Ankunft in der Todesfalle

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Das nächste, was Harry wahrnahm, war, dass er mit dem Gesicht auf dem Boden lag. Er öffnete die Augen, als er eine aufgeregte und alarmierte laute Stimme hörte.
"Wer seid Ihr? Was macht ihr hier? Und wie bei Merlins Bart kommt ihr auf einmal in mein Haus?!?"
Die Stimme überschlug sich fast, ganz als ob ihr Urheber schwer um Fassung rang. Harry setzte sich auf und versuchte zu erkennen, wer da sprach. Er sah jedoch nur ein sehr undeutliches Bild; seine Brille musste beim Aufprall auf den Boden zersprungen sein. Er zog seinen Zauberstab und reparierte sie, doch zugleich hörte er wieder die aufgebrachte Stimme des Mannes.
"Expelliarmus!"
Erspürte, wie ihm der Zauberstab aus der Hand gerissen wurde.
"Na warte, Bürschchen! Du kannst dich mit deinen Todesserkollegen schon mal auf einen angenehmen Askabanaufenthalt freuen!"

Harry fluchte innerlich und versuchte, Deckung zu finden und wunderte sich nur kurz darüber, dass der Mann ihn einen Todesser geheißen hatte. Er hechtete hinter einen Sessel und hörte, wie Hermine und Ron den Mann ihrerseits angriffen und dieser sich verteidigte. Ginny kauerte wie Harry hinter einem Sessel und schützte den brüllenden Teddy vor den umherfliegenden Flüchen.
Einige Momente gelang es dem, sich gegen Ron und Hermine zur Wehr zu setzen, dann rauschte ein Lähmfluch von Hermine unter seiner Deckung durch und er sackte nach hinten gegen die Wand.
"Incarcerus!", rief Ron und feste Seile fesselten den am Boden Sitzenden.

Harry erhob sich. Er hatte inzwischen seinen Zauberstab wiedergefunden und sah nun dem unbekannten Mann zum ersten Mal ins Gesicht. Und was er da sah, überraschte ihn derart, dass ihm die Kinnlade aufklappte und er den Zauberstab aus der Hand gleiten ließ.
"Wo zur Hölle sind wir eigentlich?", war Rons Stimme zu hören. "Warum bei Merlins Unterhose sind wir plötzlich in einem Haus? Und warum greift dieser Typ uns an? ... Meine Fresse, Harry, der sieht ja aus wie du!", rief er.

Das war Harry auch aufgefallen. "Wer sind Sie?", fragte er tonlos.
Seine Freunde hielten noch immer ihre Zauberstäbe ausgestreckt. Das Gesicht des Mannes verzerrte sich hasserfüllt, während er verzweifelt gegen seine Fesseln ankämpfte.
"Als ob du das nicht wüsstest, Todesser!", spuckte er ihnen entgegen. "Als ob ich nicht wüsste, warum ihr hier seid! Komisch, ich dachte eigentlich, wir sind wichtig genug, dass euer Herr und Meister persönlich vorbeischaut. Aber ich schwöre dir, du wirst mich töten müssen, wenn du an meine Frau und meinen Sohn herankommen willst!"
"Wir sind keine Todesser", sagte Harry mit einer seltsamen Ruhe, die er sich selbst nicht erklären konnte. Seine Gedanken waren wie in einem Tunnel gefangen. "Wer sind Sie?", fragte er noch einmal.

Ehe der Mann antworten konnte, öffnete sich die Wohnzimmertür.
"James, alles in Ordnung? Was war das für ein Lärm?"
Eine junge, hübsche, rothaarige Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm erschien im Türrahmen. Sie schrak zusammen, als sie Harry, Ron und Hermine erblickte, die noch immer ihre Zauberstäbe auf ihren Mann gerichtet hatten, sowie Ginny, die Teddy auf dem Arm hielt, der sich langsam wieder beruhigte.

