30| verflochtene finger

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c o d y a n

atlantis- seafret

Mr Evensen strich sich wieder über den kurz getrimmten, grau- silbernen Bart und beugte sich ein Stück vor vor. Selbst um diese späte Uhrzeit wirkte der Anzug unseres Schulleiters makellos und faltenfrei. Genauso wie seine Miene, die keine einzige Regung zeigte. Völlig anders und im krassen Kontrast zu dem Abend meiner Ankunft, als er in diesem karierten Holzfällerhemd herauskam.

Norah stand hinter ihm, die Hände bedrückt in die Taschen ihrer Anzugshose gesteckt. Einige Strähnen fielen ihr aus der lockeren Hochsteckfrisur. Anders als Mr Evensen konnte man ihr ihre Gefühle ganz genau ablesen: Schock und Mitleid.

Mitleid für Stella, die gekrümmt auf einem Stuhl gegenüber von ihnen saß. Normalerweise schien sie besonders wegen dem Tanzen zu jedem Zeitpunkt kerzengerade aufgerichtet, aber im Moment sackte sie regelrecht in sich zusammen.

Weg war das strahlende Lächeln, ihre rosa Wangen und die selbstbewusste Haltung. Weg war das Strahlen, was sie immer umgab und jeden in den Bann zog. Und all das wegen Arvid...

Neue heiße Wut entflammte tief in mir, aber ich zwang mich mehrmals tief durchzuatmen. Es hatte keinen Sinn jetzt auszurasten. Arvid würde seine gerechte Strafe schon bekommen.

Ich streckte die Beine aus und ließ mich tiefer in den Stuhl sinken.

Nachdem ich vor einer halben Stunde kurz mit Mr Evensen in seinem Büro gesprochen, ihm meine Sicht geschildert hatte, stieß Stella zu uns. Dr Saundars hatte sie für eine Woche krankgeschrieben, ihr endlich vernünftige Medikamente verordnet und würde gleich morgen ihren Fuß genauer untersuchen.

Ich sah ihr die bloße Erleichterung an, als sie mir kurz zuraunte, er würde eine temporäre Entzündung vermuten. Eine Entzündung konnte mit richtigen Medikamenten heilen und würde keine Operation oder sonstigstes brauchen. Vor einigen Jahren hatte ich selbst eine gehabt,

Doch selbst eine Heilung mit starken Medikamenten  brauchte Zeit. Hatte ihr das Dr Saunders auch gesagt? Wie lange würde sie nicht Tanzen können?

Norah schob Stella stumm ein neues Glas Wasser entgegen. Sie pausierte ihre ausführliche Erzählung, murmelte ein Danke und trank es in einem ganzen Zug leer.

Mit allen Details, an die sie sich erinnern konnte, schilderte sie von Wochen zuvor, in denen sie Arvid mehrmals abgewiesen hatte. Der Vorfall auf dem Flur und sein aufdringliches Verhalten spielten dabei eine wichtige Rolle.

»Dann war ja alles gut... Er ist weg geblieben, hat mich auch nicht mehr angesprochen.« Und dann brach ihre Stimme, als wäre da etwas in ihr zerrissen. »Jedenfalls bis heute...«

Norah schob ihr kopfschüttelnd die Taschentuchbox zu. Ich wollte im Augenblick nichts mehr als Stella wieder in den Arm zu nehmen.

Sie wischte sich flüchtig einige Tränen mit einem Tuch weg und sagte mit schneller Stimme:»Ich hätte früher kommen müssen. Arvid melden müssen oder was auch immer. Das sehe ich ein. Vielleicht hätte...«

Ich wollte ihr schon widersprechen, sie darauf hinweisen, bloß nicht sich selbst die Schuld zuzuschieben, aber da erhob Mr Evensen das Wort:»Estella... Erstens ist es ist sehr gut, dass du zu uns gekommen bist. Und ich möchte dich wissen lassen, dass wir das sehr ernst nehmen. Ich glaube dir, und es werden umgänglich Konsequenzen eingeleitet.«

An Norah gemeint fügte er hinzu:»Beziehungsweise werden sofort Arvids Eltern kontaktiert. Ob sie hierherkommen oder telefonisch mit mir diskutieren wollen, ist mir egal. Norah, würden Sie das bitte an eine der Sekretärinnen weiterleiten, die noch da sind?«

The light you brought Where stories live. Discover now