64| ein neuanfang

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c o d y a n

risk- gracie abrams

Der Januar fing an und alles fühlte sich wie ein schlechter Traum an.

Nicht nur wegen dem Fakt, dass ich nach Skogsgård zurückgekehrt war, mein Vater sich wie versprochen nicht ein einziges Mal meldete und die Presse endlich verdammte Ruhe gab, sondern vor allem wegen ihr. Wegen meinem Sonnenschein.

Schon in dem Moment, in dem sie weinte, als wir uns in der Silvester Nacht entgegen standen, wusste ich, dass es ganz sicher nicht leicht werden würde.

Und das war es auch nicht.

Wir redeten viel. Stundenlang. Pausenlos.
Über alles was passiert war, genauso wie über meinen Unfall, das Unternehmen, meine Eltern, und all die verdammten Dinge, die ich ihr verheimlicht hatte.

Es fühlte sich wie eine unglaubliche Erleichterung an, ihr alles sagen zu können ohne dabei irgendwas zu riskieren. Ohne dabei unter dem Druck der Presse, meinen Eltern, oder sonst wem zu stehen.

Da waren nur sie und ich.

Endlose Nächte, in denen nur wir zwei existierten.
In denen ich einfach keinen anderen mehr außer sie an meiner Seite brauchte.

Jeden Tag holte ich Stella von ihren Kursen ab, wir gingen oft runter zu dem Italiener essen, den sie so liebte, fuhren mehrmals nach Oslo und sahen uns auch das aufgenommene Nussknacker Video ihres Tanz an. Ich hatte es schon über zehnmal gesehen, aber das sagte ich ihr nicht. Es war zu süß zu sehen, wie ihre Wangen beim ansehen Farbe annahmen.
In diesen Momenten meldete sich trotzdem wieder mein schlechtes Gewissen. Denn ich hätte da sein sollen. Ich hätte einer der Zuschauer sein sollen.
Und wir beide wussten das.

In den ersten Wochen brauchte es vor allem Zeit, bis Stella und ich wieder komplett normal miteinander umgehen konnten. Denn ich hatte es anfangs gespürt: Wie sie mich aus Angst auf Abstand hielt, vielleicht unterbewusst, aber das spielte keine Rolle.

Doch im Moment, nach knapp einem Monat, fühlte sich das mit uns stärker als jemals zuvor an. Vielleicht lag es daran, dass ich endlich offen mit ihr reden konnte, auch wenn es mir mal nicht gut ging, und wir einen so großen Teil unserer Zeit zusammen verbrachten.

Im selben Moment streckte sie sich gähnend neben mir. Es war Ende Januar, ein verdammt kalter, nebliger Abend. Wir saßen auf den Sitztribünen
bei der Tartan- Bahn, mein Training würde gleich anfangen, aber sie und Winnie wollten sich hier treffen. Ihre Kopf lehnte sich schläfrig an meinem Arm, es brachte mich zum Lächeln.

Stella besuchte mich oft beim Training- das übrigens härter als je zuvor war. Ernährungsplan, Fitnessstudio, Intervalle- ein striktes Programm zusammengestellt für den ersten Wettkampf, der bald in Oslo für mich anstand. Ich war eigentlich kaum aufgeregt, viel eher... freute ich mich. Denn Stella würde da sein. Sie würde mir zusehen. Und das reichte mir, damit ich mir die verdammte Seele aus dem Leib laufen würde.

Plötzlich lachte sie, stützte ihren Kopf auf der Hand ab und sah mich von der Seite an. Ihre Wangen waren vor Kälte gerötet und das Haar fiel ihr gelockt über die Schultern. »Was ist eigentlich heute los?«

»Hm?«, machte ich, drückte sanft ihre andere Hand, die in meinem Schoß lag.

»Du schaust so.«, entgegnete sie

»Wie denn?«

»Na ja, keine Ahnung... Sag du es mir.« Sie lachte wieder und es klang wunderschön.

»Ich realisiere einfach mal wieder, was für ein verdammtes Glück ich habe. Mit dir.«, sagte ich.