Innerhalb eines Wimpernschlags zog sie ihren Zauberstab und ging in Kampfposition. Sie drehte sich seitlich zu den vier Jugendlichen hin, sodass ihre Schultern und ihr Arm mit dem Zauberstab eine gerade Linie bildeten. Dadurch bot ihr Körper möglichst wenig Angriffsfläche, vor allem aber war so das kleine Kind am besten geschützt. Sie bedrohte die vier Freunde, griff aber auch nicht an, wie auch Harry, Ron und Hermine nicht angriffen.
"Lily, flieh!", keuchte der Mann am Boden. "Nimm Harry und flieh! Sofort!"
Doch die junge Frau rührte sich nicht. Harry starrte sie weiterhin an wie eine Erscheinung und bemühte sich, auf den Beinen zu bleiben. Er kannte die Frau, ebenso wie er den Mann kannte. Doch das war unmöglich! Das konnte absolut nicht sein!

"Wer seid ihr?", fragte die Frau misstrauisch. "Und was wollt ihr hier?"
Wie in Trance schritt Harry zwei Schritte auf sie zu. "Wer sind Sie?", flüsterte er wie betäubt.
"Das habe ich dich gerade gefragt!", rief die Frau und richtete den Zauberstab auf seine Brust. "Komm mir nicht näher!" Sie klang verwirrt, schien nicht zu wissen, ob ihr Gefahr droht oder nicht.
"Wer sind Sie?", flüsterte Harry noch einmal; die an ihn gerichtete Frage hatte er gar nicht wahrgenommen.

"Ich heiße Lily Potter und ich will endlich wissen, was ihr in meinem Haus zu suchen habt!", knurrte die Frau. "Und warum ihr meinen Mann angegriffen und gefesselt habt."
Harry keuchte. Seine Knie gaben nach und er schaffte es gerade noch, sich auf einen Sessel sinken zu lassen. Er hatte es gewusst, irgendwie. Sein Verstand sagte ihm, dass das nicht möglich war, sein Gefühl aber sagte ihm unmissverständlich, dass er hier seinen Eltern und – sein Magen versetzte ihm einen weiteren Schlag – auch seinem jüngeren Selbst gegenübersaß. Aber wie um alles in der Welt konnte das sein?!?

Beim Namen "Lily Potter" war auch Hermine, Ron und Ginny schlagartig klar, dass hier etwas sehr Merkwürdiges vor sich ging und sahen sich alarmiert an.
"Lily Potter?", flüsterte Ginny mit bleichem Gesicht. "Wie kann das sein?"
"Ja, ist klar! Und ich bin Albus Dumbledore!", meinte Ron spöttisch. "Verarschen kann ich mich all..."
"Oh mein Gott!", unterbrach ihn Hermine panisch, "Die Karte!"
"Was ist mit der Karte?", fragte Harry und riss sich aus seiner Erstarrung.
"Die Karte vom Friedhof! Sie muss ein Zeitportal geöffnet haben!", redete Hermine einfach weiter.
Ginny schaute verwirrt. "Ein Zeitportal? So wie bei einem Zeitumkehrer? Aber damit kann man doch nur ein paar Stunden, maximal einen Tag in der Zeit zurückreisen."

Hermine überlegte. "Die Karte war unterschrieben von Ignotus Peverell. Wenn sie wirklich von ihm stammt, wäre es möglich, dass er einen magischen Gegenstand geschaffen hat, der weitaus machtvoller ist als die üblichen Zeitumkehrer. Schließlich waren die Peverells außergewöhnlich mächtige Zauberer, die einzigartige magische Artefakte geschaffen haben."
Harry dachte nach. Seine Erfahrung in der magischen Welt hatte ihn gelehrt, dass es fast nichts gab, was unmöglich war. Auch die Heiligtümer des Todes hatten sich als wahr herausgestellt und hier ging es offenbar um einen ähnlich machtvollen Gegenstand.
"Was meinst du, Hermine? Wie weit sind wir zurückgereist?" Er hatte einen beunruhigenden Verdacht.

Hermine antwortete zögernd, ganz so als ahnte sie, was in Harry vor sich ging.
"Es hieß 'der Erbe ward zurückversetzt um die Mündigkeit eines Magiers'. Mündigkeit ist ein altes Wort für Volljährigkeit. Und wie wir alle wissen, wird ein Zauberer mit siebzehn Jahren volljährig."
Sie stockte kurz, sprach dann aber mit gezwungen ruhiger Stimme weiter. "Wenn ich den Text also richtig interpretiere, dann sind wir um genau siebzehn Jahre zurückgereist."
Sie wagte, es nicht Harry anzusehen, dessen Gesicht aschfahl geworden war. "Siebzehn Jahre?", flüsterte er, "Aber das heißt ja, dass heute... dass heute..."

