"Ich glaube du bist kein schlechter Mensch, Marco."

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Wenig später gingen wir rein und suchten unseren Tisch. Nach einigen Minuten hatten wir ihn auch gefunden, nur saßen dort bereits 2 Personen, wobei ich in einer von ihnen die Blondine vom Trainingszentrum erkennen konnte. "Guten Abend.", lächelte ich höflich und ließ mir von Mitch den Stuhl sanft in die Kniekehlen schieben. "Kevin.", nickten die Jungs und setzten sich dann ebenfalls. Der junge Mann, sehr blond mit etwas eigenartiger Frisur, saß mir gegenüber und schien recht schüchtern zu sein, so wie er sein, "Hallo.", herausquetschte.

Es blieb gezwungen still am Tisch, keiner schien so recht zu wissen was er sagen konnte oder wollte sich mit den anderen unterhalten, da sah mich das Mädchen an und meinte, "Ich hatte letztes Mal nicht mehr die Möglichkeit mich vorzustellen, mein Name ist Vanessa." "Ich lächelte freundlich, "Ich bin auch einfach abgehaut, war nicht die feine Art. Mein Name ist Alexandra, aber nenn mich ruhig Alex. Mats und Mitch kennst du bestimmt bereits und das ist Cathy." Ich deutete nacheinander auf meine Freunde, die Vanessa nett anlächelten. Nach der Vorstellungsrunde wurde es wieder still am Tisch, aber dieses Schweigen blieb nicht lange, denn ein Mann hielt jetzt eine Ansprache, da einer der Vorstände von Borussia Dortmund heute Geburtstag hatte. Ich hörte nicht wirklich zu, klatschte aber am Ende ebenso begeistert wie alle anderen. "Ich habe kein Wort verstanden, aber wenigstens gibt es jetzt Essen.", murmelte Mitch mir ins Ohr und drückte mir einen leichten Kuss auf die Schulter, der mir Gänsehaut bescherte. "Ich habe auch schon Hunger.", erwiderte ich und ließ mir die Suppe, die den ersten Gang darstellte schmecken. Nach weiteren vier Gängen war ich so satt, dass ich dachte ich würde platzen. Das einzig Gute war, dass wir beim Essen Wein getrunken hatten und so die Stimmung am Tisch nicht mehr ganz so komisch war.

Ich beschloss kurz die Toilette aufzusuchen und Vanessa begleitete mich, was ich nicht so toll fand, denn eigentlich hatte ich Pinkel-Gespräche nicht so gern. Während ich mich also erleichterte, begann Vanessa zu quatschen, "Weißt du... Als ihr an den Tisch gekommen seid, das war mal komisch. Die Jungs scheinen Kevin nicht gerade gut aufzunehmen." Ich machte nur, "Mhm.", was weder zustimmenden noch ablehnenden Charakter hatte. "Ich weiß, er ist nicht einfach, aber er bekommt doch gar keine Chance und das finde ich nicht besonders fair, um ehrlich zu sein. In Salzburg, da hat er sich anfänglich zwar auch schwergetan, aber...", sprach sie weiter, doch da es mich eher wenig interessierte, wie es Kevin in Salzburg ergangen war, spülte ich laut runter, ging aus der Kabine und meinte während dem Hände waschen, "Ihr seid aber nicht mehr in Salzburg. Vielleicht ist genau das, das Problem. Ihr seid jetzt hier in Dortmund und hier beginnt alles von vorne. Er hat eine neue Chance bekommen und muss sich alles erarbeiten, was er in Salzburg bereits hatte, so ist das eben bei Fußballern." Empört sah sie mich an, "Du kennst uns beziehungsweise ihn doch gar nicht!" "Nein, aber ich weiß wie das Leben läuft und so ist es nun mal. Man bekommt nichts geschenkt.", meinte ich. Sie blieb kurz ruhig, dann meinte sie, "Aber, wenn dieser Reus ihm eine Chance geben würde, dann würden es die Anderen bestimmt auch tun." Sie sprach Marcos Namen wie ein Schimpfwort aus. "MARCO entscheidet selbst wer seine Freunde sind und wenn er Kevin nicht mag, dann hat er bestimmt einen Grund dafür. Ob der gut ist oder schlecht, ist nicht meine Sache, aber einen Grund hat er bestimmt. Und wenn Kevin die Sache mit Marco hinbekommen möchte, sollte er vielleicht nicht wie ein Kind seine Freundin vorschicken.", murrte ich, trocknete mir die Hände ab und ging dann nach draußen. Für mich war dieses merkwürdige Gespräch zu Ende.

