59| ein mädchen inmitten des chaos

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e s t e l l a

here with me- susie suh & robot koch

»Es ist an der Zeit, einige Dinge endlich aufzuklären. Also hört mir bitte einfach kurz zu.
Das geht an meine Freunde, an Geschäftspartner, an Mitarbeiter von Walsh& Fox Industries und an Estella.«

Im Hintergrund herrschte eine absolute Stille.
Keine Stimmen, keine Geräusche von Autos, kein Rauschen.

»Schon lange ist dieses neues Kapitel überfällig.
Nicht nur in meinem eigenen Leben, sondern mit Sicherheit auch für Walsh& Fox Industries.« Codyans Stimme war ernst und eiskalt.

»Wir sind einer der besten Pharma Konzerne weltweit.  Das wird über uns gesagt. Das besagen die Auszeichnungen in unseren Hallen, in unseren Wolkenkratzern, in unseren Laboren.«

»Täglich stellen wir neue Medikamente her. Wir unermüdlich forschen, wir entwickeln, wir arbeiten hart, stets mit der Absicht, nur das allerbeste auf dem gesamten Markt für unsere Kunden zu erschaffen und zu kreieren.«

Seine ozeanblauen Augen hielten stur den Blick mit der Kamera- kein einziges Mal ließ er davon ab. Es wirkte, als würde er kaum blinzeln. Ich fühlte mich wie gelähmt.

»Das, was ich erzähle, tue ich also nicht nur im Namen von mir selbst, sondern auch im Namen unserer Firma und vor allem... im Namen meines älteren Bruders Myles, der das bestimmt ebenso getan hätte.«

Codyan räusperte sich. Längst hatte ich aufgehört zu atmen. Was würde erzählen? Was würde er vor der gesamten Welt bloß in einem Video preisgeben wollen? »Alles begann in der Silvesternacht vor einigen Jahren. Ich war gerade vierzehn...«

Und dann begann er.

Er schilderte den Unfall, den sie hatten.

Dabei ließ er nicht aus. Er erzählte detailliert, wie er die Stunden ohne Hilfe neben Myles aushielt- neben seinem toten Bruder. Wie es überhaupt dazu kam. Danach berichtete er von der Zeit, die danach folgte. Von endlosen Wochen und hoffnungslosen Monaten, die sich in Jahre wandelten.
Von Morddrohungen, von den schlimmsten Pressebelagerungen und all dem Druck, der auf ihm und seiner Familie stand.

»Meine Familie hat den Verlust meines Bruders kaum verkraftet. Genau wie ich selbst.« Ich musste schlucken. Es tat weh, ihn das sagen zu hören.
»Es kam zu vielen unausweichlichen Konflikten.«

»Mein Vater sorgte bereits seit den ersten Tagen dafür, dass dieser Vorfall nahezu überall ausradiert wird. Im Internet lassen sich zwar Berichte darüber finden, dass mein Bruder in diesem Autounfall starb, aber mein Name hat damit nichts mehr zu tun. Höchstens wurde geschrieben, dass Myles selbst am Steuer war.« Er unterbrach den Blickkontakt mit der Kamera.

»Aber das ist falsch. Ich war derjenige, der gefahren ist und von der Straße abkam. Es war meine Schuld. Und dafür will ich endlich die Verantwortung tragen, die mir entrissen wurde und vor der ich mich selbst all die Jahre gefürchtet habe.«

Er fuhr fort:»Viele Dinge innerhalb unserer Familie geschahen, die dazu führten, dass ich letztlich nach Norwegen ging. An Skogsgård, das Internat in den Bergen.« Cody brachte ein Grinsen zustande.
»Ja, viele lagen genau richtig mit ihren Vermutungen.«, bestätigte er und während ich weinte, musste ich gleichzeitig heiser lachen.

»Es war anfangs furchtbar für mich, da ich nicht aus England wegwollte. Meine Eltern fanden es jedoch zu riskant wegen der Presse, die immer noch sehr skeptisch war und mehr zu dem Vorfall herausbekommen wollte. So flog ich letztlich widerwillig.«

»Und meine Zeit an der Schule, die ich doch eigentlich hasste, und von der ich so schnell wie ich nur konnte verschwinden wollte, stellte sich als eine der schönsten meines Lebens heraus.«

Bei dem Lächeln, das nun auf seinen Lippen auftauchte, bekam ich eine Gänsehaut. Es wirkte aufrichtig, selbst auf dem Video.