Er drehte sich ruckartig zu James und Lily um, die die Unterhaltung irritiert und mit gerunzelter Stirn verfolgt hatten.
"Welches Datum haben wir heute?", fragte Harry angespannt.
"Heute ist Halloween", antwortete James, "aber was bei Merlin..."
"Jahr?!? Welches Jahr?", unterbrach ihn Harry.
"1981 natürlich! Habt ihr den Verstand verloren?"
Harry hörte nicht weiter zu. Wellen der Panik schlugen über ihn herein. Heute war der Tag! Heute war der Tag, an dem seine Eltern sterben würden und an dem er selbst auf ewig von Voldemort gezeichnet sein würde! Voldemort war vielleicht schon auf dem Weg hier her!

Lily wurde langsam ungeduldig. "Wird's bald mit einer Antwort!? Ihr platzt hier aus heiterem Himmel in mein Wohnzimmer, ihr redet vollkommen wirres Zeug, überfallt meinen Mann und ... und ... was wollt ihr, verdammt nochmal? Wer seid ihr?"
Sie hob jetzt wieder den Zauberstab und richtete ihn drohend auf die Gruppe.
"Ihr ... ihr seid keine Todesser, oder?", fügte er lauernd hinzu. "Aber wer seid ihr dann?"
Harry sah aus dem Augenwinkel, wie Ginny den kleinen Teddy fest in ihren Arme hielt und ihn mit ihrem Körper vor einer drohenden Eskalation schützte. Eine glühende Welle der Liebe durchströmte ihn, als er das sah. Sie war bereit, seinen Patensohn mit ihrem Leben zu beschützen, genauso, wie Lily es für ihn getan hatte.

Doch Moment: Getan hatte? Hier lebte sie noch! Sie stand direkt vor ihm! Die Worte seines Vaters drangen zu ihm durch. "Du wirst mich töten müssen, wenn du an meine Frau und meinen Sohn herankommen willst!" Er, Harry, konnte etwas tun! Noch war es nicht zu spät, noch lebten seine Eltern! Er hatte die Möglichkeit, die Geschichte zum Positiven zu verändern! Oder, um es in Ignotus Peverells Worten zu sagen, "vergangenes Unglück zu richten".

Harry straffte sich, setzte sich auf und sah seinen jungen Eltern an, jetzt mit einem Ziel vor Augen.
"Nein, wir sind keine Todesser. Wer wir sind und woher wir kommen, das ist eine sehr lange Geschichte. Die Kurzfassung lautet: Wir haben eine kleine Zeitreise gemacht und sind hier gelandet und deshalb wissen wir auch, was in den nächsten Minuten hier geschehen wird."
"Eine Zeitreise? Dass ich nicht lache! Das ist die dümmste Ausrede, die ich je gehört habe!", polterte James los. "Ihr Todesser wart auch mal schlauer! Oder hat er euch mit dem dunklen Mal auch gleich das Gehirn weggebrannt?", setzte er höhnisch nach.Er sah zu seiner Frau. "Lily, flieh, solange du noch kannst!" Doch Lily bewegte sich nicht.

Harry seufzte. "Bitte hört mir zu!", flehte er, "Wir verstehen euer Misstrauen. Wir wissen, dass Voldemort euch jagt und dass ihr euch vor ihm versteckt. Aber ich schwöre euch bei meinem Leben, dass keiner von uns auch nur im Entferntesten ein Todesser ist. Lieber würden wir sterben, als uns Voldemort anzuschließen! Schaut her, keiner von uns hat das dunkle Mal."
Er krempelte seinen linken Ärmel hoch und präsentierte seinen blanken Unterarm; seine Freunde taten es ihm gleich.
"Das muss nichts heißen! Ihr könntet genauso gut mit Vielsafttrank getarnt sein", entgegnete James.

