Begräbnis

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"Was meinst du damit?", fragte Harry verdutzt.
"Auf dem Friedhof", erwiderte Hermine. "Ich habe Lucius Malfoy getötet, nachdem er meinen Vater umgebracht hat. Ich habe einen Menschen getötet, Harry, auch wenn er ein Todesser war! Verstehst du das?" Sie sah ihn verzweifelt an. "Ich habe mir geschworen, niemals so zu werden wie die Todesser. Und doch habe ich ihn getötet."

Harry sah ihr ernst in die Augen. "Hör auf, so zu denken", sagte er eindringlich. "Du bist kein bisschen so wie die Todesser." Er zog sie in eine feste Umarmung. "Ja, du hast ihn getötet. Aber die Situation war doch eine ganz andere. Du hattest gerade deinen Vater sterben sehen und er wollte auch deine Mutter töten. Das war nichts anderes als Notwehr, was du getan hast." Hermine schnaubte leise, sagte aber nichts.
"Weißt du, es gibt Momente, da existieren keine Hemmungen, einen Fluch einzusetzen. Damals, als Sirius von Bellatrix ermordet worden war, da wollte ich ihr einfach nur Schmerzen zufügen, sie sollte genauso leiden wie ich litt. Vorher hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich je den Cruciatusfluch einsetzen würde, aber in dem Moment setzte es einfach aus. Und du wolltest verhindern, dass Malfoy noch weitere Menschen ermordet oder ihnen Leid zufügt. Das macht dich nicht zu einem schlechten Menschen."

Hermine antwortete nichts auf Harrys Beschwichtigung. Sie saß nur still auf ihrer Schneekugel, an Harrys Schulter gelehnt, während Tränen über ihre Wangen liefen. Nach ein paar weiteren Minuten stand Harry auf. "Komm wieder rein, Hermine", sagte er. "Du erfrierst hier noch." Hermine stand wortlos auf und folgte ihm zurück ins Haus.
Sie verspürte nicht mehr das geringste Bedürfnis, ins Bett zu gehen und so machte sie sich zusammen mit Harry daran, den Frühstückstisch zu decken. Erst als der Morgen graute, kehrten sie wieder in Marys Zimmer zurück. Sie lag natürlich noch immer dort und hielt nach wie vor Klein-Hermine im Arm. Diese wachte jetzt aber auf, krabbelte unter dem Arm ihrer Mutter heraus und kletterte aus dem Bett.

"Mummy schläft", verkündete sie, als ihr älteres Selbst hereinkam. "Aufwachen, Mummy! Spielen!"
Hermine biss sich auf die Lippen und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. "Mummy kann leider nicht aufwachen, Liebling", sagte sie leise. "Sie schläft. Für immer. Sie ist jetzt im Himmel, bei Daddy." Sie hatte sich hingehockt und wollte ihr kleines Selbst in die Arme schließen, doch das kleine Mädchen riss sich los.
"Nein!", rief sie trotzig und ängstlich zugleich. "Mummy aufwachen! Mummy aufwachen! Mummy spielen!" Sie lief zu Mary hin und zog an ihrem Arm. "Aufwachen, Mummy, auf!"
Die ältere Hermine sank erschüttert am Türrahmen zu Boden. Harry ging hinüber zu dem kleinen Mädchen, hockte sich neben sie und zog sie sanft, aber bestimmt von ihrer toten Mutter weg. "Mummy!", schniefte die Kleine, doch Harry versuchte, sie abzulenken.
"Komm mit, Hermine, wir schauen mal, ob Harry und Teddy schon wach sind, einverstanden?" Klein-Hermine schaute ihn ein paar Sekunden an und nickte dann zögerlich. Harry ging nun mit ihr an der Hand in das Zimmer seiner Eltern, wo auch sein jüngeres Selbst schlief bzw. gerade aufgewacht war. Die beiden Kleinkinder waren schnell in ein Spiel vertieft und Klein-Hermine dachte zumindest für den Moment nicht mehr an ihre Mutter.

Mit stummen Blicken teilte Harry seinen Eltern mit, dass Mary inzwischen verstorben war. Dann kehrte er zurück und brachte Hermine mit einigem an Überredungskunst dazu, aufzustehen. Sie verschwand für längere Zeit im Bad. Mindestens eine halbe Stunde stand sie unter der Dusche und wechselte immer zwischen eiskalt und so heiß, dass es wehtat. Sie störte sich nicht an diesem Schmerz, im Gegenteil, er betäubte ein wenig den seelischen Schmerz über den Verlust ihrer Mutter.
Die Dusche weckte ein wenig ihre Lebensgeister und brachte sie auf andere Gedanken. Eine Stunde später saßen sie alle gemeinsam am Frühstückstisch. Zuerst von Ron und danach auch von Ginny, Lily und James wurde sie in eine feste und Trost spendende Umarmung gezogen. Das Frühstück war heute eine sehr stille Angelegenheit, nur hin und wieder vom Lachen oder Quengeln einer der Kinder unterbrochen.