»Daran lag eine ganz bestimmte Person. Ein Mädchen, das ich zwischen all dem Chaos kennenlernte.«

Er machte eine bedeutsame Pause. »Sie veränderte alles für mich.« Wieder schwieg er einen Atemzug lang. »Sie war diejenige, die mich damals aus der Dunkelheit zog. Diejenige, die mir half, die Wunden, die damals bei dem Unfall entstanden, endlich zu verschließen, obwohl sie nicht mal davon wusste.«

»An dieser Stelle danke ich dir, denn ich hoffe sehr, dass du das hier siehst. Und ich hoffe auch, dass du verstehst, dass ich am Ende alles nur zu deinem besten getan habe.«

Ich lehnte den Kopf gegen die Wand, wusste nicht mehr, wohin mit mir. Was meinte er damit? Er hatte es beendet, zu meinem besten? Das konnte doch nicht wahr sein.

Er war das beste, was mir je passiert war.

»Wie ich am Anfang sagte, ich bin das unserer Firma schuldig: Denn es steht fest, dass Walsh& Fox Industries immer alles geben wird. Die Produktion wird angetrieben, wir stecken alles in Forschung und entwickeln stets weiter, damit wir allen Menschen weltweit die besten Produkte garantieren können. Genau für diese Werte stehen wir täglich ein.«

Stolz erfüllte meine Brust. Verdammt, er sprach wie ein verfluchter Geschäftsführer, obwohl er erst bald seinen Abschluss in der Hand hatte...

»Deshalb muss ich an dieser Stelle fairerweise zurücktreten.« Meine Hand verkrampfte sich um das Handy, als er diese Worte aussprach. Moment mal. Was?! Was hatte er da gesagt? Er konnte es nicht ernst meinen. Das war ein schlechter Scherz.

»Ich wusste von Anfang an, dass ich persönlich nicht für Walsh& Fox Industries brenne, wie es mein Bruder getan hat. Wie es meine Eltern Everett Fox und Catherine Walsh getan haben, und immer noch mit vollem Herzen tun.« Er brachte ein eisernes Lächeln zustande.

»Ich bin meinen Eltern mehr als dankbar, dass sie mir den Freiraum gelassen haben, um mich diese Entscheidung selbst treffen zu lassen, sodass ich schnell bemerkt habe, dass dieser familienbewährte Weg nicht der richtige für mich ist. Dass ich stattdessen meinen eigenen Weg gehen muss.«

Mein Herz donnerte gegen meine Brust, ich musste nach Luft japsen. Was redete Cody da?

»Myles hätte das ganz sicher unterstützt, genau wie mein restliches Umfeld.« Er sprach weiter:»Die Vergangenheit, die meine Familie hinter sich hat, ist grausam. Bis heute fühle ich die Verantwortung, doch mit jedem Tag lerne ich, damit umzugehen.«

»Ich möchte mich einfach im Namen von Walsh& Fox Industries bedanken- bei allen, die für mich, meine Eltern und Brüder da waren. Wir, als Familie, werden weiterhin zusammenhalten und vor allem von diesem neuen Kapitel nur noch bei eins bleiben: Der Wahrheit, die jeder verdient hat, der mit uns in Verbindung kommt.«

»Danke an jeden einzelnen.«

»Weiterhin unterstützt mich meine Familie sehr und auch ich werde mich natürlich nicht vollkommen von Walsh& Fox Industries distanzieren.«

Er sah wieder in die Kamera. »Am Ende sind wir schließlich immer noch die Familie, die und deren viele Generationen es sich um jeden Preis in den Kopf setzten, den Menschen zu helfen, wo auch immer man das im Namen der Wissenschaft und der Pharma- Branche tun kann.«

»Und das ist das allerwichtigste.«

Das Video endete.

Und ich saß sprachlos da.

Konnte nur stumm blinzeln und mich fragen, wie mein Gehirn das gerade alles verarbeitete. Ich wusste kaum, ob ich nun lachen oder weinen sollte.
Ob ich Codyan hasste oder liebte.

Und vor allem: Wie es nun weitergehen sollte, nachdem Codyan so etwas einfach in die Welt setzte.

Ich tat alles nur zu deinem besten.

Dachte er das wirklich? Dachte er, es ging mir so besser? Ohne ihn? Wenn er das tat, dann täuschte er sich. Dann war das womöglich die größte Lüge, die er sich erzählte.

Ich presste mir fluchend die Hände gegen die Augen, durfte nicht schon wieder zulassen, dass ich schwach war und weinte. Dieser elendige Herzschmerz, der mich nicht verließ, reichte mir voll und ganz.

Eine Vorahnung traf mich unbewusst, als ich zittrig durchatmete. Eine Vorahnung, dass ich schon bald herausfinden würde, was all das zu bedeuten hatte.

The light you brought Where stories live. Discover now