01| das perfekte chaos

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~dorothea - taylor swift

e s t e l l a

Ich atmete tief aus und beobachtete, wie kleine Wölkchen sich in den mitternachtsschwarzen Himmel erhoben. Heute schien kein einziger Stern.

Winnie neben mir rollte nur die braunen Augen und schulterte ihre rosa Trainingstasche. »Herbst in Norwegen, mein Gott, kann das ätzend sein.«, beschwerte sie sich. Um ehrlich zu sein, verstand ich sie. Sie kam aus einem sonnigen Landesteil der englischen Küste. Selbst nach all den Jahren hier hatte sie unsere rauen nordischen Winter wohl kaum verkraftet.

Ich pikste ihr in die Seite. Trotz ihrer dicken Steppjacke jaulte sie auf. »Sieh es positiv, dann kriegst du mit deiner blassen Haut immerhin keinen Sonnenbrand.«

»Was für eine Aufmunterung.«, erwiderte sie schmunzelnd. Als Antwort zog ich ihr nur die Wollmünze über die Augen.

Seite an Seite liefen wir die sauber gepflasterten Wege in Richtung des Wohngebäudekomplexes entlang, welches noch ein gutes Stück entfernt lag.

Unser Internat war riesig. Es wurde irgendwann im neunzehnten Jahrhundert inmitten des Waldes erbaut und bestand aus riesigen Backsteingebäuden, verteilt über das ganze großflächige Gelände. Sich hier zurechtzufinden, war alles andere als leicht. Die neuen Schüler taten mir immer leid, wenn sie verwirrt und verzweifelt mit ihren Plänen in den Händen durch die Korridore streunten.

Irgendwann, vielleicht erst in ein paar Jahren, würden sie dann jeden Weg in- und auswendig kennen. Dann würde es sehr viel leichter werden, so, dass sie sogar bei Dunkelheit umherstreifen konnten, ohne bei den Wölfen im Wald zu landen.

Ich beobachtete die Lichter aus dem Hauptgebäude, an dem wir vorbeimussten. Es gab insgesamt drei Etagen und es war aufgebaut wie ein L. Der hübsche Innenhof war mit Weiden bewachsen, unter denen sich selbst jetzt noch einige der ältesten Schüler tummelten.

Winnie konnte nun kaum mehr aufhören über irgendeinen mega süßen Typen zu schwärmen, der neuerdings in ihrem Geschichtskurs saß. Ich konnte sie nur amüsiert von der Seite ansehen. Ungefähr jede Woche änderte sich die Liste von Typen, die sie gut fand.

Wenn ich mein kleines zehn Jahre altes Ich doch nur damals hätte beruhigen könnte, dachte ich, als wir auch die großen Reitställe hinter uns gelassen hatte. Am ersten Tag war ich buchstäblich am Zittern gewesen, weil ich solche Angst hatte, keine Freunde zu finden.

Doch als Winnie sich am ersten Abend frech grinsend als meine neue Zimmernachbarin vorstellte, mit ihrer riesigen Zahnlücke und den hellblonden Engelslocken, fiel mir ein Stein vom Herz.

Freunde konnte man immer und so gut wie überall finden. Belanglose Freundschaften waren nichts Seltenes. Jeder hatte sie. Manche mehr, manche weniger.

Doch eine beste Freundin fand man nur einmal im Leben.

Und ich hatte meine gefunden.

Mittlerweile glaubte ich, dass es sogar Schicksal gewesen war, sie zu treffen. Nach all den Freundschaften, die ich davor durchgemacht hatte, die aus Neid, Lästereien und Hass bestanden hatten.

»Okay okay«, unterbrach ich sie mit erhobenen Händen, an denen ich die gestrickten Handstulpen von meiner Großmutter trug. »Erstens: Du wirst ihn nicht ansprechen. Er starrt dich ununterbrochen an, also gib ihm erstmal eine Woche Zeit. Dann kannst du das immer noch machen.«

Winnies Schultern sackten zusammen. »Aber-«

Ich hob nur mahnend den Zeigefinger. »Nope! Kein Aber!« Dann fuhr ich fort:»Zweitens: Sei dir bitte ganz sicher, bevor du ihn ansprechen solltest, wegen Keeton.«

The light you brought Where stories live. Discover now