Folter

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Auch in den nächsten Tagen weinte Klein-Hermine immer wieder nach ihren Eltern, während die Erwachsenen versuchten, sie zu trösten und ihr zu erklären, dass ihre Eltern nicht wiederkommen würden. Mehr als einmal schrie das Mädchen in ihrer Verzweiflung nach ihren Eltern und war stundenlang nicht zu beruhigen. Hermines älteres Selbst war stiller als sonst, begann aber, den Tod ihrer Eltern zu verarbeiten. Harry, Ron und Ginny versuchten sie nach Kräften zu unterstützen. Was ihr aber am meisten half, waren Gespräche mit Lily. Deren Eltern waren vor einigen Jahren bei einem Wohnungsbrand an Silvester ums Leben gekommen. Lily hatte sich monatelang Vorwürfe gemacht, weil sie am Tag vor Silvester abgereist war und ihren Eltern deshalb nicht hatte helfen können.

Albus versuchte derweil, neben den Mitgliedern des Phönixordens möglichst viele weitere Hexen und Zauberer zu mobilisieren, um Voldemort sobald wie möglich zu einem entscheidenden Kampf herauszufordern. Hermine hatte ihn auf die Idee gebracht, allen Freiwilligen eine mit einem Proteus-Zauber versehene Münze zu geben, damit sie im Ernstfall schnell informiert werden konnten. Lange wollten sie nicht mehr warten; sie wollten Voldemort und seinen Todessern keine Gelegenheit geben, weitere Massaker unter Muggeln oder in der Zaubererwelt anzurichten.

Da sie bis auf Weiteres nichts weiter tun konnten als abzuwarten, verbrachten die sechs Quidditch-Liebhaber die Zeit wieder mit ihrem Lieblingsspiel. Als sie nach zwei Stunden wieder ins Haus kamen, waren trotz dicker Winterkleidung ihre Hände und Füße blaugefroren. Die nächste Stunde drängten sie sich zu sechst vor den Kamin und versuchten, ihre Gliedmaßen wieder aufzutauen. Den restlichen Tag verbrachten sie mit Gesellschaftsspielen oder aber sie sahen den drei kleinen Kindern beim Spielen zu.

Sie wussten nicht, ob es daran lag, dass Klein-Hermine die älteste der drei war oder daran, dass sie auch in jungen Jahren schon sehr intelligent war und ihr Wissen an die anderen weitergeben wollte, jedenfalls übernahm Hermine meistens die Führungsrolle, wenn es darum ging, sich ein neues Spiel auszudenken. Sie war auch ausgesprochen neugierig. Kaum ließ man sie aus den Augen, erkundete sie jeden Winkel des Hauses, vom Zaubertranklabor im Keller bis zum Dachboden, wo sie jedoch nicht hinaufgelangte. Meist hatte sie dabei ihren kleinen Adoptivbruder im Schlepptau. Schon jetzt war zu sehen, dass die beiden sich gut verstanden.


Es war nun schon eine Woche her, seit sie den letzten Horkrux aus dem Ministerium geholt und zerstört hatten und sie warteten angespannt und auch ungeduldig darauf, gegen Voldemort in den Kampf zu ziehen. Harry wollte gerade in den Garten gehen, um ein wenig frische Luft zu schnappen, als ein glühender Schmerz durch seine Narbe schoss. Seine Knie gaben nach, er sank zu Boden und sah die Welt wieder aus Voldemorts Augen.

Er blickte hinab auf eine zitternde und keuchende junge Frau mit blonden Haaren. "Was soll das heißen, du weißt es nicht?", schrie er. "Ich habe das Tagebuch dir und deinem Versager von Ehemann übergeben! Warum liegt hier nur eine Fälschung im Versteck? Wo ist das Original?" Nur schwer konnte er seine Angst zügeln. Was konnte das bedeuten? Konnte das... Nein! Niemand kannte sein Geheimnis, niemand konnte davon wissen! Keiner war auch nur je auf den Gedanken gekommen, wie er sich vor dem Tod schützte. Es bestand kein Anlass, die anderen Verstecke zu überprüfen, dies würde nur unnötig viel Zeit kosten.