"Ich weiß nicht, James", mischte sich Lily nun ein, "ich weiß nicht, wieso, aber ich hab das Gefühl, dass man ihm trauen kann."
Harry sah seine Mutter dankbar an.
"Wie meinst du das, 'du hast das Gefühl'?", erwiderte James irritiert.
"Nenn es Intuition, aber ich bin einfach überzeugt, dass er uns nicht schaden will", antwortete Lily ruhig, "wir sollten zumindest anhören, was er zu sagen hat."

James schaute skeptisch. "Und wenn es doch Todesser sind?"
"Wenn es Todesser wären, dann hätten sie mich schon längst angegriffen, sie sind schließlich vier zu eins in Überzahl. Und auch dich haben sie nur entwaffnet und gefesselt, nicht verletzt. Und außerdem: Welcher Todesser würde ein Kind zu einem Kampf mitbringen? Du weißt, dass man sich auch mit Vielsafttrank nicht in ein Baby verwandeln kann", versuchte Lily ihren Mann zu überzeugen.
"Und warum haben die mich angegriffen?"
"Weil Sie uns angegriffen haben", erwiderte Hermine. "Verständlicher Weise, klar", schob sie entschuldigend hinterher. "Aber wir haben uns nur verteidigt, mehr nicht."
"Na schön", sagte James widerwillig, "dann erzähl halt weiter!"

Harry räusperte sich und sprach schnell weiter. Er wusste nicht, wie viel Zeit sie noch hatten.
"Also, wie ich schon sagte, haben wir eine Zeitreise gemacht und wissen daher, was in den kommenden Stunden geschehen wird. Bzw. was geschehen würde, wenn wir es nicht verhindern. Wie ihr wisst, ist Voldemort hinter euch her, deshalb habt ihr euch mit dem Fideliuszauber versteckt."
"Woher weißt du das?", unterbrach ihn James alarmiert, "Das wissen nur äußerst wenige Personen und die sind alle im Orden!"

Harry wischte die Worte mit einer Handbewegung zur Seite.
"Ich weiß es einfach. Zukunft, schon vergessen? Bitte unterbrich mich nicht, wir haben nur sehr wenig Zeit. Also, Voldemort ist hinter euch her. Ihr habt euch deshalb mit dem Fideliuszauber geschützt, aber ihr wurdet verraten! Peter hat euch an Voldemort verraten!"
"Unmöglich!", rief James empört, "Peter ist unser Freund, er würde uns niemals verraten!"
"ZUHÖREN, verdammt!", brüllte Ginny und brachte James zum Schweigen.

Teddy fing angesichts des Geschreis wieder an zu weinen, doch Harry redete unbeirrt weiter.
"Wüsste ich sonst, dass Peter euer Geheimniswahrer ist und nicht Sirius, wie alle Welt denkt? Peter hat euch an Voldemort verraten und Voldemort ist in diesem Augenblick auf dem Weg nach Godric's Hollow. Heute Abend kommt Voldemort hierher und würde, wenn wir hier nicht aufgetaucht wären, diese Familie zerstören!"

Harry schaute in die Gesichter seiner Eltern, in denen sich Unglaube und Entsetzen spiegelten.
"Und wann?", fragte Lily zögernd, "Wann genau wird er kommen?"
"Die genaue Uhrzeit weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es abends war, als schon viele Leute in Halloween-Kostümen auf den Straßen waren."
"Aber... jetzt ist es abends... es ist viertel nach sieben... er kann jeden Moment kommen! Wir müssen auf der Stelle fliehen!", rief Lily aufgeregt und wollte schon aus dem Zimmer laufen, drehte sich dann aber zu James um.

"Wir können jetzt nicht fliehen, Lily", sagte Harry eindringlich. "Keiner von uns. Ihr habt euren Kamin vom Flohnetzwerk abgemeldet, unter dem Fideliuszauber kann man nicht disapparieren und dort, wo der Schutz des Zaubers aufhört, lungern überall Todesser herum, die Voldemort dort stationiert hat. Und die wird er erst in dem Moment wegschicken, in dem er hier selbst auftaucht. Wir sitzen hier in der Falle."

Halloween Time TravelWhere stories live. Discover now