Auf dem Weg zurück zum Tisch, kam mir Mitch entgegen, der mir mitteilte, dass er ein wichtiges Telefonat führen müsste und deshalb für ein Weilchen verschwinden würden. Ich nickte und ging dann zurück zum Tisch wo ich wenige Minuten später allein dasaß, da die Tanzfläche eröffnet worden war und Kevin Vanessa und Cathy Mats zum Tanzen aufgefordert hatte. Ich seufzte und dachte über dieses komische Toilettengespräch nach, als sich jemand neben mich setzte. "Ganz allein? Wo ist unser Sunnyboy?" Ich musste nicht aufblicken, um zu wissen wer dort saß. "Er musste ein wichtiges Telefonat führen.", erwiderte ich und sah ihm dann doch ins Gesicht. "Das könnte er doch morgen führen? Dich hier allein sitzen zu lassen während alle tanzen ist auch nicht die feine australische Art.", meinte er und stand dann auf. Seine Hand streckte sich in mein Gesichtsfeld, "Dann musst du eben mit mir tanzen, denn ich bin heute ohne Begleitung hier und komme nur durch Diebstahl einzelner Tänze an die Mindestanzahl spastischer Bewegungen, die man benötigt um nicht von der Gesellschaft verstoßen zu werden." Zweifelnd sah ich ihn an, "Ich kann nicht tanzen." "Dann stellst du dich eben auf meine Füße und wir tanzen so. Dein Kleid ist lang, keiner sieht den Unterschied.", schlug er lachend vor. "Na wenn das so ist.", lachte ich und nahm seine Hand, die mich bestimmt auf die Beine zog und dann auf die Tanzfläche führte. Genau in diesem Moment wurde eines meiner Lieblingslieder angespielt 'Bed of roses' von Bon Jovi.

"Ein Walzer... Na das bekommen wir doch hin, nicht?", zwinkerte Marco und legte seine Hand sanft auf meine Hüfte. "Du vielleicht, aber ich nicht...", murmelte ich und starrte angestrengt auf meine Füße. Vorsichtig griff er nach meiner Hand, legte sie auf seine Schulter und nahm die andere Hand in seine. "Wenn du auf deine Füße starrst, wird es schwieriger...", flüsterte Marco und zwang mich so, ihm in die Augen zu schauen, bevor er den ersten Schritt machte. Als wäre es das normalste auf der Welt, bewegte ich meinen Fuß nach hinten und ließ mich von ihm führen. Klar war es nicht perfekt und ich stieg ihm mehr als einmal auf die Füße, aber er verzog kein einziges Mal das Gesicht, sondern grinste jedes Mal nur. Ich entschuldigte mich jedes Mal, aber er tat es nur lachend ab und drehte mich einmal um die eigene Achse. Es machte Spaß zu tanzen. Früher hatte ich mich dabei nur wie ein Trampeltier gefühlt, aber gerade jetzt, in diesem Moment, fühlte ich mich wie eine leichtfüßige Prinzessin und das Tanzen fiel mir nicht schwer, es war einfach nur... Schön. Als das Lied endete lächelte ich den Mann an, der letzte Woche noch mein geschworener Todfeind war. Mit dem mich mittlerweile eine recht lange Vorgeschichte verband, sei sie auch noch so 'schlecht' und beleidigend. Eine Vorgeschichte, die ein Buch füllen konnte. Und er? Er lächelte zurück. "Das hat doch ganz gut geklappt.", flüsterte er. "Sagst du jetzt. Aber wenn morgen alle deine Zehen blau und geschwollen sind, dann wirst du mich verfluchen.", scherzte ich. Er lachte, ein warmes, leises Lachen, das den Mensch zeigte, den er oft vor mir versteckt hatte. Ich dachte an einen meiner Lieblingsdichter, während ich Marcos Lachen ansah. "Hab ich was im Gesicht?", fragte dieser nun etwas verunsichert. "Nein...", ich schüttelte mit einem sanften Grinsen den Kopf, " Ich musste nur gerade daran denken, dass ich dich letzte Woche noch den König der Arschlöcher nannte und wir heute hier stehen... oder eher tanzen und uns anlächeln und miteinander lachen. Da ist mir ein Zitat in den Kopf geschossen, das ich von Dostojewski kenne: 'Wenn du einen Menschen richtig kennenlernen und etwas über sein innerstes Wesen in Erfahrung bringen willst, so mach dir nicht erst die Mühe zu analysieren, wie er spricht, schweigt, weint oder von hehren Gedanken ergriffen wird. Du brauchst ihn bloß beim Lachen zu beobachten. Hat er ein gutes Lachen, ist er ein guter Mensch.' Ich glaube du bist kein schlechter Mensch, Marco." Mit diesen Worten entzog ich ihm meine Hand, ging einen Schritt zurück, zwinkerte ihm zu und machte mich dann auf den Weg nach draußen, um etwas Luft zu schnappen und ein paar meiner Gedanken zu ordnen.

