Corbin #42

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Ich schloss die Türe genau vor seinen Augen, die mich immer noch ansahen. Mein Kopf war ein einziges Chaos und am liebsten hätte ich ihn abgeschraubt und weggeworfen. Stattdessen ließ ich mich gegen die Türe sinken und rutschte daran herunter. Es tat mehr weh, als ich jemals gedacht hätte... Überreagierte ich? Ich wusste es nicht. Die Situation überforderte mich. Er war zurück gekommen, um es wieder in Ordnung zu bringen. Das rechnete ich ihm hoch an. Aber die Nachricht und... Ich rutschte weiter an der Türe herunter, so dass mein Oberkörper auf dem Boden lag. Ich hatte mir das Oberteil nicht wieder angezogen. Es kam mir so nichtig vor. Es fühlte sich an als würden meine Augen nach Tränen schreien, aber es kamen keine und ich war froh darum. Meistens bekam man vom Weinen bloß Kopfschmerzen. Mir war schlecht und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Alles woran ich denken konnte war, dass es so schön gewesen war und es ganz bestimmt nicht bloß seine Schuld war, dass es so geendet hatte. War ich zu empfindlich? Zu streng? Vielleicht machte ihm es gar nichts aus und er hatte sich über die Schnitte bloß erstreckt, weil er nicht mir ihnen gerechnet hatte. Und für die Nachricht gab es vielleicht auch eine simple Erklärung. Ich hätte niemals die Nachricht lesen sollen, aber es war keine Absicht. Ein paar Sekunden nachdem er aus der Wohnung gegangen war und die Türe hinter ihm ins Schloss gefallen war, hatte sein Handy begonnen zu vibrieren. Da hatte ich einen Blick darauf geworden und mir war noch schlechter geworden. Wahrscheinlich sollten wir reden und es klären. Ich hätte ihn reinlassen sollen, wenn er schon so viel Anstand besaß zurück zu kommen. Aber ich hatte nicht die Kraft dazu gehabt. Und jetzt lag ich hier und wusste nicht, wo mein Kopf war. Er fühlte sich an als würden die Gedanken gegen die Wände ihres Gefängnisses hämmern und bald würde es nachgeben und bersten. Ich schloss meine Augen. Der Boden war kühl, aber ich nahm es gar nicht richtig wahr... Wenn ich hier doch bloß einfach für immer liegen bleiben könnte. Ich vermisste den Rauch von Zigaretten in meiner Lunge und dennoch wusste ich, dass das nicht gesund war. Mein Kopf versuchte herasu zu filtern und wiederzufinden, was Ernest zu solchen Stiationen gesagt hatte, aber mir wollte es nicht einfallen. Ich rutschte über den Boden und schnappte mir mein Handy. Als ich auf den Bildschirm sah, begannen meine Augen zu brennen, aber ich riss mich zusammen und scrollte schnell durch meine Kontakte. Ich hielt es an mein Ohr und das Rufzeichen ertönte. Er ließ es zweimal klingeln bevor er abhob. "Seit wann rufst du mich an?", kam er ohne Umschweife zur Sache. Ich räusperte mich verlegen und fand endlich meine Stimme wieder. "Seit heute." Ich hörte wie kalt meine Stimme klang, aber machte mir nicht die Mühe es zu ändern. Er schwieg einen Augenblick und ich wusste, dass er abwiegen konnte, dass ich nicht wegen einem Sonntagsplausch anrief. "Wie kann ich dir helfen?" Seine Stimme klang strenger als gestern und es schien als wäge er jedes Wort genau ab, wie gefährlich es sein konnte es zu sagen. "Das kläre ich nicht jetzt...." Eine Pause trat ein, in der das Rauschen der Leitung deutlich hervor trat und in den Sekunden der Stille sah ich zur Decke und blinzelte gegen den Drang zu weinen an. Alles fühlte sich so kaputt und zerbrechlich an... Es war keine Illusion gewesen. Aber nicht bloß Jonas war zerbrechlich. Alles wirkte so fragil... "Kann ich vorbei kommen?" Meine Stimme drang zu meinen eigenen Ohren durch, als hätte jemand