Wiedervereinigung

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Nun saßen nur noch Harry und Ginny alleine im Wohnzimmer. "Du Harry?", begann Ginny. "Mir ist aufgefallen, dass du ein sehr bedeutendes Ereignis deinen Eltern und Sirius und Remus nicht gezeigt hast."
"Welches meinst du?", fragte Harry. Ihm fielen zwei bedeutende Ereignisse ein, die er nicht gezeigt hatte.
"Na die Ordensverleihung. Die zeigst du nicht einmal deinen Eltern?"

Harry seufzte. Im August nach dem Sieg über Voldemort hatte man ihm den Orden des Merlin 1. Klasse am Bande verliehen, die höchste Auszeichnung, die die Zaubererwelt zu bieten hatte. Zuletzt war diese Ehre Albus Dumbledore nach seinem Sieg über Grindelwald zuteil geworden. Die Internationale Vereinigung der Zauberei hatte diese Auszeichnung in Abstimmung mit dem britischen Zaubereiministerium beschlossen, ansonsten wäre sie nicht möglich gewesen. Hermine und Ron hatten den Orden des Merlin 1. Klasse bekommen, allerdings nicht am Bande und Ginny, Luna, Neville und zahlreiche andere Kämpfer den Orden 2. und 3. Klasse. Auch die in der Schlacht Gefallenen waren postum ausgezeichnet worden. Harry hatte auch durchgesetzt, dass Snape postum den Orden 1. Klasse verliehen bekam. Auch die Hauselfen von Hogwarts bekamen einen Merlin-Orden dritter Klasse verliehen, den Kreacher stellvertretend für alle entgegennahm. Es war das erste Mal seit Jahrhunderten, dass nichtmenschliche Wesen eine solche Auszeichnung erhielten.

"Weißt du, Ginny", begann er nun, "du hast sie doch gesehen. Sie erstarren doch jetzt schon fast in Ehrfurcht vor dem, was wir getan haben. Vor ihrem eigenen Sohn. Ich will, dass sie mich wie einen Sohn behandeln ... oder wenigstens wie einen Freund, aber nicht wie ein ... ein Idol oder so etwas. Verstehst du?" Ginny nickte langsam. Harry schmunzelte. "Ich hatte gedacht, du meinst ein anderes bedeutendes Ereignis. Das fand ich persönlich viel wichtiger als die Ordensverleihung." Er grinste sie schelmisch an.
Ginny grinste zurück. "Ich weiß. Aber das geht nur dich und mich etwas an, mein Lieber."
Harry lächelte. "Darum habe ich es ja auch nicht gezeigt, Liebling. Das ist nur für uns zwei." Er lehnte sich entspannt im Sofa zurück und sah Ginny von der Seite an. Was hatte er doch für ein Glück, mit ihr zusammen zu sein. Er erinnerte sich zurück an ihr Gespräch nach Freds Beerdigung.



– Flashback –

„Harry, kann ich mal mit dir reden?" Ginny  war an ihn herangetreten. Seit der Schlacht waren sie sich gegenseitig aus dem Weg gegangen. Harry  nickte, stand auf und folgte Ginny. Sie führte ihn ein kleines Stück in den Wald, der neben dem Garten der Weasleys begann. Nach etwa 50 Metern kamen sie zu einer dicken Buche, an deren Stamm die Sprossen einer Leiter angebracht waren. Ginny kletterte flink hinauf und Harry folgte ihr. In etwa fünf Metern Höhe war ein Baumhaus ins Geäst eingebaut. Harry blickte sich überrascht um. Das Baumhaus hatte eine Fläche von vielleicht zehn Quadratmetern und in ihm standen zwei Stühle, ein abgewetztes Sofa, ein Tisch und in einer Ecke eine Kiste mit Spielsachen. An zwei Seiten waren kleine Fenster in die Holzwände eingebaut.

„Dad hat es damals für Bill und Charlie gebaut", erklärte Ginny auf Harrys fragenden Blick hin. „Und später haben wir alle hier gespielt, als wir Kinder waren. Ohne Wetterschutzzauber wäre hier inzwischen wahrscheinlich alles vermodert." Sie ließ sich auf dem Sofa nieder. Harry drängte es, sich neben sie zu setzen, doch er fürchtete, dass sie ihn zurückwies. So setzte er sich auf einen Stuhl ihr gegenüber.
„Als ich fünf war, da habe ich hier zum ersten Mal gezaubert", fuhr Ginny mit erinnerungsseligem Blick fort. „Ich weiß es noch genau. Fred, George und Ron spielten hier oben und ich wollte auch dazukommen. Sie sagten aber, ich sei zu klein und außerdem sei ein Baumhaus sowieso nichts für Mädchen. Ich wurde ziemlich wütend und mit einem Mal lagen alle Leitersprossen zersplittert auf dem Boden und die Jungs saßen hier oben fest. Die haben vielleicht doof geguckt!"

