Vatersorgen

136 5 0
                                    

Am nächsten Morgen wurde Harry durch lautes Babygeschrei geweckt. Teddy brauchte erstens eine neue Windel und hatte zweitens Hunger. Harry hatte auf ihrem Spaziergang zum Friedhof aber weder eine Windel noch ein Glas mit Brei mitgenommen. Er dachte kurz nach, ging dann zum Zimmer seiner Eltern und klopfte leise. Harry hörte ein verschlafenes "Herein!" und trat ein. James schlief noch, aber Lily war gerade am Aufstehen, da auch Klein-Harry quengelte.

"Morgen Mum!", begrüßte Harry sie und grinste sie an.
Lily zuckte leicht zusammen. "Das klingt so ungewohnt", erwiderte sie. "Und doch irgendwie vertraut. Du glaubst nicht, was für ein merkwürdiges Gefühl es ist, seinem eigenen Sohn ins Gesicht zu sehen, der fast genauso alt ist wie man selbst."
"Mindestens genauso merkwürdig ist es, sich selbst vor sich zu sehen, wie man als Kind im Bett liegt", antwortete Harry schmunzelnd. "Weshalb ich eigentlich hergekommen bin: Teddy hat Hunger und braucht auch eine frische Windel. Kannst du mir da weiterhelfen?"
"Ja, natürlich. Wir haben gestern trotz der Eile ein paar Windelpakete und sämtliche Gläser mit Brei eingepackt, die wir noch hatten. Wir wussten ja nicht, wo wir hingehen würden. Auf den Windeln steht zwar 'Ab 12 Monaten', aber das wird schon gehen." Sie übergab ihm beides.
"Danke, Mum", antwortete Harry und wollte gehen.
"Du sag mal, Harry?", hielt Lily ihn auf, "du sagtest doch gestern, ihr alle außer Hermine hättet falsche Namen genannt. Gilt das auch für Teddy? Wie heißt er wirklich?"
Harry zögerte. "Das würde ich gerne erzählen, wenn alle dabei sind. Wir sehen uns beim Frühstück." Damit verließ er den Raum und ging zurück in sein Zimmer.

"Oh, du bist schon wach, Ginny."
"Ja, dein warmer Körper war ja auf einmal weg. Außerdem hat sich der kleine Mann hier ja lautstark zu Wort gemeldet. Und auch geruchsintensiv." Ginny grinste.
Harry hielt Windel und Babybrei hoch. "Deswegen war ich eben schon bei Mum."
Ginny lächelte ihn an. "Du hast sie Mum genannt."
"Ja. Es ist ein tolles Gefühl, mit meiner Mutter zu sprechen und noch schöner ist es, zu wissen, dass sie mich als ihren Sohn akzeptiert." Harry strahlte sie an.
"Das freut mich so für dich, Harry! Hier kannst du sie endlich beide kennenlernen."
"Ja, darauf freue ich mich auch schon." Harry machte sich jetzt daran, Teddy die Windeln zu wechseln. "Sie hat übrigens nach Teddys richtigem Namen gefragt."
"Was hast du ihr geantwortet?"

"Ich sagte, dass ich das erzählen werde, wenn alle dabei sind. Ich finde, Remus hat ein Recht darauf, es zu wissen. Auch wenn es für ihn wahrscheinlich ein fast noch größerer Schock wird als für meine Eltern. Er glaubt schließlich, dass er als Werwolf keine Kinder kriegen könne und auch, dass keine Frau je mit ihm zusammen sein wolle."
"Was sagt er wohl dazu, dass seine zukünftige Frau gerade mal acht Jahre alt ist?" Harry grinste. "Und was sagt Sirius wohl dazu? Schließlich ist Tonks seine Nichte."
"Sirius wird das wahrscheinlich lockerer sehen als Remus." Ginny sah Harry nachdenklich an. "Was ist, wenn wir dadurch die Zukunft so verändern, dass Remus und Tonks nie zusammenkommen?"
Harry biss sich auf die Lippen. "Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Und ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich Teddys Existenz durch mein Eingreifen auslöschen würde. Aber auf der anderen Seite haben wir die Zukunft ohnehin schon stark verändert", sagte er, mehr um sich selbst zu beruhigen.

"Und wir werden sie noch weiter verändern, ohne zu wissen, was das für Auswirkungen haben wird. Wir müssen versuchen, Voldemort jetzt schon zu besiegen und unendlich viel Leid zu verhindern. Wenn das aber gelingt, wird es den Orden in 14 Jahren nicht geben müssen und die beiden haben sich über den Orden kennengelernt. Außerdem", setzte Harry mit ein wenig Hoffnung in der Stimme hinzu, "wenn Remus es weiß, dann schenkt er ihr vielleicht besondere Aufmerksamkeit und sie kommen gerade deshalb doch zusammen. Natürlich erst, wenn sie erwachsen ist."
Er sah Ginny an, in der Hoffnung, dass sie ihn bestätigen würde. "Außerdem", setzte er hinzu, "haben wir nicht die leiseste Ahnung, ob, wann und wie wir wieder in unsere Zeit zurückkehren können und ob Teddy nicht auch dann mit uns zurückkehren könnte, wenn er in der veränderten Zukunft nicht existieren würde." Ginny nickte langsam "Du könntest Recht haben. Wir sollten das Ganze auch mit Hermine besprechen, die kennt sich mit Zeitreisen am besten aus. Obwohl sie dir vermutlich erstmal einen Vortrag darüber halten wird, dass es verboten ist, die Vergangenheit zu verändern. Andererseits hat sie gestern tatkräftig dabei mitgeholfen."