Aber was bedeutete das Verschwinden des Tagebuchs? Es war ein Fehler gewesen, das Buch Lucius zu überlassen. Der war unfähig, das war unbestreitbar, sonst hätte er sich wohl kaum töten lassen. Wahrscheinlich hatte er das Buch einfach verloren und wollte ihn, seinen Herrn, durch diese Fälschung täuschen. Sie war gut gemacht, keine Frage. Aber den Dunklen Lord täuschte niemand so einfach. Das Tagebuch durfte unter keinen Umständen in Dumbledores Hände gelangen. Es bestand die Gefahr, dass dieser das Geheimnis dahinter erkennen würde; sein Misstrauen und Scharfsinn waren schon immer lästig gewesen. Und sollte er dieses Geheimnis erst einmal gelüftet haben – würde Dumbledore auch darauf kommen, dass mehrere dieser kostbaren Gegenstände existierten?
Er musste nun die Wahrheit herausfinden. Er richtete seinen Zauberstab wieder auf Narzissa, die noch immer vor ihm kniete. "Crucio!"
Narzissa schrie in schrecklicher Qual.
"Wo ist das Tagebuch?", schrie er sie an. "Was hat dein nutzloser Mann damit gemacht?"
"Ich weiß es nicht, Herr!", kreischte sie. "Lucius hat es in der Kammer sicher verwahrt, so wie Ihr es befohlen habt. Ich weiß nicht, wohin es verschwunden ist!"
Wieder schrie sie auf, als er den Fluch erneut auf sie legte. Er wollte jetzt endlich Antworten!

Rücksichtslos und mit aller Gewalt drang er in ihren Geist ein. Dass ein solch rüdes Vorgehen erhebliche Schäden an ihrem Geist hinterlassen würde, war ihm gleichgültig. Er wühlte in ihren Erinnerungen, fand dort aber nichts, was auf den Verbleib des Tagebuchs hindeutete. Wütend riss er sich aus ihrem Geist zurück.
"Du nutzloses Stück Dreck!", brüllte er ihr entgegen. "Na warte! Du wagst es, dich mir zu widersetzen? Du hast den Dunklen Lord enttäuscht und wirst dafür bezahlen."
Mit dem Schwung seines Zauberstabs krachte eine Tür des Salons auf. Dahinter kam ein zitternder Hauself zum Vorschein. "Du! Bring das Balg der Malfoys her!", donnerte er dem Elfen entgegen.
Dieser nickte und verschwand so schnell er konnte.

Er wandte sich mit einem höhnischen Grinsen wieder an Narzissa. "Du wirst das Vergnügen haben, zuzusehen, wie ich deinen Bengel quäle und töte! Vielleicht fallen dir ja dann die Antworten! Du wirst selbst um seinen Tod betteln, um ihm sein Leid zu ersparen!"
Narzissa verlor das letzte bisschen Farbe im Gesicht. "Habt Gnade, Herr! Bitte! Bestraft mich und nicht ihn! Bitte!", flehte sie ihn an, doch ihn konnte dieses Winseln nicht erweichen, im Gegenteil: Allein für dieses störende Geräusch sollte sie noch länger leiden. Ein drittes Mal schrie sie unter dem Folterfluch auf.
In diesem Moment kam der Hauself mit einem kleinen blonden Jungen in seinen Armen ins Zimmer. Voldemort lächelte höhnisch.
"Leg ihn hier vor mich!", befahl er.
Mit letzter Kraft richtete sich Narzissa auf. "Bring Draco in Sicherheit, Dobby, und kümmere dich um ihn! Jetzt!"
Dann brach sie wieder unter einem erneuten Cruciatusfluch zusammen. Voldemort hatte sich zu ihr umgedreht, doch in diesem kurzen Augenblick verschwand der Elf mit einem lauten Knall zusammen mit dem kleinen Jungen.

