63| eine entscheidung

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e s t e l l a

fresh out the slammer- taylor swift

Wir starrten uns an.

Niemand sagte etwas. Nicht ein einziges verdammtes Wort verließ meine Lippen, die sich wie versiegelt anfühlten. Oder konnte ich nicht wegen dem Kloß in meinem Hals sprechen, der immer größer zu werden schien?

Ich hörte die Leute hinter uns freudig jubeln, sie begrüßten aufgeregt das neue Jahr. Aus dem Augenwinkel sah ich Winnie, ich sah Keeton, Edda und meine anderen Freunde, die ausgelassen feierten und so taten, als würden sie uns einfach nicht sehen.

Ich sah in endlosen dunklen Himmel, das Feuerwerk und die Sterne, die heute Nacht um die Wette strahlten.

Die Gedanken in meinem Kopf rasten. Mir schlug das Herz schmerzhaft, sodass ich mir die flache Hand auf die Brust presste. Fühlte sich so Liebe an?

Erst langsam realisierte ich, erst Stück für Stück, was Codyan mir da alles gesagt hatte. Was er für mich getan hatte, wenn all das wahr war.

Er hatte für mich zurück nach England gehen wollen, er war kurz davor gewesen einen Vertrag zu unterschreiben, der ihn für immer an ein Unternehmen gebunden hätte, von dem er fernbleiben wollte. Er hatte all seine neuen Freunde, das Laufen und ein Leben hinter sich gelassen, in dem er doch gerade erst angekommen war.

Dieser Gedanke wühlte mich innerlich auf.

Ich dachte, ich hasste ihn, redete mir das vielleicht verzweifelt ein, aber jetzt, wo ich die ganze Geschichte kannte...

»Es ist also die Wahrheit, Codyan?«, fragte ich wieder. Denn ich musste es einfach wissen. Noch eine Enttäuschung würde ich nicht verkraften.

Sein intensiver Blick ließ nicht von mir ab, als er sagte:»Jedes einzelne Wort ist die Wahrheit.
Ich kann dir einen Artikel zeigen, wenn du das möchtest. Du musst ihn nicht lesen, aber...«

Sofort schüttelte ich den Kopf. »Ich... glaube dir.«

Auf Regenschein folgt Sonnenschein.

Der Spruch meines Glückskeks, den ich erst vor wenigen Stunden in der Hand hielt, geisterte mir plötzlich durch den Kopf.

Ich hob das Kinn. Waren das Tränen, die mir über die Wangen strömten? Aus purem Glück, aus Angst, aus... Liebe? Denn das tat ich: Ich liebte ihn.

Er liebte mich. So einfach war das. Bei dem Gedanken empfand ich trotzdem noch Schmerz.
Ich war sauer auf ihn, aber... all das verblasste ein wenig, als ich ihm in die blauen Augen sah. Die Augen, in die ich mich letztendlich verliebt hatte.

Und das war alles, was am Ende zählte.

Jahrelang hatte ich bloß dabei zugesehen, wie meine Eltern stritten und sich immer weiter voneinander entfernten. Wie sie ihre Liebe im Qualm erstickten, weil beide nicht aus ihren Fehlern lernten, weil sie sich nie verzeihen konnten.

Irgendwann waren sie bestimmt glücklich miteinander gewesen. Vielleicht an ihrer Zeit an Skogsgård, als sie unbeschwerte Jugendliche waren, die sich im Gang anrempelten und sofort ineinander verliebten. Und vielleicht, hätten sie sich einfach mehr bemüht, vielleicht wäre ihre Liebe dann stark genug gewesen, um anzuhalten.

Ich machte einen zaghaften Schritt auf Codyan zu.

Ich musste mich bloß entscheiden.

Einen einzigen Schritt wagen.

Eine Wahl treffen, die ich doch schon traf, als wir uns entgegenstanden und er dafür sorgte, dass Arvid verschwand. Ab dem Moment wusste ich, dass er unmöglich der verwöhnte und arrogante Junge sein konnte, von dem alle sprachen. Ganz Im Gegenteil.

Er hatte mir mal auf einen Zettel geschrieben, er würde mich anderen als ein warmes Licht beschreiben. Wusste er aber, dass da, wo ich ihm Licht brachte, er es ebenso tat? Alles in meinem Leben fühlte sich gut mit ihm an. Es war so unbeschwert und leicht, auch wenn ich mal Stress hatte, wenn ich krank war, wenn es mir nicht gut ging... Hauptsache er war bei mir.

»Ich will nicht, dass du weinst, Sonnenschein.«
Sein Daumen fuhr mir sanft über die Wangen, strich die Tränen beiseite und ich legte den Kopf in den Nacken, sah ihn an.

»Ich... es tut immer noch weh an diese Gala zu denken. Aber ich verstehe es. Wenn es dich betroffen hätte, hätte ich dasselbe getan. Ich...« Wir sahen uns an. »Ich...« Mir fielen keine Worte mehr ein. Wieso dachte ich überhaupt noch darüber nach?

Und dann war es eh zu spät: Ich brauchte nur einen letzten Schritt vorzugehen, da hatten mich seine Arme gefangen. Da umschlangen sie mich, hielten mich so unendlich fest, dass alles um mich herum wankte und mir die Knie ganz weich wurden.

Das war es, was ich für mein Leben wollte. Mehr als irgendein sinnloses Ballett- Stipendium, die Freiheit von meinen Eltern oder sonst irgendwas. Ich wollte bloß einen Partner haben, bei dem ich mich so fühlte.

Das Feuerwerk wurde zu verschwommenen Farbklecksen, die Stimmen um uns verschwanden und meine Gefühle wurden still. Übrig war nur das Schlagen unserer Herzen, das zu einem wurde.

Meine Tränen liefen auf seine Jacke, aber das war egal. Codyans Hand strich mir behutsam übers Haar. Für eine Ewigkeit standen wir im fallenden Schnee. Ich roch ihn, verbrannte Böller und den Schnee. Meine Augen waren geschlossen, ich lehnte mich erschöpft gegen ihn.

Und ich wusste: Ich hatte meine Wahl getroffen.

Es war er, für den ich mich entschieden hatte.

The light you brought Where stories live. Discover now