anderes die Worte gesagt und sie klang hohl. Beinahe bedeutungslos. "Du weißt, dass das eigentlich nicht geht...", versuchte er vorsichtig zu erwidern. Ich schloss meine Augen und seufzte. Wieso leicht wenn es auch kompliziert ging? "Du tust immer so, als seien wir so gute Freunde. Und Freunde sind für einander da. Oder ist das bloß Show, um das Vertrauen deiner Patienten zu bekommen?" Ich konnte ihn seufzen hören. "Ich sag dir immer, du sollst nicht so misstrauisch sein." Ich schwieg und wartete auf die Antwort meiner Frage. Wieder hörte ich ein Seufzen vom anderem Ende der Leitung und als er wieder sprach klang die Überwindung, die es ihn kostete aus seiner Stimme heraus. Er nannte mir seine Adresse und ich gab mir nicht die Mühe mich zu bedanken. Es hätte sowieso bloß leer geklungen. Ich raffte mich dazu auf, aufzustehen, schnappte mir meine Jacke und ging zur Türe. Beinahe hoffte ich Jonas immer noch vor der Türe anzutreffen. Auf der Treppe oder irgendwo sonst sitzend. Aber der Flur war kühl und leer. Es erschien mir unendlich langwierig die Treppe herunter zu gehen, das Fahrrad auszuschließen und drauf zu steigen. Mir erschien alles wie in Trance. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, ob es eine gute Idee war, mich bei ihm zu melden. Jetzt war es sowieso schon zu spät. Die Gegend in der sein Haus stand, war um einiges größer und hübscher als ich erwartete hatte. Ich zögerte als ich vor der weiß gestrichenen Türe stand, unter deren Farbe man noch die Holzstruktur erkennen konnte. Als ich klinkelte, bemerkte ich erst, dass meine Finger immer noch zitterten. Wie konnte so etwas jemanden so aus der Bahn werfen? Ich atmete tief durch und gerade als ich wieder ausatmete ging die Türe vor mir auf. Obwohl Ernest gerade einmal sieben Jahre älter war als ich, zogen sich schon graue Strähnen durch seine braunen Haaren und der Schatten unter seinen Augen. und die Bartstoppeln, die sich über seine Wangen zogen ließen ihn um einiges älter wirken. In seiner Hand hielt er ein Weißweinglas und das Lied American Pie spielte erklang von hinter ihm. Als er mich sah, stahl sich ein schmales Lächeln auf seine Lippen. Er trat zur Seite ohne ein Wort zu sagen und ich trat ein. Ich hatte nicht die Kraft sein Lächeln zu erwidern oder überhaupt in irgendeiner Art höflich zu sein. Es war ein komisches Gefühl zu ihm zu kommen. Sein zu Hause wirkte so intim. Als würde es mir zu viel über seinen Besitzer preisgeben. "Eigentlich lege ich ja Wert darauf Arbeit und Privates zu trennen." "Das ist dir anscheinend nicht so gut gelungen.", entgegete ich nüchtern. Es roch nach Essen und mein Magen knurrte. Ich hörte sein leises Lachen. "Du kommst perfekt. Das Essen ist gerade fertig." Ich war ihm dankbar, dass er mich nicht fragte, was los sei und noch dankbarer war ich ihm, dass er mir keinen mitleidvollen Blick schenkte. "Setz dich. Du magst doch Chili con carne?" "Oh. Ich esse nicht mit." Er schenkte mir einen Blick der sagte Oh doch. und holte ein zweites Weinglas heraus. Sah ich so schrecklich aus, dass man mir ansah, dass mir ein bisschen Alkohol nicht all zu sehr schaden würde? Er drückte mir das Glas in die Hand und buxierte mich auf einen Stuhl am Esstisch und verschwand wieder in der Küche. Als Don McLean Cause fire is the devil's only friend versuchte ich nicht zu sehr nach zu denken und sah auf den Rücken von Ernest. Er trug einen Pullover über einem weißen Hemd und eine Jeans. Er schien die perfekte Mischung aus dem Ernst eines Professors und die Lockerheit eines Teenagers zu sein. Er drehte sich um und kam mit einer Pfanne aus der Dampf aufstieg wieder