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"Beginnen sollte ich wohl damit, dass mein richtiger Name nicht Jaxon ist

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"Beginnen sollte ich wohl damit, dass mein richtiger Name nicht Jaxon ist. Getauft wurde ich auf den Namen Orion. Ich weiss.., was zur Hölle ist das für ein absolut bescheuerter Name? Den Namen haben meine Eltern ausgesucht, da mein Dad eine Faszination für Astronomie gehabt hat, Orion ein Sternzeichen ist und "kleiner Wagen" wohl als Vorname verboten ist.", lachte er leise auf, „Mit dem Namen Jaxon ist Silas aufgekommen. Er hat gesagt, er würde zu mir passen und es war der Erste, der ihm eingefallen war, der nicht vollkommen bescheuert geklungen hat. Sein erster Vorschlag war doch tatsächlich Teddy gewesen. Manchmal frage ich mich, ob er zu dieser Zeit eigentlich Tag und Nacht dicht gewesen war, ich meine... Teddy?  Wie dem auch sei, er hat Jaxon vorgeschlagen, ich hatte nicht das Bedürfnis, ihm eine zu verpassen, als er damit aufgekommen ist und habe einen Namen gebraucht, also nannte er mich ab diesem Tag an Jaxon oder eben Jax."

Sie schwieg und versuchte ihm nicht ins Wort zu fallen, obwohl sie bereits nach diesen wenigen Minuten tausende von Fragen hatte.
Es war leichter für ihn, wenn er sprach, ohne sie dabei anzusehen. Das hatte er damit begründet, dass er bloss ungern Mitleid in ihren Augen sehen würde und auch keine sonstigen negativen Gefühle, die sich in ihr bilden könnten, sobald sie die ganze Geschichte gehört hatte. So lag sie auf dem Rücken, ihr Kopf auf seinem Schoss, seine Finger mit ihren Haarlocken spielend, als würde es ihn beruhigen, sein Blick lag irgendwo auf dem Horizont.

"Einen Namen habe ich gebraucht, weil ich absolut gar nichts über mich gewusst habe. Ich bin... in der Quelle der Höhle aufgewacht, weisst du. Und ich habe absolut gar nichts über mich gewusst, nicht meinen Namen, nicht, wie ich gestorben bin, und bevor ich nicht mein Spiegelbild im Wasser der Quelle gesehen habe, habe ich noch nicht einmal gewusst, wie ich aussehe. Ich habe gedacht, dass meine Erinnerungen vielleicht nach ein paar Tagen oder spätestens ein paar Wochen zurückkommen würden, doch das sind sie nicht, also habe ich es irgendwann aufgegeben. Dass ich tot bin, habe ich vermutet, hauptsächlich, weil mir keine andere Lösung für das alles eingefallen ist. All die Dinge, die ich auf Neverland tun konnte... es war zu viel, als dass es noch die Realität sein konnte. Dann, nach gut einem Jahren ist Silas auf der Insel aufgetaucht. Er konnte sich erinnern und er hat meine  Vermutung bestätigt. Sein Auftauchen hatte fast nur Positives mit sich gebracht, aber die Tatsache, dass er sich erinnern konnte, ich mich allerdings nicht, war nicht einfach. Und wurde schwerer mit jedem Jugendlichen, der angekommen ist und sich erinnert hat. Durch meine Gabe konnte ich ihre Erinnerungen sehen und sie fühlen und dadurch wollte ich nichts mehr, als mich selbst zu erinnern. Einmal, da hat Silas mir sogar vorgeschlagen, dass ich mir ordentlich meinen Kopf stossen sollte, damit ich mich vielleicht dann daran erinnern konnte. Er habe schon davon gehört, dass eine Person eine Gehirnerschütterung erlitten habe und danach Sprachen sprechen konnte, die sie zuvor nicht gekonnt hatte, wieso sollte es mir also nicht meine Erinnerung wiederbringen?", lächelte er und stoppte für einen Moment, bevor er weitersprach, "Naja, ich war ziemlich verzweifelt, geendet hat es damit, dass Silas mir heftig ins Gesicht geschlagen hat, ich meine Erinnerungen natürlich nicht zurückbekommen habe, er mir dafür die Nase gebrochen und ein Veilchen verpasst hat. Ein amüsanter Abend."

Er zuckte mit seinen Schultern.

"Jahre vergingen, nichts hat sich verändert, ich habe es aufgegeben und dann, vor knapp zwei Wochen habe ich angefangen, von meinem alten Leben zu träumen. Nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tag. Dann bin ich krank geworden, genau wieso weiss ich nicht..."

