Rote Augen

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Everything you do, everywhere you go now,
everything you touch, everything you feel,
everything you see, everything you know now,
everything you do, you do it for your baby.

(Inara George – Fools in love)

Hermine verlor irgendwann das Zeitgefühl, hier vor dem Spiegel Nerhegeb. Es wurde dunkel, die Nacht senkte sich endgültig über den Wald und die Geräusche vor der Hütte veränderten sich, aber sie nahm kaum etwas davon wahr. Sie starrte das Spiegelbild an, als würde ihr Leben davon abhängen. Blinzelte nur, wenn sie das Brennen ihrer Augen nicht mehr ertragen konnte. Stellte sich vor, Severus würde tatsächlich die Hütte betreten und sich hinter sie setzen. Sie festhalten, wie der Spiegelbild-Severus es tat.

Erst als Tränen über ihre Wangen liefen, erwachte sie aus diesem merkwürdigen Zustand. Sie sah sich blinzelnd um und erschrak, als sie nur Schwärze durch die Fenster der Hütte sehen konnte. Wie spät mochte es sein?

Sie stand auf – und wäre beinahe wieder auf den Boden gefallen, weil ihre Beine eingeschlafen waren und ihr Gewicht nicht tragen wollten. Sie stolperte zur einen Wand der Hütte und lehnte sich dagegen, hielt still, bis das dumpfe Brummen in ihren Beinen nachließ und sie die Zehen bewegen konnte, ohne dass sie so unerträglich prickelte und kribbelte. Danach warf sie schweren Herzens wieder das Laken über den Spiegel und verließ die Hütte, verriegelte das Schloss und atmete schwer aus, als sie sich umsah.

Wo war die Falltür nochmal gewesen?

Mit gerunzelter Stirn und erleuchteter Zauberstabspitze ging sie in die Richtung, aus der sie vorhin gekommen war. Der morastige Waldboden veranlasste sie dazu, die Arme zu den Seiten auszustrecken, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mehrmals knickte sie um, konnte sich aber wieder fangen.

Bis sie es nicht mehr konnte.

Hermine stieß einen überraschten Laut aus, als sie mit dem linken Fuß ein ganzes Stück in den Boden sackte und umkippte. Ihr Zauberstab entglitt ihr, als sie schwankte und sich irgendwo festzuhalten versuchte. Mit der linken Hand griff sie in einen Dornenbusch und zog zischend die Hand zurück, im nächsten Moment stützte sie sich mit beiden Händen vor sich auf dem Boden auf. „Mist", flüsterte sie und kniete sich hin, um ihren Fuß aus dem Loch zu ziehen, in das sie getreten war. Ihr Zauberstab leuchtete zum Glück immer noch, so dass sie keine Schwierigkeiten hatte, ihn wiederzufinden. Sie nutzte das Licht, um ihre Hand zu inspizieren, die fürchterlich brannte. Sie wischte den Dreck zur Seite und konnte etwas Blut aus vier kleinen Wunden sickern sehen. Hermine schnalzte mit der Zunge, dann suchte sie weiter nach der Falltür.

Als sie sie gefunden hatte, sprang sie hinunter in den Geheimgang und machte sich auf den Weg zurück ins Schloss. Ihr Herz schlug schnell, während sie gebückt weiterlief und sich an der Wand des Geheimganges stabilisierte. In der Dunkelheit hier unten und dem im Takt ihrer Schritte hüpfenden Licht an der Spitze ihres Zauberstabes war es schwierig, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Bis der Gang hoch genug wurde, dass sie aufrecht stehen konnte, hatte sie Kopfschmerzen und fragte sich, ob das alles diesen Ausflug wert gewesen war. Aber selbst als sie einige Minuten lang darüber nachgedacht hatte, musste sie gestehen, dass sie es jederzeit wieder tun würde. Die Bilder, die der Spiegel ihr gezeigt hatte, waren so quälend wie wohltuend, sie würde nicht auf sie verzichten wollen.

Ein Scharren riss sie aus ihren Gedanken und Hermine wirbelte herum. Mit angehaltenem Atem und wild pochendem Herzen sah sie den Gang zurück, der sich schon nach gut zwei Metern in der Dunkelheit verlor. Sie horchte, aber da war nichts.

Doch als sie sich umdrehte, um ihren Weg fortzusetzen, war da eine schwarze Gestalt mit rot glühenden Augen. Hermine schrie und riss die Arme vor den Kopf, stolperte mehrere Schritte zurück in den Gang, fiel und kroch davon, während sie darauf wartete, dass etwas sie an den Füßen packte.

Inter Spem et Metum - Zwischen Hoffnung und FurchtWhere stories live. Discover now