Draußen angekommen, atmete ich ein paar Mal durch. Ich hätte nie gedacht, dass Marco Reus so eine Wendung durchmachen konnte, aber ich war froh dass ich mich geirrt hatte. "Ah Gott sei Dank, ich dachte schon ich bin der Einzige der hier raucht. Hast du ne Kippe für mich?", wurde ich da von der Seite angesprochen. "Ich rauche nicht, also nein, tut mir leid.", erwiderte ich und drehte mich zu ihm. "Ich natürlich auch nicht.", stotterte er mit hochrotem Kopf. "Klar.", grinste ich und schüttelte den Kopf. "Das darfst du keinem sagen, bitte!", flehte er. "Mir ist ziemlich egal was du machst... Kevin?", ein Nicken seinerseits, "Also Kevin, wie gesagt ist mir egal was du machst, das ist deine Sache, ich mische mich da nicht ein. Daher werde ich es auch keinem sagen, in Ordnung?" Ein Stein schien von seinem Herzen zu fallen und er schien seinen Mut wieder zu finden. "Du bist also die Freundin von Langerak?", grinste er. "Mitch. Und ja, die bin ich. Und bevor du jetzt weiterredest oder irgendwie versuchst von mir Mitleid zu erhaschen, weil die Mannschaft dich nicht aufnimmt, solltest du mal überlegen wieso das so ist und versuchen genau das Verhalten zu ändern. Ein bisschen kämpfen kann dir nicht schaden, hier bekommt man nichts geschenkt. Und jetzt entschuldige mich bitte, mir ist kalt.", sagte ich und ging dann rein. Kevin tat mir ja wirklich leid, denn es war nicht leicht in einen solch verschworenen Kreis aufgenommen zu werden, wie ihn die Jungs hatten, aber ich war immer noch etwas sauer wegen Vanessas Aktion auf der Toilette.

Drinnen traf ich Mitch, der wohl ebenso gerade auf dem Weg zum Tisch war. "Babe.", lächelte er und küsste mich kurz. "Hey, du warst lange weg?", meinte ich mit fragendem Unterton. "Ja, ein Freund from Australia hat mich gerade angerufen, er war auf dem Weg zur Arbeit und dachte er würde mich erreichen. Zeitverschiebung und so.", erklärte er. "Und?", wollte ich wissen. "Erzähl ich dir morgen, aber jetzt musst du mir einen Tanz schenken, in Ordnung?", grinste er und führte mich auf die Tanzfläche. Da Mitch aber genauso begabt war wie ich, wurde es nicht mehr als ein 'High-School Prom-Tanz', bei dem ich meine Arme um seinen Nacken schlang, der sehr weit oben war und er mich mit seinen muskulösen Armen an sich zog, bevor wir uns im Takt zu John Lennons 'Imagine' bewegten. Ich genoss seine Nähe, die Wärme und Geborgenheit und lehnte meinen Kopf an seine Brust, um ihm noch näher zu sein. Als wir uns drehten, erhaschte ich einen Blick auf Reus, der an seinem Tisch saß und mich gerade ansah. Ich lächelte und er deutete auf Mitch und mich und machte dann ein Daumen-Hoch Zeichen. Danach formte er noch etwas mit seinen Lippen, das entweder "Sieht gut aus." oder "Sieht schwul aus" bedeuten konnte, wobei ich mich für ersteres entschied und mich dann mit geschlossenen Augen wieder an meinen Freund kuschelte.

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