45| wenn es um sie geht

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c o d y a n

deep end- birdy

Wenn ich eins tat, dann die Weihnachtszeit aufs tiefste verabscheuen. Nichts an all diesem romantisierten Kram, den man typischerweise so tat, konnte ich auch nur ansatzweise mögen.

Weihnachten war doch nur irgendein verdammter Vorwand, damit sich Familien für die Feiertage wieder zusammenflicken konnten, damit für ein paar Stunden alles gut lief. Doch sobald es vorbei war, zerplatzte auch diese lächerliche Blase.

Früher hatte ich es mal gemocht, glaubte ich. Jedenfalls bezeugten das alte Bilder im Familienalbum: Myles, Calum, Josh und ich vor dem ausladenden Tannenbaum. Wir am Kekse backen. Myles, der mich lachend auf einem Schlitten einen Berg hochzog. Weitere Fotos von mir, zehn Jahre alt und hochstolz, in einem schwarzen Anzug mit kleiner Krawatte, auf der ein Zuckerstangenmuster abgedruckt war.

Alle meine Brüder grinsend hinter mir.

Calum hatte das perfekte Lächeln, Myles einen Arm um mich gelegt und Josh zog eine absolut grausame Grimasse. Ich konnte nahezu Moms Schimpfen nach diesem Bild hören.

Alles war gut. Alles war perfekt gewesen.

Egal wie viel Stress herrschte- an Weihnachten stand die Familie an oberster Stelle. Mom und Dad sagten Meetings ab, nahmen sich ausnahmsweise mal frei, um über die Feiertage bei uns zu sein.

Es waren einige der schönsten Tage, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnern konnte.

Als Myles starb, war es, als hätte man diese Bilder einfach mit Klauen zerfetzt. Freude wurde von Kummer ersetzt, eine ehemalige Familie wurde zu Menschen, die sich einfach immer weiter voneinander distanzierten. Menschen, die sich an Weihnachten kaum mehr umarmen konnten.

Irgendwo mussten diese Fotoalben wohl noch existieren. Die Beweise, das mal alles anders gewesen war. Doch sie verblassten bestimmt in einer zerknüllten Kiste, versteckt auf dem Dachboden im Haus, in dem ich aufgewachsen war.

Trotzdem wusste ich, auch wenn sie verblassten- sie existierten noch. Irgendwo gab es noch die Bilder, die bezeugten, wie viel Liebe einst in unserer Familie gesteckt hatte.

Heute, an dem Geburtstag von meinem jüngsten Bruder, der nicht mal auf meine Nachrichten reagierte, tat das beschissen weh. Ich wollte im Augenblick nichts mehr, als diese verfluchten Alben zu verbrennen, sie zu zerreißen.

Aber das ging nicht. Denn auf der anderen Seite...

Stella drückte mir einen langen Kuss auf die Wange und lehnte sich keuchend gegen mich, bevor sie den Kopf lachend zurückwarf und mich wie mit einem Schlag in die Magengegend, zurück aus alter Vergangenheit, und zurück ins Hier und Jetzt katapultierte.

Anders als ich liebte dieses Mädchen mit den strahlenden Augen Weihnachten. Und selbstverständlich alles, was eben dazu gehörte. Sie vergötterte dieses Fest.

Und wenn sie das tat, dann tat ich es auch. Für sie.

Es war gerade mal Dienstag, der zweite Dezember. Doch ich fand mich bereits auf dem zugefrorenen See wieder. Ich trug verdammte Schlittschuhe und hatte mich tatsächlich dazu überreden lassen, auf das Eis zu gehen.

»Will! Alles gut bei dir?!«, rief Stella, die Hände zum Trichter geformt, und kriegte sich immer noch kaum vor Lachen ein, weil er gerade rücklings auf den Hintern geflogen war. Er reckte nur einen Daumen in die Höhe und ließ sich von einem der Jungs wieder hochziehen.

Warum hatte Stella mir vorher nicht verraten, wie verdammt schwer Eislaufen sein konnte? Nach fast zwei Stunden konnte ich sicher fahren, aber am Anfang war es der reinste Krampf gewesen.

The light you brought Where stories live. Discover now