Harry konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er konnte sich gut vorstellen, dass Ginnys Temperament, das er so liebte, sich schon früh gezeigt hatte. „Nachdem Mum die Jungs von oben befreit und mit uns allen geschimpft hatte, hat Fred mir zum ersten Mal gesagt, dass er stolz auf mich sei. Er war froh, dass ich nicht so langweilig war wie die Mädchen aus dem Dorf. Seitdem war Fred immer mein Lieblingsbruder." Ginnys Stimme klang zum Ende hin gepresst. Harry streckte seine Hand aus, um nach ihrer zu greifen, doch in dem Moment nahm sie sie von ihrem Knie und wischte sich eine Träne vom Gesicht.

Nachdem sie ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, wandte sie sich wieder Harry zu. "Also Harry", begann Ginny zögernd, "So kann es mit uns nicht weiter gehen."
"Was meinst du damit?", fragte erschrocken. Er wagte kaum, sie anzusehen. Jetzt würde sie ihm sagen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, dass er sich gefälligst von ihr fernhalten solle, wo doch ihr Bruder seinetwegen gestorben war. Vielleicht hatte sie auch inzwischen einen neuen Freund. Während des Widerstands gegen die Carrows hatte sie sicher eng mit anderen zusammengearbeitet, da wäre es nicht verwunderlich. An Interessenten hatte es ihr noch nie gemangelt. Harry biss sich auf die Lippen, schloss die Augen und wappnete sich für das Kommende.

"Seit Tagen gehen wir uns aus dem Weg", stellte Ginny fest. "Seit der Schlacht haben wir nie mehr als 'Hallo' oder ähnliches gesagt. Das kann so nicht weiter gehen. Das will ich nicht. Das würde mich kaputt machen." Harry starrte sie an und wusste immer noch nicht, was sie meinte. "Ich halte es nicht länger aus, wenn du mich ignorierst, Harry! Rede mit mir, bitte!"
Harry war überrascht. Das hatte er nicht erwartet. "Du ... du denkst ich ignoriere dich? Ich hatte immer Angst, dass du nicht mit mir reden willst, darum habe ich nichts gesagt."

"Was redest du da? Natürlich will ich mit dir reden. Das habe ich in den vergangenen Monaten am meisten vermisst. Du konntest mich immer aufmuntern, nur im vergangenen Jahr nicht. Ein Jahr lang habe ich dich vermisst, wollte dich in meiner Nähe haben! Ich ... ich habe so gehofft, dass wir wieder zusammen sein können, wenn das alles vorbei ist, wenn Voldemort besiegt ist. Aber du denkst noch nicht mal an mich. Siehst mich nicht mal an. Auch jetzt setzt du dich soweit wie möglich weg von mir." Sie klang jetzt traurig und verletzt.
Harry schaute sie ungläubig an. Sie wollte mit ihm zusammen sein und dachte, er wolle das nicht? Wie konnte sie nur so etwas glauben? "Was? Du ... Ich ...Du ... du ... willst wieder mit mir zusammen sein?" Seine Stimme brach vor ungläubige Freude.

Ginny deutete die Frage falsch. "Sicher nicht als Almosen von dir. Glaub nicht, dass du aus Mitleid oder Dankbarkeit mit mir zusammen sein sollst, weil ich auf dich gewartet habe, während du keinen Gedanken an mich verschwendet hast." Sie schnaubte.
Harry starrte sie immer noch an. "Aber ... aber ..." Ginny wandte ihr Gesicht ab, um ihre Tränen zu verbergen und wollte aufstehen und das Baumhaus verlassen, doch Harry hielt sie fest. "Ginny, warte! Ginny ... Natürlich denke ich an dich! Jeden Tag!" Er zog sie wieder nach unten und sah ihr in ihre wunderschönen braunen Augen. "Auf unserer Reise gab es nicht einen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht hätte. Jeden Tag habe ich gehofft und gebetet, dass es dir gut geht." Er schaute sie liebevoll an und wischte mit seinem Daumen ihr die Tränen von der Wange.