"Seelische Belastungen haben einen Einfluss auf deinen Körper.", flüsterte sie, "Erinnerungen, die auf dich einprasseln, dir den Schlaf rauben... du hast einmal gesagt, du hättest einen Albtraum gehabt. In dieser Nacht, in der du mit einer verletzen Hand bei mir aufgetaucht bist..."

"Es war eine Erinnerung gewesen.", beantwortete er ihre Frage, "Und als ich bewusstlos geworden bin, habe ich mich an alles andere erinnert. Den ganzen Rest. Vielleicht bin ich aus diesem Grund bewusstlos geworden, damit ich mich an alles erinnern kann. Ach keine Ahnung... es tut mir zumindest Leid, dass ich dir Angst eingejagt habe und du die ganze Zeit neben mir verbringen musstest."

Er schwieg und auch sie durchbrach zuerst die Stille nicht. Sie konnte nicht glauben, dass nach all den Erzählungen, er es immernoch für nötig hielt, sich bei ihr zu entschuldigen. Siebzig Jahre ohne verdammte Erinnerungen an sein früheres Leben und er hatte das Bedürfnis, sich bei ihr zu entschuldigen?

"Ich muss mich entschuldigen, Jaxon.", flüsterte sie leise, "Als ich mich an meinen Tod erinnert habe, hast du mich an diesem Abend alleine gelassen, weil ich dich gefragt habe, wie du gestorben bist. Du hast mich stehen gelassen. Weisst du, diese Nacht habe ich wie ein kleines Kind durchgeweint und kein Auge mehr zugetan."

Betreten blickte er auf sie und öffnete schon den Mund, um sich erneut zu entschuldigen, doch sie sprach weiter. Eine weitere Entschuldigung wollte sie bestimmt nicht von ihm hören.

"Und dann am nächsten Tag, als ich dich erneut gefragt habe und du dich schon wieder geweigert hast, habe ich... Dinge gesagt, die ich nicht hätte sagen sollen. Ich habe so einiges von dir gedacht, alles war bloss negativ. Und dabei konntest du mir meine Frage ganz einfach nicht beantworten. Gott, du hast die Antwort ganz einfach nicht gewusst und ich habe nicht locker gelassen und war wütend, weil du mir nicht das geliefert hast, was ich wollte. Es tut mir so Leid, wieso musste ich auch so stur sein?"

Mit einem sanften Lächeln lehnte er sich zu ihr hinunter und küsste sie auf ihre Stirn.

"Entschuldige dich nicht wieder bei mir. Du musst dich niemals bei mir entschuldigen. Tatsache ist, dass ich mir fast sicher bin, dass du absolut alles tun könntest und ich würde niemals dir die Schuld dafür geben. Ein einziges Geheimnis, ein Rätsel, so hast du mich genannt und das war ich gewesen. Wie hättest du wissen sollen, dass ich mich selbst ebenfalls nicht verstanden habe?"

"Und... verstehst du dich jetzt?"

"Keine Ahnung. Ich verstehe mein Leben vor dem Tod, ich verstehe genug, um zum Entschluss gekommen zu sein, dass ich in meinen Teenagerjahren ein absolutes Arschloch und in meinen Jahren als Erwachsener ein hoffnungsloser Fall gewesen bin. Ich bin zum Entschluss gekommen, dass ich, hätte ich mich damals gekannt, nicht hätte ausstehen können, und dass ich mindestens zehn Jahre meines kurzen Lebens nicht richtig gelebt habe. Und ich verstehe auch mein Leben nach dem Tod. So viel mehr, als ich es zuvor getan habe. Aber ob ich mich selbst verstehe? Keine Ahnung. Verstehst du dich denn?"

Eine Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet. Sie sah zu, wie er eine ihrer Hände in seine nahm und sie zu wärmen versuchte, als er merkte, dass sie kühler waren als sonst. 

"Keine Ahnung, ich... Erwachsener? Deine Jahre als Erwachsener?", fragte sie schliesslich. Es war das eine Wort, dass ihr nicht klar war in seiner Erzählung. Es passte nicht. Keiner auf Neverland hatte das Alter eines Erwachsenen erreicht und bestimmt nicht Jahre als Erwachsener leben können. 

"Du hast mir gesagt, du wärst nicht die Art von Mädchen, die etwas mit Geheimnissen und Rätseln anzufangen wissen. Ich versuche dir heute Nacht alles über mich zu erzählen, was ich für relevant halte und vielleicht auch mehr, vielleicht alles, was ich über mich weiss. Beginnen sollte ich vielleicht mit dem Ende. Gestorben bin ich im Alter von 26 Jahren. Der Grund dafür waren verdammte Pillen, die ich geschluckt habe."

CopperyWhere stories live. Discover now