an den Tisch. Daneben stellte er eine Schüssel Reis. "Es ist ein Experiment. Ich hab das Rezept von einem Kollegen von einer Fortbildung und eigentlich bin ich nicht zum Kochen berufen, aber ich denke es sollte ganz gut geworden sein." Er lächelte, ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen und schob seine Brille auf dem Nasenrücken hoch. Er lächelte aufmunternd, aber seine Augen schienen mich schon wieder zu analysieren. Ich hatte noch nie gewusst, ob ich diesem Blick an ihm interessant oder störend war. Aber sicher war, dass er zu seinen Gesichtszügen passte. Als ich keine Anstalten machte mir zu nehmen, griff nach meinem Teller und schöpfte mir. Es war zu viel aber ich sagte nichts. Ich fühlte mich zu müde und ausgelaugt, um noch die Kraft aufzubringen zu protestieren. Er schöpfte sich selbst und sah mich dabei nicht an. "Und was hat dich nun hier her geführt?" Er stellte die Frage beiläufig, aber ich wusste, dass er auf jede meiner Reaktionen und jedes Wort mit dem ich antworten würde, achtmal würde. "Ich denke die Not.", sagte ich ausweichend und merkte, dass ich mir immer noch nicht sicher war, dass ich es ihm tatsächlich erzählen wollte. "Corbin!" Ein leiser Vorwurf lag in seiner Stimme. Ich seufzte und schnappte mir meine Gabel. "Ich hatte ein..." Ich machte eine kleine Pause. Wie sollte ich es nennen? Streit? Missverständnis? Zusammenbruch? Ich schob mir eine Gabel in den Mund und schindete mir damit noch mehr Zeit. Ich konnte sein etwas genervt klingendes Ausatmen hören und spürte seinen Blick auf mir. "Also es geht um Jonas.", sagte ich und versuchte so ruhig zu klingen wie es ging. "Dein Freund?" Ich nickte und wusste nicht wo ich hin sehen sollte. "Was ist denn passiert?" "Er hat die Schnitte entdeckt.." Meine Stimme zitterte leicht und ich verfluchte mich dafür. Dass wir rumgemacht hatten Ließ ich bewusst aus. Er schwieg und ich wusste, dass er darauf wartete, dass ich fortfuhr. "Und er...er ist daraufhin gegangenen..." Ich kam mir unglaublich bescheuert vor und war mir nicht einmal sicher, ob ich hier das Richtige tat. "Und ich hab die Nachricht auf seinem Handy gesehen..." Ich spürte wie Tränen in mir aufstiegen und versuchte krampfhaft sie herunter zu schlucken. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hand und legte die Gabel weg. Mir war der Appetit vergangen. "Er ist wieder gekommen und ich habe ihm bloß das Handy in die Hand gedrückt und hab die Türe vor seiner Nase geschlossen." Jetzt gab es kein Zurück mehr und ich wusste nicht ob ich erleichtert oder besorgt darüber sein sollte. "Okay. Ganz langsam." Seine Summe klang so sanft und beruhigend wie immer. "Er hat die Schnitte gesehen? Aber ist zurück gekommen? Spricht das nicht dafür, dass er den Willen zeigt es zu akzeptieren und dir beizustehen." Ich brauchte keinen Beistand und ich kam gut genug alleine klar, aber ich schwieg und verfolgte mit meinen Augen die Struktur im Holz des Tisches. "Ich denke du solltest wirklich froh sein, dass du ein Geheimnis weniger alleine mit dir rumträgst und dir darüber Gedanken machen musste, wie er darauf reagieren wird." Aus seinem Mund klang das alles so einfach... "Und dann zurück zu der Nachricht. Wie kommt es dazu, dass du sie gelesen hast? Und was stand drin?" Ich holte Luft. Es kam mir vor als laste ein schweres Gewicht auf meiner Brust, wenn ich darüber redete. "Sein Handy hat vibriert und die Nachricht hat mich quasi angesprungen. Ich wollte sie nicht lesen." Ich kam mir erbärmlich und dreckig vor, dass ich es gelesen hatte, egal wie wenig Absicht dahinter gesteckt haben mag. Ich hätte es ignorieren oder