54| wunde seele

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e s t e l l a

right were you left me- taylor swift

Ich tanzte.

Jeden einzelnen Tag.

So viele Stunden, wie ich nur konnte.

Ich verharrte auf meinen wunden Füßen, bis es nicht mehr ging.

Verharrte solange, bis keine Tränen mehr übrig waren, bis in meinen Fingerspitzen kein Gefühl mehr war und bis ich das Gefühl hatte, nicht mal mehr meinen eigenen Herzschlag zu spüren.

Erst im Rampenlicht, wenn während des Trainings die Augen meines Trainers auf mir lagen, fühlte ich mich halbwegs okay. Dann fühlte ich mich, als würde ich nicht jeden Augenblick zusammenbrechen.

Doch all das ging nur für wenige Stunden gut.
Den restlichen Tag verbrachte ich mal mit Bauchschmerzen im Krankenzimmer, müde in einer Unterrichtsstunde oder weinend in meinem Bett.

Alles in mir schrie nach Codyan. Egal was ich versuchte mir einzureden, ich liebte diesen Jungen. Mich interessierte seine Vergangenheit nicht, all die Gerüchte, die ihn umgaben kümmerten mich nicht. Denn in all diesen Monaten, die wir zusammen verbracht hatten, hatte ich ihn kennengelernt.

Nicht den Jungen, den seine Eltern, Geschwister oder die Presse darzustellen versuchten.

Und ich sehnte mich so, so sehr nach ihm.

Codyan war gleich am Morgen nach der Gala aus dem Internat verschwunden. Er verabschiedete sich von keinem. Stieg einfach mit erhobenem Kopf in den Mercedes, der unten vor dem Springbrunnen parkte, und ließ sich mit seinem Vater zum Flughafen fahren.

Ich stand währenddessen am Fenster und wartete ab, bis sie verschwunden waren. Dabei beobachtete ich ihn. Aber nichts regte sich in seinem Gesicht. Kein Zeichen, dass er irgendwas auch nur ansatzweise bereute.

In Anzugshose und einem perfekt sitzenden Hemd stieg er ein. Das Haar war lässig mit Gel gestylt.
So hatte ich ihn noch nie gesehen. Es war überflüssig festzustellen, wie sehr er sich für seine Eltern verbiegen musste.

Als das Auto aus dem Tor gefahren war- es sich lautlos schloss- erst dann ließ ich meine Gefühle zu.
All das konnte doch nicht wahr sein. Immer noch nicht fasste ich, dass er ohne Widerrede nach England geflogen war, um dort sein Leben weiterzuleben. Dass er mich allein gelassen hatte. Einfach so.

»Wie fühlst du dich?«, fragte Mr García mich am Donnerstagabend nach einem ewig langen Training. Die Luft im Theater war schwül und die Lichter der Scheinwerfer brannten auf meine Haut.
Heute stand bereits die erste Generalprobe an.
Nun kamen zwei freie Schultage- Zeit um Weihnachten zu feiern. Wie auch immer das gehen sollte. Alle waren mit dem Kopf bei unserem Stück.

Die Nervosität war deutlich spürbar. Selbst jetzt, eine halbe Stunde nach offiziellen Ende der Probe, wuselten noch Schüler und Schülerinnen aufgeregt über die Bühne und wiederholten konzentriert ihre Schritte. 

Ich lag in einer tiefen Dehnung, den Kopf gesenkt und atmete tief aus. Die Probe verlief gut. Ich tanzte gut. Aber nicht perfekt.

Mein Lehrer setzte sich neben mich auf den Boden. Wartete ab, bis ich antworten würde.

»Meine Füße machen keinerlei Probleme, falls Sie das meinen. Ich hatte gestern noch einen Termin bei Dr Saunders. Alles sieht gut aus.«, sagte ich leise und lehnte mich noch tiefer. Für mich war die Probe noch lange nicht vorbei.

Vor zwanzig Minuten verabschiedete ich mich von Winnie, die mit anderen Mädels und Jungs in die Stadt gehen wollte, um bei dem besten Italiener etwas zu feiern. Sie war besorgt um mich, verharrte aber zum Glück nicht darauf, dass ich mitkommen musste.

The light you brought Where stories live. Discover now