Voldemort schrie auf vor Zorn. Das würde dieses Miststück bezahlen. Immer und immer wieder erneuerte und verstärkte er den Fluch und er ergötzte sich an ihren Schreien. Er wollte hören, wollte spüren, wie ihr Geist brach, dies war immer ein besonderes Vergnügen. Er drang in ihren Kopf ein, genoss ihr Leid, ihre Qual. Nach einiger Zeit waren kaum noch zusammenhängendes Denken in ihrem Geist vorzufinden. All ihre Gedanken kreisten um den Schmerz des Fluches, den er ihr beigebracht hatte, selbst dann noch, als er den Fluch aufgehoben hatte. Zu vernehmen war nur noch zusammenhangloses Brabbeln, wie das Wimmern eines kleinen Kindes. Das spiegelte ihren Geisteszustand wider. Sie würde nie wieder in der Lage sein, ihn zu enttäuschen. Und – und dieser Gedanke bereitete ihm zusätzliches Vergnügen – auch ihr Bengel würde ohne seine Mutter schon bald verrecken.

Eigentlich war es schade um diese Familie. Sie war von reinstem Blut und bis jetzt hatte Lucius ihm immer treu gedient. Aber er konnte es sich nicht leisten, dass seine Diener nachlässig wurden. Es war das richtige Zeichen an seine Anhänger, an dieser Familie ein Exempel zu statuieren. Nun konnte er sich in aller Ruhe wieder seinen eigentlichen Plänen widmen. Er verließ das Zimmer. Narzissa ließ er unbeachtet auf dem Boden liegen.



Keuchend schlug Harry die Augen auf. Er brauchte eine Weile, um zu realisieren, wo er war. Irgendwer hatte ihn offenbar aufs Sofa gelegt. Er sah auf und blickte in besorgte und verängstigte Augenpaare. Ächzend setzte er sich auf und griff nach seiner Brille, die ihm jemand abgenommen hatte.
"Was ist passiert?", fragte Lily ängstlich.
"Was hast du gesehen?", ergänzte Hermine nervös. Harry antwortete nicht. Er brauchte selbst ein paar Minuten, um das Gesehene soweit zu verarbeiten, dass er darüber sprechen konnte.
"Er weiß es", sagte er dann. "Voldemort weiß, dass das Tagebuch weg ist." Er hörte ein entsetztes Aufkeuchen.
"Was genau hast du gesehen?", hakte Hermine nach.

"Er hat Narzissa Malfoy gefoltert und wollte wissen, wo das Original des Tagebuchs ist. Sie konnte es ihm aber natürlich nicht sagen. Er glaubt, Lucius habe das Buch verschlampt und hält es nicht für nötig, die anderen Verstecke zu überprüfen. Er hat Narzissa gefoltert und ist in ihren Geist eingedrungen, hat aber nichts herausgefunden. Dann wollte er Narzissa quälen, indem er vor ihren Augen Draco foltert und tötet. Aber Narzissa hat Dobby befohlen, Draco in Sicherheit zu bringen. Und dafür hat sie bitter gebüßt"

Harry blickte in schockierte Gesichter. Eine Minute sagte keiner etwas. Dann meldete sich Sirius zu Wort.
"Bitter gebüßt? Was meinst du damit? Hat er sie umgebracht"
"Nein. Schlimmer.", antwortete Harry tonlos. "Er hat sie weiter gefoltert. Solange, bis ... Ich fürchte, es ist ähnlich wie es bei Nevilles Eltern war. Die hatten durch die Folterungen ihren Verstand verloren und mussten den Rest ihres Lebens in St. Mungo auf der Station für Unheilbare leben."
Wieder folgte schockiertes Schweigen. Narzissa Malfoy war zwar vielleicht nicht besonders sympathisch, aber so etwas hatte sie nicht verdient. Harry fiel ein, dass auch Draco Malfoy mit einem Schlag quasi zum Vollwaisen geworden war. Er hoffte, dass Dobby sich ausreichend um ihn kümmern konnte.

Halloween Time TravelOù les histoires vivent. Découvrez maintenant