Teddy war jetzt fertig gewickelt und Harry und Ginny machten sich mit Teddy auf dem Arm auf die Suche nach einem Badezimmer. Schließlich öffnete sich vor ihnen eine Tür und Lily kam heraus, in einen Bademantel gehüllt und mit einem Handtuch um ihre nassen Haare gewickelt. Schnell duschten sie sich und spülten sich gründlich den Mund aus, da sie auch keine Zahnbürste dabei hatten. Auch Teddy wuschen sie mit etwas Wasser den Schlaf aus den Augen. Als sie das Bad wieder verließen, drängelten sich schon Ron und Hermine an ihnen vorbei.

Eine halbe Stunde später rief Sirius sie nach unten zum Frühstück. Gemeinsam mit Remus hatte er Rührei und gebratenen Speck zubereitet, es standen aber auch Brot und Marmeladen auf dem Tisch. Als hätten sie seit Tagen nichts gegessen, fielen alle sechs über das Angebot her; besonders Sirius und Ron legten einen Appetit an den Tag, der die anderen schmunzeln ließ. Harry und Ginny fütterten abwechselnd Teddy mit Brei, Lily hatte für Klein-Harry ein Butterbrot und eine Banane kleingeschnitten. Als sie satt war, sprach Lily Harry noch einmal auf Teddys Namen an. Harry wechselte einen Blick mit Hermine. Dann räusperte er sich.
"Nun ja, ... also ... ich hab mir Gedanken darüber gemacht, ob ich es verantworten kann, euch seinen richtigen Namen mitzuteilen. Es könnte nämlich sein, dass die Zukunft so verändert wird, dass Teddy nie geboren wird. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir den Lauf der Geschichte ohnehin schon sehr verändert haben und auch noch weiter verändern werden. Die Zukunft ist also so oder so ungewiss. Außerdem habt ihr das Recht, die Wahrheit zu erfahren."

Hermine legte ihre Stirn in Falten, nickte Harry dann aber zu. Dieser fuhr fort. "Also, wie ich gestern schon gesagt habe, hatten wir euch zunächst falsche Namen mitgeteilt. Dies gilt auch für Teddy. Sein Name ist nicht Teddy Mason, sondern", er stockte kurz, holte tief Luft und sprach weiter. "sondern Ted Remus Lupin."
Wie schon am Vorabend lag nun dröhnende Stille über dem Esszimmer. Remus schien zur Salzsäule erstarrt und schaute ihn mit offenem Mund ungläubig an, unfähig, etwas zu sagen. Lily sprach das unglaubliche aus: "Willst du damit sagen, dass er Remus' Sohn ist?"
"Das ist er", bestätigte Ginny. Remus sah sie immer noch an wie eine Erscheinung. Schließlich begann er stammelnd zu sprechen.
"Aber ... aber ... d-das ist unmöglich!!! Ich bin ein ... Ihr wisst es doch auch. Ich bin ein Werwolf! Keine Frau würde sich je mit mir einlassen und das wäre auch viel zu gefährlich! Als Werwolf kann ich keine Kinder kriegen, die würden ebensolche Bestien werden wie ich eine bin!"

Er redete sich richtig in Rage, wurde aber von Hermine schnell unterbrochen. "STOPP! Das reicht, Remus! Hör auf, dich selbst für etwas zu verurteilen, woran du nicht die geringste Schuld trägst. Du bist keine Bestie! Du hast einmal im Monat für ein paar Stunden ein pelziges Problem, aber die übrige Zeit bist du ein kluger, einfühlsamer und verständnisvoller Mensch, ein fantastischer Lehrer, ein verantwortungsvoller Ehemann und ein liebevoller Vater."
"Lehrer?", unterbrach James sie.
"Ja, Lehrer", bestätigte Hermine. "Er hat uns in unserem dritten und Ginnys zweitem Jahr in Hogwarts in Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichtet und er war der beste Lehrer den wir je hatten!" Die anderen Zeitreisenden nickten zustimmend.
"Das passt zu dir, Moony", meinte Sirius, "schon als Schüler konntest du vieles besser erklären als so mancher Lehrer."

Hermine wollte sich nicht ablenken lassen und wandte sich erneut an Remus. "Und zum Thema 'keine Frau würde sich je mit dir einlassen': Schau dich hier um, Remus! Keinem von uns macht es etwas aus, dass du ein Werwolf bist und genauso geht es auch vielen anderen da draußen. Natürlich gibt es auch immer welche, die lieber Vorurteilen glauben, als den Menschen kennen zu lernen. Genauso wie es da draußen viele gibt, die mich oder Lily als Schlammblut bezeichnen würden. Aber diese Leute können mir mit ihrer Ignoranz nur leidtun."
Sie atmete durch nach ihrer Rede, aber Remus protestierte erneut. "Das ist was anderes, das kann man überhaupt nicht vergleichen! Ihr beide seid gesund und diese Beschimpfungen basieren allein auf Ignoranz und Rassismus. Ich dagegen habe eine unheilbare Krankheit, mit der ich jede andere Person anstecken könnte."

"Ganz genau, Remus!", mischte sich nun Lily ein, "richtig, du hast eine Krankheit. Eine Krankheit, für die du absolut gar nichts kannst und die nichts an deinem wundervollen Charakter ändert. Ich kenne wirklich niemanden, der mit einer Krankheit so verantwortungsbewusst umgeht wie du. Du hast immer dafür gesorgt, dass an Vollmond keine Gefahr für andere besteht, egal, welche Belastungen du dafür in Kauf nehmen musstest. Und ich persönlich fände es ziemlich erbärmlich, wenn eine Frau, die einen Mann liebt, sich nur wegen einer Krankheit von ihrer Liebe abbringen ließe."

Halloween Time TravelWhere stories live. Discover now