zumindest nach den ersten paar Worten wegsehen können. Es hätte uns Ärger erspart und es ging mich nichts an mit wem er was schrieb. "Jemand hat gesagt er vermisse ihn und hat ihn Liebling genannt." Ich hörte mich an wie ein petzendes Kleinkind. "Und du hast nicht mit ihm darüber geredet?" "Nein..." "Und wie lange seit ihr zusammen?" Seine Fragen gaben mir das Gefühl in die Enge getrieben zu werden, schon von Anfang an hatten sie das getan. Ich seufzte und kam mir lächerlich vor. "Knapp anderthalb Wochen." "Oh, wow." War das Sarkasmus in seiner Stimme? "Corbin. Rede mit ihm. Solche Missverständnisse entstehen dadurch, dass man nicht redet." "Ich hab dich nicht gefragt, um eine Glückskeksweisheit als Antwort zu bekommen." Sein kühler Blick ruhte auf mir. "Ich bin Psychologe und kein Lebensberater. Ich helfe dir dabei deine psychologischen Probleme zu lösen, damit du deine alltäglichen selbst lösen kannst." "Und ich bin hier her gekommen, weil ich mit dir als Freund reden wollte und nicht als Psychologe." In meiner Stimme klang Enttäuschung und Kälte mit. Er strich sich durch die Haare. "Es tut mir leid... Manchmal ist es schwer das zu trennen." Er sah älter aus, wenn er einlenkte. "Wann hast du das letzte Mal gut geschlafen?" Er sah etwas überrascht zu mir auf. "Das ist eine Ewigkeit her.", sagte er matt. Vielleicht sollte ich über mein Problem hinwegkommen, es ruhen lassen und hiermit meinen Kopf frei bekommen. "Woran liegt das." "Ich hab nervige Träume." Es war das erste Mal, dass ich ihn über sich reden hörte. "Albträume?" Er schüttelte den Kopf und schob sicher wieder eine Gabel Chili con carne in den Mund. "Kennst du Träume, die in dir eine Sehensucht auslösen, die dich nicht mehr los lässt? Das ist schlimmer als jeder Albtraum." Ich wusste genau was er meinte. "Sehnsucht wonach?" Bildete ich mir das ein oder war da eine Spur Rosa in seinen Wangen? Er wich meinem Blick aus und aß nochmal etwas. Ich griff auch wieder nach meiner Gabel und wartete auf seine Antwort. "Ich will dich nicht anlügen, deshalb frag lieber nicht.", sagte er schließlich. "Nach einem Gegenstand oder einer Person?" So schnell würde ich nicht aufgeben. "Einer Person." Seine Summe klang frustriert. "Kenne ich die Person?" Er schwieg und sah auf die Tischplatte. "Du kennst sie, aber ich durchschaue sie vielleicht mehr.", sagte er schlussendlich und es klang beinahe merkwüridig als er die Stille durchbrach. Ich merkte wie meine eine Augenbraue in Richtung meines Haaransatzes wanderte, aber ich fragte nicht weiter. Ich konnte ihn gut genug einschätzen, dass er mir nichts weiteres preisgeben würde. Er war jetzt schon verblüffend ehrlich und offen gewesen. Wenn ich in den Sitzungen probierte etwas aus ihm heraus zu bekommen, lächelte er nachsichtig und sagte etwas wie "Hier geht es doch um dich." Und obwohl er bloß so wenig älter war als ich, ließ er mich damit mich fühlen wie ein naives Kleinkind, das dumme Fragen stellte, auf die es eigentlich gar keine wirkliche Antworten bekommen wollte, was es später auch lernen würde. Ich fragte mich, wer diese Person sein sollte, die wir beide kannten. Er war mein Psychologe, aber das hieß nicht, dass wir den Freundeskreis auch bloß ansatzweise teilten. Ich sprach das Thema Jonas nicht mehr an. Ich kam mir dabei vor wie ein liebeskranker Teenager und wob in meinem Hinterkopf schon alle Fragen, die ich Jonas stellen konnte zu einem großen Gedankenteppich, der allein durch die Hoffnung farbig wurde, dass wir verliebt genug waren, das ganz einfach und simpel zu klären und alles wieder gut werden würde.

Oh, my life...Where stories live. Discover now