Das Lächeln auf ihren Lippen nach dieser Antwort sorgte dafür, dass ich sie einfach küssen musste, sie weiter zu mir zog. Es war einer dieser Momente in unserem Alltag, die ich so sehr schätzte.

Mein zweiter Neubeginn an Skogsgård war nicht gerade leicht gewesen. Es dauerte nicht nur, bis die anderen mir verzeihen konnten- Will war bis heute sauer- sondern auch, bis ich selbst langsam realisieren konnte, was alles in der vergangenen
Zeit passiert war.

Denn ich hatte meine Familie mehr oder weniger im Stich gelassen. Jedenfalls war es das, was mir mein Vater eingeredet hatte, als das Video online ging. Nun musste ich versuchen mir täglich vor Augen zu halten, dass ich die richtige Wahl traf, indem ich endlich mich wählte, anstatt es irgendwem recht machen zu wollen.

Nebel waberte über den Platz. Über genau solch einen würde ich schon bald laufen, dachte ich.
Und das nicht aus Spaß, sondern um eine Qualifikation zu bekommen. Es ging vielleicht für manche nur um Medaillen, aber mir bedeutete es einfach verdammt viel mehr.

Stella löste sich von mir- ihr Atem bildete kleine Wölkchen. Der Januar hatte wirklich verdammt kalte Temperaturen mit sich gebracht. Unsere Lippen trafen sich wieder- bis aus dem nichts ein Schauer ihren Körper erfasste. Sie lehnte sich zurück und fing mit abgewandtem Kopf an zu husten. Sie beugte sich etwas vor und hustete wieder.

»Ist alles gut? Geht es dir gut?«, wollte ich wissen und sah sie besorgt an. War sie etwa wieder krank?

»Ja, es ist nur... ach, hoffentlich einfach nicht nochmal eine Lungenentzündung.« Sie zuckte abtuend mit den Schultern und lächelte mich an.

»Bist du dir sicher? Willst du vielleicht nochmal zu Dr Saunders?«, schlug ich vor.

Sofort winkte sie ab. »Ach Quatsch. Das wäre unnötig. Ich schone mich einfach etwas, dann wird der Husten weggehen. Wahrscheinlich liegt es einfach an dieser Kälte. Ein Glück wird es hoffentlich in einigen Wochen wärmer...«

»Wo bleibt Winnie denn?« Ich sah mich um. »Damit ihr reingehen könnt? Du solltest nicht weiter hier draußen sein.«, sagte ich sofort.

»Sie...« Stella reckte suchend den Hals, ihr Gesicht erhellte sich beim Anblick ihrer Freundin, die winkend am Tor auftauchte. Will war bei ihr, über seiner Schulter hing seine Sporttasche.

»Ah, da ist sie ja!« Sie sprang auf, unsere Hände verschränkten sich nochmal. Ich stand auf, sah auf sie herab.

»Du sagst mir, wenn es dir schlechter geht, ja?«

Rollte sie ernsthaft amüsiert mit den Augen?
»Na klar. Ich verspreche es dir.« Gemeinsam gingen wir die Stufen hinunter auf die anderen zu.

»Mein Gott, wieso ist es wieder so arschkalt?«, war das erste, was Winnie sagte, als sie Stella um den Hals fiel.

Will nickte mir bloß zu. Wir redeten zwar normal miteinander, aber es wirkte immer noch nicht so, als hätte er mir all den Scheiß, der geschehen war, komplett verziehen. Und ich konnte es ihm nicht übel nehmen.

»Ich verstehe nicht, wieso euer Coach immer hier draußen trainieren will... Ihr könntet auch einfach mal in die Halle...« Winnie rieb ihre Handflächen aneinander.

»Frag ihn doch, dahinten kommt er.« Will grinste.

»Ein anderes Mal. Viel Spaß!«

Stella und ich tauschten einen letzten Blick, bevor sie sich von ihrer Freundin in Richtung des Ausgangs ziehen ließ.

Ich konnte es nicht lassen, ihr hinterher zusehen.
Irgendwas in mir spannte sich an, war beunruhigt, als ich kurz vor den Umkleidegebäuden ein entferntes Husten vernahm. Stellas Husten.

The light you brought Where stories live. Discover now