Nach dem Frühstück sprach Remus das Unvermeidliche aus. "Wir müssen uns überlegen, wo und wie wir deine Eltern beisetzen können." Hermine zuckte zusammen, nickte dann aber langsam.
"Wir können hier nicht weg", sagte sie mechanisch. "Wir können nicht alle das Grundstück verlassen, nicht für eine Beerdigung. Das wäre zu gefährlich."
"Naja ...", meldete sich Sirius zögernd zu Wort. "Wir könnten sie hier im Garten beerdigen, wenn du möchtest. Wenn ... alles vorbei ist, Voldemort besiegt und die Lage wieder sicher, dann könnten sie auch umgebettet werden, wenn es dir dann lieber ist." Schweren Herzens stimmte Hermine dem Vorschlag zu.
Sie ging gemeinsam mit Sirius durch den Garten und suchte nach einem geeigneten Ort. Schließlich entschied sie sich für einen Platz genau in der Mitte von drei großen Eichen, die am Rande des Gartens im Dreieck standen. In der Mitte des Dreiecks hob sich ein sanfter Hügel und zwischen zwei der Bäume lag ein großer Felsbrocken. Den wollte Hermine als Grabstein verwenden. Noch mehr als Harry bei Dobby verspürte Hermine den Wunsch, das Grab allein und ohne Magie auszuheben, um ihren Eltern einen letzten Tribut zu zollen. Vollkommen ohne Magie konnte sie das Vorhaben nicht bewältigen, wie sie bald feststellte, da die Erde gefroren war. Nachdem sie sie aber mithilfe eines Zaubers erwärmt hatte, arbeitete sie schweigend über viele Stunden hob ein tiefes Loch aus.

Am Nachmittag war das Grab endlich groß genug. Allesamt versammelten sie sich im Wohnzimmer. Auch Albus war zu diesem Anlass in den Hundezwinger gekommen. Für Mary hatte er einen schönen und würdevollen fliederfarbenen Sarg geschaffen, Marys Lieblingsfarbe. Auf dem Sarg lag ein großes Gesteck mit den verschiedensten Blumen. Martin wurde in einem dunkelblauen Sarg bestattet. Hermine, Harry, Ron, Ginny, Remus und Sirius stellten sich links und rechts von Marys Sarg auf, hoben ihn an und trugen ihn langsam nach draußen, durch den Garten zu den drei Eichen. Albus ging dem Sarg voran; Lily und James schritten mit den kleinen Kindern im Arm bzw. an der Hand hinter ihnen her. Anschließend trugen sie in gleicher Formation Martins Sarg nach draußen.

Nachdem sie beide Särge in das Grab abgesenkt hatten, traten sie alle ein paar Meter zurück, während Hermine stehen blieb. Sie sprach nicht, aber man sah ihr an, dass sie sich diesmal endgültig von ihren Eltern verabschiedete. Nach Hermine ging Harry ans Grab. Wieder spürte er brennende Schuld in sich, auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass es dazu keinen Grund gab.
"Ich verspreche euch, ich werde gut auf meine Schwester Acht geben", sagte er. Danach warf er eine weiße Lilie und etwas Erde auf beide Särge.
Lily und James blieben ein wenig länger vor dem Grab stehen. "Ich verspreche dir, Mary, und auch dir, Martin, wir werden Hermine wie unsere eigene Tochter lieben, ihr immer mit Rat und Tat zur Seite stehen und wir werden sie mit unserem Leben beschützen", sagte Lily leise. James nickte nur, Lily hatte schon alles gesagt, was auch er im Sinn hatte.

Als alle sich von Mary und Martin verabschiedet hatten, ließ Albus den Berg ausgehobener Erde auf die Särge schweben, wo er nun einen sanften Hügel bildete. Danach ließ er den großen Felsen heranschweben, den Hermine als Grabstein ausgesucht hatte. Hermine selbst gravierte mit ihrem Zauberstab die Grabinschrift ein.



Martin Emanuel Granger

* 6. März 1950

† 11. Januar 1982


Mary Susan Granger
geb. Carter

* 12. Dezember 1952

† 13. Januar 1982

Die Bande der Liebe werden
mit dem Tod nicht durchschnitten.*

Noch einmal standen sie alle gemeinsam schweigend vor dem Stein. Lily beschwor einen großen Kranz Christrosen herauf und legte ihn vor den Grabstein. Hermine dankte ihr mit einem Nicken, dann wandte sie sich um und ging langsam ins Haus zurück. Die anderen folgten ihr. Auch beim anschließenden Kaffeetrinken war die Stimmung sehr gedrückt. Es brach Hermine das Herz, als ihre jüngere Version ihre Eltern suchte. Das kleine Mädchen weinte auf einmal laut und schrie nach ihrer Mutter. Sie lief die Treppe hinauf und in das Zimmer, in dem Mary geschlafen hatte, fand aber ihre Mutter natürlich nicht dort.

Lily lief ihr nach und nahm ihre neue Adoptivtochter in den Arm. "Deine Mummy kann nicht mehr kommen, Hermine. Sie ist jetzt im Himmel, genau wie dein Daddy."
"Wiederkommen!", schniefte Klein-Hermine. Lily seufzte. Wie sollte sie einem so kleinen Kind erklären, dass es seine Eltern niemals wiedersehen würde?
"Sie kann leider nicht wiederkommen. Aus dem Himmel kann man nicht zurückkommen. Aber – und das ist wichtig, Hermine – sie werden dich immer beschützen. Sie haben dich sehr, sehr lieb. Und sie sind immer bei dir. Du kannst sie nur nicht sehen. Hier drin. In deinem Herzen." Lily legte ihre Hand auf Klein-Hermines Herz.
Klein-Hermine hatte inzwischen aufgehört zu weinen und aufmerksam zugehört. Nun sah sie erstaunt nach unten auf ihre Brust und schien sich zu fragen, wie dort ihre Eltern reinpassen sollten. "Drin?", fragte sie und Lily nickte. "Mummy? Daddy?", flüsterte Klein-Hermine leise.
"Sie können nicht antworten", erklärte Lily, "Aber sie hören dich ganz sicher."
"Hab dich lieb, Mummy. Hab dich lieb, Daddy", sagte Klein-Hermine leise und streichelte mit der Hand ihre Brust. Lily zerriss es fast das Herz bei diesem Anblick und ihr liefen Tränen übers Gesicht.

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