügel, dass alle zusammenzuckten und sie entsetzt anstarrten. Sie ließ ihren Blick über die Gesichter wandern. Alle waren blass, alle waren müde, alle waren schockiert. Und alle glaubten, was Harry gesagt hatte. Alle – außer sie.

„Professor Snape hat Professor Dumbledore nicht verraten!", wiederholte sie und ballte die Hände zu Fäusten. Sie atmete heftig und bemerkte erst jetzt, dass sie nicht mehr auf ihrem Stuhl in der Nähe von dem Krankenbett saß, in dem Bill lag und schlief, sondern auf ihren Füßen stand.

„Er hat ihn umgebracht, Hermine!", entgegnete Harry schließlich genauso heftig und stand ebenfalls auf. „Wie kannst du ihn immer noch verteidigen?"

„Ich weiß einfach, dass er Professor Dumbledore nicht verraten würde!", beharrte sie.

„Tja, das hat er aber! Ich war dabei! Er hat ihn umgebracht! Dumbledore hat ihn angefleht, es nicht zu tun, aber das hat ihn nicht aufgehalten!" Harry war so wütend, dass Speicheltropfen durch die Luft flogen, als er sprach.

„Das kann nicht sein", wiederholte sie stur.

„Hermine, vielleicht solltest du ...", begann Lupin und streckte die Hand nach ihr aus.

„Nein!", sagte sie wieder. „Ich glaube das nicht! Ich will mit Professor Dumbledore sprechen!"

Ein paar Sekunden lang war es absolut still im Krankensaal. „Hermine, er ist ... tot", sagte Ron schließlich und sah sie mit großen Augen an, so als würde er ihr dabei zusehen, wie sie den Verstand verlor.

Sie verdrehte die Augen. „Das weiß ich, Ron! Ich meine sein Porträt. Ich will mit seinem Porträt reden."

Jetzt wanderten die Blicke zu Professor McGonagall, die bisher sehr still gewesen war. Sie räusperte sich und streckte ihren Rücken durch, als die Blicke plötzlich auf ihr lagen. „Er ... Ich weiß nicht, ob er schon ... Ich war noch nicht im Schulleiterbüro."

„Dann sollten wir nachsehen", sagte Hermine, ein bisschen sanfter als vorher. Sie hatte ihre Hauslehrerin noch niemals zuvor so verstört gesehen. Es war ein beunruhigender Anblick. Was an diesem Abend geschehen war, hatte ihre Welt auf den Kopf gestellt und sie suchte verzweifelt nach einer kleinen Konstante, an der sie sich festhalten konnte. Und die, nach der sie sich am meisten sehnte, war Snape. Sie musste ihm einfach vertrauen! Wenn sie ihm nicht vertrauen konnte, wie sollte sie dann noch daran glauben, dass dieser Krieg ein gutes Ende nehmen würde? Wenn er sie wirklich verraten hatte, wie sollten sie Voldemort dann besiegen? Er musste einfach auf ihrer Seite stehen. Es konnte nicht anders sein.

„Vielleicht sollten wir erst mal schlafen gehen", schlug Tonks vor, als die Stille sich zog und niemand Anstalten machte, aufzustehen.

„Das halte ich für eine gute Idee", stimmte Lupin zu und griff nach ihrer Hand.

„Aber ...", begann Hermine, brach jedoch ab, als Ginny ihren Arm berührte.

Sie sah sie an, ihre braunen Augen schwammen in Tränen. „Bitte, Mine. Lass uns schlafen gehen. Lass uns morgen weiterreden. Okay?"

Hermine schluckte, wandte den Blick ab. Sie wollte nicht schlafen, sie wollte Antworten! Aber als sie ihren Blick ein weiteres Mal durch den Raum wandern ließ, wusste sie, dass sie heute keine Chance hatte, welche zu bekommen. Also nickte sie.

Inter Spem et Metum - Zwischen Hoffnung und FurchtWhere stories live. Discover now