"Oft habe ich nächtelang auf deinen Punkt auf der Karte des Rumtreibers gestarrt, weil ich mich dir dadurch näher fühlte. Und mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass du vielleicht einen anderen Freund haben könntest. Dass du mich vergessen würdest. Aber der Gedanke daran, dass wir vielleicht eine ... gemeinsame Zukunft haben, hat mir immer wieder Kraft gegeben. Und ... als ich in der Nacht ... in den Wald gegangen bin, um mich ... ihm zu stellen, ... mein letzter Gedanke galt dir und dass du glücklich werden solltest. Und als ich die Wahl hatte, ob ich sterbe oder ins Leben zurückkehre, bin ich zurückgekehrt, weil ich auf eine Zukunft mit dir gehofft habe."

Ginny schaute ihn jetzt ungläubig und mit Tränen in den Augen an. "Als du dich ... töten lassen wolltest, hast du an mich gedacht? Und wegen mir bist du zurückgekehrt?" Einige Sekunden starrte sie ihn an.
Harry nickte. "Ich wollte mit einem glücklichen Gedanken sterben. Ginny, das ganze Jahr über war mein größter Wunsch, wieder bei dir zu sein, dass wir wieder zusammen sein können; dafür habe ich gekämpft. Und ich bin fast wahnsinnig geworden vor Sorge als ich hörte, dass du von Snape erwischt wurdest, wie du das Schwert mitnehmen wolltest."

"Woher weißt du das?", unterbrach ihn Ginny überrascht.
Harry grinste leicht. "Irgendwann auf unserer Reise, es muss Oktober oder November gewesen sein, belauschten wir zufällig eine Gruppe von zwei Kobolden und drei Zauberern, die vor unserem Zelt rasteten. Unter ihnen waren auch Ted Tonks, also Tonks Vater, und Dean Thomas.
Jedenfalls erzählten sie, dass Neville, Luna und du in Snapes Büro eingebrochen seid, um das Schwert zu stehlen und dass Snape euch erwischt hat. Ich hatte panische Angst, dass er dich gefoltert, getötet oder sonst was mit dir angestellt hatte und war dann halbwegs erleichtert, als ich hörte, dass ihr 'nur' mit Hagrid in den Verbotenen Wald musstet. Jetzt im Nachhinein ist mir natürlich klargeworden, dass Snape euch wohl vor weitaus schlimmerer Bestrafung geschützt hat, aber trotzdem war diese Ungewissheit die Hölle!"
Ginny nickte. "Ja, im Nachhinein wird auch mir einiges klar. Bei vielen unserer Aktionen sind wir ihm so knapp entkommen, dass es eigentlich unmöglich war, dass er uns nicht erkannt hat. Er gab Strafarbeiten auf, auch sehr unangenehme, aber nie etwas, wo man ernsthaft gefährdet wurde. Die Carrows haben einen mit Vergnügen gefoltert und tagelang in finstere Kerker gesperrt, aber er hat, wann immer er konnte, das Schlimmste verhindert. So gesehen war er ein ziemlich guter Schulleiter."

Harry nickte. "Ganz nebenbei, Ginny: Was wolltet ihr eigentlich mit dem Schwert?"
Jetzt grinste Ginny. "Wir hatten ein Gespräch belauscht, Neville und ich. Der neue Minister war gerade zu Besuch in der Schule und erzählte Snape im Vertrauen, dass Dumbledore das Schwert dir vermacht habe, Scrimgeour es dir aber nicht übergeben hatte. Das hatte ich ja auch schon vorher mitbekommen. Wir dachten uns: Wenn Dumbledore wollte, dass du das Schwert bekommst, dann muss es wohl wichtig sein und dann solltest du es auch bekommen."
"Und wie hattet ihr vor, mir das Schwert zukommen zu lassen?"
Ginny hob die Schultern. "Keine Ahnung, darüber hätten wir uns Gedanken gemacht, wenn wir es in der Hand gehabt hätten. Wir wollten dir unbedingt helfen; ich wollte dir unbedingt helfen bei deiner Mission." Ginny sah jetzt betreten zu Boden.

Harry legte ihr einen Finger unters Kinn und brachte sie dazu, ihn anzusehen. "Das hast du, Ginny, wirklich. Erst nachdem wir gehört hatten, dass ihr versucht habt, das Schwert zu stehlen, haben wir erkannt, wozu das Schwert gebraucht werden kann. Und als wir es dann gefunden haben, wussten wir, was damit zu tun war. Hätten wir von eurem Versuch nichts gehört, hätten wir das nicht gewusst und Voldemort wäre erst später oder vielleicht auch gar nicht vernichtet worden."

Ginny schaute sehr erfreut und Harry lachte über ihre Miene. Dann wurde er wieder ernst. Er nahm ihre Hände in seine und schaute ihr in die Augen. "Ginny, ich ... ich liebe dich, Ginny! Ich liebe dich so sehr! Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als wieder mit dir zusammen zu sein. Dafür habe ich das ganze Jahr über gekämpft. Darauf habe ich das ganze Jahr gehofft." Er zog sie langsam zu sich heran und küsste sie. Ginny erwiderte den Kuss sofort und beide genossen das Gefühl, endlich nach all der Angst und all der Trauer wiedervereint zu sein.
Harry setzte sich neben Ginny aufs Sofa und der Kuss wurde leidenschaftlicher. Harry spürte, wie Ginnys Zunge über seine Lippen strich, öffnete den Mund und ließ sie ein. Beide legten all die Liebe und die Sehnsucht in den Kuss, die sie im vergangenen Jahr hatten zurückhalten müssen und erkundeten den Mund des anderen. Nach einer Weile lösten sie sich wieder voneinander.

"Ich liebe dich auch, Harry!", flüsterte Ginny in sein Ohr. "Ich hatte zu keiner Zeit im vergangenen Jahr einen anderen Freund. Für mich war immer klar, dass ich auf dich warte. Auch wenn es Jahre dauert. Und jetzt bin ich so unendlich glücklich, dich wieder bei mir zu haben." Eine Weile schwiegen beide und genossen die Nähe des anderen.
"Ich habe ein wenig ein schlechtes Gewissen Fred gegenüber", sagte Ginny auf einmal. "Wir sind so glücklich, während er tot in der Erde liegt. Aber ich denke, ich hoffe, dass er sich für uns freut und dass es ihm gut geht, wo immer er auch ist."
"Das glaube ich ganz sicher, Ginny. Er wollte ja auch schon, dass bei seiner Beerdigung gelacht wird und nicht alle nur traurig herumsitzen. Er ist für eine bessere Zukunft gestorben und ich denke, dass wir ihm den größten Gefallen tun, wenn wir diese Chancen nutzen."
Ginny nickte nachdenklich und wieder versanken die beiden in einem Kuss. Ginny lehnte sich zurück, legte sich längs auf das Sofa und zog Harry mit sich. Sie hielten sich gegenseitig in den Armen und küssten sich leidenschaftlich. Weiter wollte aber keiner von ihnen gehen; an einem solchen Tag hatte keiner von ihnen ein Bedürfnis danach.

Irgendwann stand Harry auf und zog Ginny auf die Beine. "Na komm, lass uns mal zurückgehen. Sonst denken die noch, wir wären entführt worden oder so." Ginny lachte und sie machten sich auf den Rückweg. "Weißt du eigentlich, dass es übermorgen genau ein Jahr her ist, dass wir uns im Gemeinschaftsraum zum ersten Mal geküsst haben?", fragte Ginny.
Harry nickte lächelnd. "Ja, das weiß ich. Was hältst du davon, wenn wir diesen Tag wieder nutzen und dann offiziell bekanntgeben, dass wir wieder zusammen sind?"
"Das hört sich gut an. Es könnte aber schwer werden. Es sollte dann doch bis dahin keiner merken, dann können wir bis dahin nicht zusammen sein, oder?"
Harry grinste schelmisch. "Wann haben wir uns denn je von einer Gefahr aufhalten lassen? Ganz ohne Risiko wäre das Leben doch langweilig."

Harry gab Ginny einen Kuss und die beiden stiegen wieder die Leiter herunter und liefen zurück zum Garten der Weasleys.

– Flashback Ende –

Nach dem Abendessen verschwanden Hermine und Lily noch einmal für einige Minuten im Keller. Danach gingen sie wieder ziemlich schnell schlafen; die an diesem Tage erlebten Erinnerungen hatten sie ziemlich geschlaucht. Harry war froh, dass sie nun alle Erinnerungen gesehen hatten und keine weiteren mehr kamen, da es geistig und körperlich doch sehr ermüdend war.

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