Gegenstücke

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Wherever you live now, wherever you walk,
this distance between us I'm willing to cross.
Now I'm drifting out over deep ocean
and the tide, it won't take me back in.
And these desperate nights I call you again and again.

(Peter Bradley Adams – Between us)

In dieser Nacht konnte Hermine nicht schlafen. Ihre Gedanken waren bei Severus, der vermutlich gerade allein in seinen Räumen hockte und seine Seele heilen ließ, denn das war es, was passiert war, oder? Er hatte wieder jemanden töten müssen (wen?), hatte wieder seine Seele damit zerrissen, musste wieder einen Weg finden zu heilen.

Sie fragte sich, was es mit einer Seele machte, wenn sie mehrmals zerrissen und geheilt wurde. Blieben Narben zurück? Sicherlich. Aber was bedeutete das? Konnte er es spüren? Sie hatte die beiden Münzen in der Hand, rieb die eine und spürte die andere warm werden und fühlte sich auf einmal noch abgeschnittener von ihm als in den ersten Tagen in Scarborough.

Hatte sie es sich jetzt endgültig mit ihm verscherzt? Würde er sie nie wieder an sich heranlassen, nachdem sie seine Grenzen so überschritten hatte? Warum hatte sie bloß auf Harry gehört? Sie wusste doch, dass Severus sie rief, wenn er sie wirklich brauchte!

Mehrmals begann sie in dieser Nacht zu weinen und fühlte sich, als müsste sie an ihren Tränen ersticken, weil sie Ginny nicht wecken wollte. Zum Glück zog die morgen in den Gryffindorturm um, Hermine sehnte sich nach der Ungestörtheit, die sie vor Ginnys Ankunft hier in ihrem Zimmer gehabt hatte. Auf diesen Gedanken hin stieß sie ein bitteres, beinahe lautloses Lachen aus. Wie sehr hatte sie ihre Freundin hergesehnt und jetzt?

Sie schlich im Morgengrauen ins Bad und belegte ihre Augen mit einem Illusionszauber, damit man ihnen die Tränen und die Schlaflosigkeit der letzten Nacht nicht ansah. Steckte an diesem Tag beide Münzen in ihre Hosentasche, denn falls sich ein passender Moment ergab, wollte sie ihm seine zurückgeben. Falls sie nicht alles ruiniert hatte ...

Nach dem Frühstück half sie Ginny dabei, ihre Sachen in den Schlafsaal der Sechstklässler im Gryffindorturm zu bringen und nachdem sie sich fürs Mittagessen verabredet hatten, ließ Hermine sie in Ruhe ihren Koffer auspacken.

Vor dem Porträtloch traf sie auf Professor McGonagall.

„Miss Granger", sagte sie mit schmalen Lippen und ernster Miene.

„Professor?"

Die Hauslehrerin sah sich um und zog Hermine ein Stück den Gang entlang. „Miss Granger, wissen Sie, wo Ihre Eltern sind?"

Ein Adrenalinstoß durchfuhr sie. „Meine Eltern?", wiederholte sie mit schwacher Stimme. Ihre Eltern ... Hatte Severus einen von ... Nein! Nein nein nein nein!

„Miss Granger!", sagte Professor McGonagall scharf.

Sie zuckte zusammen. „Ähm ..." Rieb sich die Stirn. Nachdenken! Wo waren ihre Eltern? Heute war der erste September, sie hätten sie nach King's Cross bringen müssen, wenn Hermine die Ferien bei ihnen verbracht hätte. Aber nein! Es war gar nicht geplant gewesen, dass sie bis zum Ende der Ferien bei ihren Eltern blieb. Nicht dieses Jahr! Sie hätte zu Harrys Geburtstag in den Fuchsbau kommen sollen, weil ... ihre Eltern Freunde in Australien besuchen wollten. Fünf Wochen Urlaub, sie hatten sich darauf gefreut. Hermine hob den Blick. „Australien", sagte sie, während Tränen in ihren Augenwinkeln brannten. „Sie machen Urlaub in Australien. Jedenfalls wollten sie das ..." Sie schluckte. „Was ist mit meinen Eltern, Professor?", hauchte sie.

Professor McGonagall atmete auf und schüttelte den Kopf. „Nichts, Miss Granger. Es ist nichts. Wissen Sie, wie Sie sie erreichen können?"

„Ja, ich hab ... eine Telefonnummer. Warum? Bitte, Professor McGonagall ... Bitte sagen Sie mir, was los ist!"

Inter Spem et Metum - Zwischen Hoffnung und FurchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt