Die andere Frau

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I won't give up,
I'm possessed by her.
I'm bearing her cross,
she's turned into my curse.

(Apocalyptica - Bittersweet)

Mit heftig schlagendem Herzen stand Hermine auf und ging zum Schreibtisch hinüber. Die Flasche war nicht groß, höchstens sechs Zentimeter hoch. Ein kleiner Korken verschloss den schmalen Hals. Sie musterte den weißlich wabernden Inhalt – Erinnerungen. Wie viele mochten es sein? Und warum schickte Severus sie ihr? Noch dazu kommentarlos.

In ihrem Bauch kitzelte es. Er vertraute ihr; genug jedenfalls, um ihr einige seiner Erinnerungen zu überlassen. Sie glaubte nicht, dass er das für jeden tun würde. Dann runzelte sie die Stirn. Dachte an die Unterhaltung, die sie neulich abends über das Pergament geführt hatten. Und schnaubte. Slytherin wie er war, sollten ihr die Erinnerungen wahrscheinlich beweisen, dass er nicht vertrauenswürdig war.

Kurzentschlossen griff Hermine nach einem Pergament und ihrer Feder und schrieb: Was soll das, Severus? Hältst Du es wirklich für den richtigen Zeitpunkt, um mich davon zu überzeugen, dass Du nicht vertrauenswürdig bist?

Aber nachdem sie diese zwei Sätze geschrieben hatte, war der Impuls abgeflaut und sie sah wieder zu dem Fläschchen hinüber. Schürzte die Lippen und löschte das, was sie auf das Pergament geschrieben hatte. Vielleicht sollte sie sich erst mal ansehen, was er ihr geschickt hatte. Schimpfen konnte sie hinterher schließlich immer noch.

Also stand sie auf und holte das Denkarium, das Dumbledore ihr gegeben hatte, um sich Harrys Erinnerung anzusehen. Sie hatte immer vergessen, es zurückzugeben, und da niemand sie bisher darum gebeten hatte, war es zwischen allem anderen einfach untergegangen. Harrys einzelne Erinnerung wirbelte darin herum und weil Hermine sich das nicht nochmal ansehen wollte, verwandelte sie einen ihrer Stifte in ein kleines Gefäß und legte die Erinnerung vorübergehend dort ab, ehe sie Severus' Erinnerungen in die Steinschale fließen ließ.

Mit jetzt noch mehr nervösem Kitzeln im Bauch lehnte Hermine sich über das Denkarium, bis sie kopfüber hineingezogen wurde. Sie kam hart auf und strauchelte, streckte die Arme zu beiden Seiten aus, bis sie ihr Gleichgewicht gefunden hatte. Sah sich um. Sie war im Hogwarts-Express. Im Schlafanzug! Es war, als wäre einer ihrer kindlichen Albträume wahr geworden. Zum Glück konnte sie niemand sehen.

Als hinter ihr eine Abteiltür zuschlug, erschrak sie und wirbelte herum. Ihre Augen wurden groß. Severus. Als Teenager! Sekundenlang konnte sie nicht den Blick von ihm abwenden. Er hatte sich kaum verändert, war eigentlich nur älter geworden. Auch damals hatte er lange schwarze Haare gehabt (die eigentlich mal wieder hätten gewaschen werden müssen), war viel zu dünn für seine Größe gewesen und sah den Gang des Zuges so wachsam hinauf und hinab, wie er später seine Schüler während der Prüfungen im Auge behielt. Hermine blinzelte erst, als er durch sie hindurch lief.

Sie schnappte nach Luft und folgte ihm. Er spähte in ein Abteil nach dem anderen, immer so, dass die Schüler darin nicht sofort auf ihn aufmerksam wurden; von der Seite und dicht gegen die fensterlosen Wände zwischen den Abteiltüren gepresst. Hermine fragte sich, nach wem er suchte, und als er in ein Abteil spähte und scharf die Luft einsog, trat sie an das Fenster heran und sah selbst hinein.

Ein kleiner Schock durchfuhr sie, als sie glaubte, Harry zu sehen. Aber es war sein Vater. Und ihm gegenüber saß Sirius. Sie schluckte schwer. Neben James saß Remus; er trug ein Vertrauensschülerabzeichen an seinem Schulumhang. Und ihm gegenüber ... Peter Pettigrew.

Arbitra!", flüsterte Severus neben ihr und plötzlich konnte Hermine hören, worüber sich die Jungs im Abteil unterhielten.

„... werden wir dieses Jahr fertig machen", sagte James und grinste selbstgefällig. „Ich hab trainiert im Sommer, nochmal lassen wir uns nicht so vorführen."

Inter Spem et Metum - Zwischen Hoffnung und FurchtKde žijí příběhy. Začni objevovat